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Debatte GlücksforschungSaldo des Wohlbefindens

Die Zufriedenheitsforschung zeigt, wie unrecht neoliberale Ökonomen haben. Und wie dringend Therapieformen verändert werden müssen.

Wie zufrieden ist dieser Mann? Bild: dpa

D iese Woche hat die ARD die „Glückswoche“ aufs Programm gesetzt und damit die sogenannte Glücksforschung weiter berühmt gemacht. Zwei Wochen zuvor hatte die Post bereits einen „Glücksatlas“ vermarktet. Jeweils standen die regionalen Unterschiede des Glücklichseins im Mittelpunkt. Das ist werbewirksam, aber nicht aussagekräftig.

Denn die regionalen Unterschiede des gemessenen „Glücks“ zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland sind gering und auch innerhalb von Ost und West auf Ebene der Bundesländer nicht nennenswert. Und es ist methodisch nicht haltbar, das kleine Bundesland Schleswig-Holstein als glücklichsten Spitzenreiter auszurufen und dem ebenso kleinen Brandenburg die rote Laterne des Schlusslichts anzuhängen.

Die Schlagzeilen basieren – anders geht das gar nicht – auf „Stichproben“. In den kleinen Bundesländern, die sich ganz oben und unten finden, wurden weniger als 2.000 Leute befragt. Der sich daraus ergebende „Zufallsfehler“ fällt hier viel stärker ins Gewicht als bei großen Ländern wie Bayern und Nordrhein-Westfalen. Deswegen gibt es keinen eindeutigen Tabellenführer. Trotzdem ist diese Art von Forschung keineswegs überflüssig.

Die Autoren

Jürgen Schupp ist Professor für Soziologie an der FU Berlin und leitet das Sozio-Ökonomische Panel (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

Gert G. Wagner ist Vorstandsmitglied des DIW Berlin. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der TU Berlin.

Wie steht es mit Zufriedenheit?

Was mit dem publikumswirksamen Etikett „Glücksforschung“ vermarktet wird, ist eigentlich Zufriedenheitsforschung. Dabei geht es nicht um flüchtiges Glück am Tresen oder beim Fernsehschauen. Vielmehr werden die Menschen nach dem verstandesmäßig ermittelten momentanen „Saldo“ ihres Wohlbefindens „alles in allem“ im Leben befragt. Die Antworten liefern Ergebnisse, die die große oder kleine Bedeutung von Lebensereignissen, die grundsätzlich auch beeinflussbar oder erlernbar sind, für das Individuum und damit auch für die Gesellschaft deutlich machen. Daraus lassen sich handfeste – „evidenzbasierte“ – politische Schlussfolgerungen ziehen.

Dass der Verlust des Arbeitsplatzes unzufrieden macht, nicht selten auch krank, ist weitgehend bekannt. Die Zufriedenheitsforschung zeigt darüber hinaus, dass auch viele ehemalige Arbeitslose noch Jahre später in ihrer Unzufriedenheit verharren. Auch dass Erwerbslosigkeit für die meisten Betroffenen ein Zustand ist, in den sie unfreiwillig hineingeraten sind, ist für die meisten Menschen selbstverständlich. Nur nicht für die führenden neoliberalen Chicago-Ökonomen. Sie behaupten, dass Arbeitslosigkeit von Menschen mit hoher „Freizeitpräferenz“ gewählt werde. Die These von der „freiwilligen Arbeitslosigkeit“ war auch in der deutschen Volkswirtschaftslehre lange Zeit weit verbreitet.

Angriff auf Gewissheiten

Dass offenkundig falsche Vorstellungen erst mithilfe akribischer Forschung zerstört werden können, wird gerne unterschätzt. Dabei zielt ein großer Teil moderner Forschung auf allen Gebieten nur darauf, die vermeintliche Gültigkeit von alten Theorien anzuzweifeln und schließlich zu widerlegen. Die Medizin wimmelt von Beispielen einer durch neue Forschung gelungenen Ablösung überholter Theorien. So hat man in den 1920er Jahren noch an die heilende Wirkung von Ozon geglaubt.

Dabei sind es so gut wie nie die sensationellen Forschungsergebnisse, die die Sicht auf die Welt und damit dieselbe verändern. Vielmehr konstituieren meist viele unspektakuläre kleine Einzelbefunde nach und nach ein neues Bild, in unserem Fall von gesellschaftlichen Zusammenhängen.

Die Zufriedenheitsforschung macht zum Beispiel immer deutlicher, dass eine früh ansetzende gute Bildung der Schlüssel zu einem zufriedeneren Leben ist: Bildung verringert das Arbeits- und Krankheitsrisiko und erlaubt – auch weil sie in der Regel zu einem besseren Einkommen führt – dem Einzelnen, seine Interessen zu folgen. Sie eröffnet also mehr Optionen im Leben, und das wiederum erhöht die individuelle Zufriedenheit.

Rein monetäre Anreize führen nicht zu dauerhaft höherer Arbeitsmotivation und weniger Fehltagen. Unterm Strich ist es für Arbeitgeber lohnender, ihre Beschäftigten zufriedenzustellen, sie also fair zu behandeln und ihnen kreative Freiräume zu ermöglichen.

Mehr Geld für Psychotherapien

Ganz aktuell wurde von dem britischen Ökonomen Richard Layard, der kürzlich auch Bundeskanzlerin Merkel beraten hat, eine interessante Studie vorgelegt. Sie zeigt für Australien, Deutschland und Großbritannien, dass psychische Störungen die Betroffenen im Durchschnitt deutlich unzufriedener machen als körperliche Erkrankungen. Layard zieht daraus die Schlussfolgerung, dass es wohlfahrtstheoretisch vernünftig ist, psychische Erkrankungen viel besser, also mit deutlich mehr Geld zu behandeln. Für viele Ärzte, die primär für physische Therapien Geld sehen wollen, ist das eine Provokation.

Die Zufriedenheitsforschung ist damit längst nicht am Ende. Viele wissenschaftlich wie lebensweltlich hochinteressante Fragen harren noch einer wissenschaftlichen Antwort. So ist auch insbesondere die Frage nach den Faktoren, die Menschen dazu bringen, eher zur Zufriedenheit oder zur Unzufriedenheit zu neigen (und Letztere machen sich das Leben gerne selbst zur Hölle), noch nicht beantwortet. Die Gene spielen bestimmt eine Rolle. Die mutmaßlich gewichtige Rolle frühkindlicher Erfahrungen indessen ist bislang nicht ausreichend erforscht. Mittlerweile zeichnen sich aber erste Ergebnisse ab.

Ein am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) laufendes Projekt, das Waisen mit Kindern vergleicht, die in ihrer Familie groß wurden, deutet darauf hin, dass der frühe Verlust der Eltern lebenslang die Zufriedenheit dämpft.

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8 Kommentare

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  • "Glück" kann man nicht erzwingen oder kaufen, so meine Erfahrung.

     

    In welchem Land, welcher Familie man geboren wird, dafür kann niemand was. Das ist für mich Glück. Glück gehabt!!!

     

    Nicht in den Elendsvierteln der Welt geboren worden zu sein! Das ist Glück!

    In einer Familie geboren worden zu sein, in der man behütet, geborgen und wertgeschätzt aufwachsen kann! Das ist Glück!

     

    Meine Geschwister sind alle mit Behinderungen auf die Welt gekommen, ich hatte Glück als einziges Kind gesund geboren worden zu sein. Glück? Ich hatte und habe immer noch ein schlechtes Gewissen und das bis heute. Die Frage warum ich?

  • OM
    ohne moos nix los

    Die Autoren stellen hier Bildung als "Glücksversprechen" heraus. Gilt die vielerorts postulierte Chancengleichheit denn tatsächlich? Was ist mit sogenannten "HartzNV-Kindern" (schon die Bezeichnung spricht Bände, die TAZ etablierte den abwertenden Begriff in personalunion mit so gut wie allen anderen bürgelichen Massenmedien)? Warum ist der Anteil von Arbeiterkindern an Hochschulen beschämend gering im Gegensatz zu dem der Kinder aus Akademikerfamilien?

    Solange es keine Bildungsgerechtigkeit gibt, halte ich dGlücks- bzw. Zufriedenheitsforschung für nix als Mentalwellness für die Mittelschicht.

    • OM
      ohne moos ...
      @ohne moos nix los:

      ist an @Mirko gerichtet

  • OM
    ohne moos nix los

    Wozu bestehende gesellschaftliche Strukturen in Frage stellen und ändern, wo es doch Psychotherapien gibt, die über Umwege durch die eigene Seelenlandschaft wieder auf Linie trimmen können, schon richtig ....

    Nebenbei: Was bitte, ist ein "Arbeitsrisiko"?

    • M
      Mirko
      @ohne moos nix los:

      Nunja, ich denke, man sollte so weit es geht Krankheiten *und* deren Ursachen beseitigen.

      Dass psychische Krankheiten zunehmen (oder vielleicht auch nur eher anerkannt und damit offensichtlicher werden) ist recht offensichtlich, und wer schon mit psychischen Erkrankungen (ob selbst oder im Bekanntschaftskreis) zu tun hatte, kann bestätigen, dass die Versorgung hierzulande unterirdisch ist. Wenn man sieht, wie Leute zwischen Arzt, Neurologen und Psychologen hin und her geschoben werden, bis zu einem halben Jahr auf Termine warten müssen und ähliches, wundert sich eher, dass es nicht noch wesentlich mehr Tode durch Selbstmord, Selbstverletzungs-Unfälle, Magersucht u.ä. gibt.

       

      Auf der anderen Seite muss aber selbstverständlich auch die Ursachenforschung gefördert werden, sowohl was physische/psychosomatische Risiken (z.B. durch Zwangsjodierung, Weichmacher, Abgase, ...) als auch psychische Probleme (mobbende Ellenbogengesellschaft, "Mobilität" ohne Rücksicht auf soziale Kontakte, ...) angeht.

  • D
    Desillusionist

    Kostspielige und zwangsläufig scheiternde Versuche, Pudding an die Wand zu nageln. Die Ergebnisse sind Binsenweisheiten. "(...) dass es wohlfahrtstheoretisch vernünftig ist, psychische Erkrankungen viel besser, also mit deutlich mehr Geld zu behandeln.(...)" - Ok, jetzt weiß ich immerhin, welche Lobby dahinter steckt. Die Psychos sollten trotzdem für ihren Fin-de-Siecle-Hokuspokus aus der Wiener Berggasse keinen Cent mehr bekommen.

  • I
    IvoKainKrieg

    Danke für die weiteren Punkte.

    Auf dem Umverteilen Kongress in Berlin geb es den Eröffnungsvortrag: Gleichheit macht Glück

    Wer die Professoren hören und die Tabellen sehen will, schaut sich kurz diese zwei Vorträge an. (mit Untertieteln)

    Der erste: Reichtum, Gleichheit, Glück und Gesundheit,

    von Richard Wilkinson

    http://www.ted.com/talks/richard_wilkinson.html

    Der zweite: Umwelt, Klima, Glück und Gesundheit,

    von Nic Marks

    http://www.ted.com/talks/nic_marks_the_happy_planet_index.html

    Danach fragt man sich, wer hat uns solange betrogen?

    Und wo gehts zur Glücksrevolution?

    soviel, sokurz.

  • G
    Glückskeks

    Guter Artikel, vielen Dank! Eine kurze Info zu den Autorn wäre wünschenswert - das hilft auch, den Hinweis auf (oder die Werbung für) das DIW Projekt besser einzuordnen.