Debatte Geschlechterkampf in Hessen: Unverträglich sture Frauen
Andrea Ypsilanti hat schwere politische Fehler gemacht. Das allein aber erklärt nicht das unsolidarische Verhalten gegen sie - und auch nicht die Häme, die ihr entgegenschlägt.
W ar es das mit Andrea Ypsilanti? Thorsten Schäfer-Gümbel, ihr Nachfolger als SPD-Spitzenkandidat in Hessen, hat gute Chancen, vom "Gümpel-wer?" zur akzeptierten Ablösung zu avancieren. Erste Vermutungen tauchen auf, dass Ypsilanti nach der Neuwahl auch den Landesvorsitz an ihn abgeben werde.
Heide Oestreich ist seit 1999 Redakteurin für Geschlechter- und Gesellschaftspolitik der taz. Zuletzt erschien von ihr das Buch: "Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam" bei Brandes & Apsel.
Das sieht aus wie ein normaler politischer Prozess: Jemand tritt an, macht Fehler, bekommt seine Truppen nicht versammelt, scheitert und tritt ab. Das Bedürfnis, sich diesen Prozess noch einmal genauer anzuschauen, entsteht nur aus einer Besonderheit. Andrea Ypsilanti wäre nach Heide Simonis die zweite Frau überhaupt in der deutschen Geschichte gewesen, die ein Bundesland führt. Nun ist ihr der anvisierte Job auf merkwürdig ähnliche Weise abhanden gekommen wie Simonis seinerzeit der ihre: Beide glaubten, ihre Mehrheit sicher zu haben. Beide hatten in Probeabstimmungen ihre Mehrheit sicher. Aber plötzlich treten Einzelfiguren auf und sprengen die Vereinbarung.
Jürgen Walter hätte besser eingebunden werden müssen, lauten im Nachhinein die Analysen. Ypsilanti habe da einen schweren taktischen Fehler gemacht. Doch rechtfertigt eine falsche Personalie eigentlich einen politischen Amoklauf, wie ihn etwa Jürgen Walter daraufhin hinlegte? Ypsilanti hat einen Fehler gemacht. Aber es war die Entscheidung dreier Einzelpersonen, diesen Fehler in eine Katastrophe zu verwandeln.
Das ist in der Politik dann doch eher selten. Dass Mehrheiten knapp sind und diverse U-Boote ihre Chefs in Bedrängnis bringen, passiert öfter. Aber wenn es Spitz auf Knopf steht, greift normalerweise die Parteidisziplin. Georg Milbradt (CDU) scheiterte als Ministerpräsident in Sachsen 2004 im ersten Wahlgang, für den zweiten reichte es. Auch SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit fiel in Berlin 2006 im ersten Wahlgang durch. Im Bund schaffte Kanzler Gerhard Schröder es noch mit jeder Rücktrittsdrohung, die SPD-Linke wieder einzufangen. Einen so weitreichenden Loyalitätsentzug aus der eigenen Partei, dass eine - gerade frisch geplante - Regierung platzt, hat zumindest die SPD ihren Männern noch nicht zugemutet. Aber nun schon der zweiten Frau. Das lädt zum Nachdenken ein. Loyalität gegenüber Männern an der Spitze ist selbstverständlich. Gegenüber Frauen ist sie es offenbar nicht.
Um Frauen mit Machtanspruch weht immer noch diese ungewisse Atmosphäre. So auch um Ypsilanti: Wie kann eine so normal wirkende Frau, eine attraktive ehemalige Flugbegleiterin, die auch noch Südhessisch spricht, Ministerpräsidentin werden wollen? Schon, dass sie beim Kampf um den Landesvorsitz Jürgen Walter knapp ausstach, wurde mancherorts wie ein Betriebsunfall kommentiert. Und dann macht sie auch noch richtige Fehler. Und nimmt sich heraus, danach immer noch Macht zu wollen. Schon kleben die Etiketten "machtgeil", "stur" und "dickköpfig" an der Frau - und sind in diesem Fall keineswegs als Kompliment gemeint.
Ypsilanti tat, was sonst nur Männer vom Kaliber Koch oder Schröder tun: Sie sind ambitioniert, stoßen andere vor den Kopf, drehen ihre Wahlaussagen ins Gegenteil. Sturheit ist in ihrem Fall oft eine Art Adelsprädikat. Es wird darüber geseufzt, es wird auch dagegen gekämpft. Aber bestraft wird ihre Sturheit nicht. Am Ende wird man sie "Steherqualitäten" nennen. Ypsilanti dagegen ist ein "Dickkopf", will "mit dem Kopf durch die Wand" und - sie gehört bestraft. Weil sie nicht zurücktritt, sondern anderen die Schuld am Desaster gibt, vergleicht eine Redakteurin sie im Tagesspiegel mit einem "Kind, das schmollend zu seinen Eltern" spricht. Die Öffentlichkeit sind die Eltern, Ypsilanti das Kind, das seine gerechte Strafe nicht will.
So funktionieren unbewusste Erwartungen. Bewusst hätte man es natürlich gern anders. Frauen sollen gern mächtig sein und alles erreichen, wir sind doch ein modernes Land. Aber wenn sie es dann tun, sind wir irritiert. Gerade die? Gerade so? Gerade jetzt? Das ist neu, das ist ungewohnt, und auf Ungewohntes reagiert die menschliche Psyche gern mit Unbehagen und Abwehr. Alles soll lieber doch so sein, wie man es kennt. Und so werden eine Menge guter Argumente gegen Frau Ypsilanti und all ihr Gebaren produziert. Die nicht. So nicht. Jetzt nicht. Da klingt etwas an, das die Psychologen "Rationalisierung" von unerwünschten Gefühlen nennen.
Die Argumente sind nicht falsch, nur weil sie auch aus einem psychischen Unbehagen gespeist werden. Es gibt an Ypsilanti vieles zu kritisieren, sie hat schwere Fehler gemacht. Aber ein Teil der Häme und dieser merkwürdige Drang zur Zurechtweisung könnten auf dieses unbewusste Unbehagen zurückzuführen sein.
Allein durch die Tatsache, dass sie eine Frau ist, hätte Ypsilanti die Kollektivpsyche wohl nicht mehr so in Rage versetzen können. Schließlich hat die sich ja sogar an eine Kanzlerin gewöhnt. Allerdings hat diese sich als kalkulierbares Risiko erwiesen. Sie macht nämlich einfach konservative Politik und ist so innovativ wie Valium.
Ypsilanti dagegen hat in der SPD doch eindeutig das Fach gewechselt. Die SPD kennt die tapfere Frau, die sich in der rauen SPD-Männerwelt durchschlägt. Aber wenn es um die Wurst geht, haben erstens Parteidisziplin und zweitens Männer Vorrang.
Ypsilanti dagegen hatte ein ambitioniertes Programm und schwenkte plötzlich zu einer Kooperation mit der Linkspartei, um dieses umzusetzen. Das entsprach offenkundig nicht der Parteilinie (wo immer diese auch zu orten gewesen sein sollte). Und sie hielt an diesen Vorstellungen fest, obwohl Parteispitze und -rechte sie davon abbringen wollten. Damit ist sie sozusagen für unser klischeeverliebtes Unbewusstes vom lyrischen Sopran ins dramatische Fach gewechselt. Da aber wimmelt es vor unheimlichen Megären und rachsüchtigen Königinnen der Nacht. Ypsilanti wurde flugs "das größte Rätsel der deutschen Politik", so der Spiegel. Sie sei nämlich "selbst für Parteigenossen" unverständlich "stur". Warum eine sture Frau ein Rätsel ist? Fragen Sie Ihr Unbewusstes. Ihr Verstand wird es Ihnen nämlich nicht sagen können.
Nun wird erklärbarer, dass jeder ihrer politischen Fehler einen Donnerhall erzeugt: der "Wortbruch" etwa. Ein politischen Kursschwenk nach einer Wahl, das ist nicht ganz unnormal. Schröder trat mit einem linken Arbeitsmarktprogramm an und verordnete dann Hartz IV. Aber Schröder ist ein Mann - wenn der sich um 180 Grad dreht, tut er das nur, um Deutschland zu retten. Zufällig schwenkt er damit auch noch auf die Linie der Wirtschaftselite ein, was weiteres symbolisches Kapital sichert. Ypsilanti dagegen wandert mit ihrem Umweltprogramm und den Kompromissen gegenüber der Linken geradewegs weg vom Mainstream: eine Frau, die sich gegenüber der Linken öffnet. Das sind zwei Abweichungen auf einmal.
Dass Hessen sich nun vollends zerlegt zeigt, hat so betrachtet nicht nur mit Ypsilantis politischen Fehlern zu tun. Im Untergrund kann man auch noch etwas anderes vermuten. Ypsilanti hat die unbewusste Ordnung der Dinge zweifach in Bewegung gebracht: Sie wackelte sowohl an der konservativen Geschlechterordnung als auch an der konservativen ökonomischen Ordnung. Wahrscheinlich verkraftet das Land höchstens eine dieser beiden Herausforderungen auf einmal.
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