Debatte Finanztransaktionsteuer: Zauber der Entschleunigung
Die Finanztransaktionsteuer stärkt die Unternehmen. Trotzdem propagieren Konzerne wie Siemens oder Bayer munter weiter das Gegenteil.
D er größte Mythos in der Debatte um die geplante Finanztransaktionsteuer ist, dass die Steuer der Realwirtschaft schaden würde. Dieses Jahr im Januar haben elf EU-Mitgliedsstaaten einschließlich Deutschland vereinbart, eine Finanztransaktionsteuer einzuführen.
Seitdem sind etliche Scheinargumente im Umlauf, um die Steuer auf den Wertpapier- und Devisenhandel zu schwächen. Tatsächlich aber ist eine wirksame Finanztransaktionsteuer ein Gewinn für Unternehmen, Anleger und Volkswirtschaften.
Unternehmen sparen Kosten für die Absicherung gegen Preisschwankungen bei Rohstoffen, Wechselkursen und Zinsen. Mit dem rasanten Finanzhandel hat die Volatilität – das Ausmaß und die Häufigkeit von Preisschwankungen – extrem zugenommen. Noch vor 50 Jahren wurden etwa Getreidepreise allein zwischen den beteiligten Produzenten, Lagerhäusern, Mühlen sowie Groß- und Einzelhändlern ausgemacht. Heute bestimmen Finanzakteure durch blitzschnelle Transaktionen am Computer die Preise und erzeugen umso mehr Unsicherheit.
ist Politikberaterin des World Future Council in Hamburg. Zuvor war sie wissentschaftliche Mitarbeiterin bei zwei Bundestagsabgeordneten der Linken und der NGO Weed.
Eine Finanztransaktionsteuer kann derlei exzessiven Finanzhandel nicht verhindern, aber bremsen. Das Kapital, das Unternehmen für Sicherungsgeschäfte sparen, wird zum einen frei für produktive Investitionen. Zum anderen beeinträchtigt die Finanztransaktionsteuer das verbleibende Sicherungsgeschäft nicht: Wer sich mit einem Derivat gegen einen ungewissen Preis in der Zukunft absichern möchte, kann das Papier erwerben und bis zum Ende der Laufzeit halten – kein Handel, keine Steuer.
Es braucht stabile Investitionen
Fondsanleger profitieren ebenfalls – und zwar doppelt. Kundinnen und Kunden werden vor allem durch die Kosten für das häufige Umschichten von Wertpapieren belastet. Studien kommen auf zwei bis zwanzig Prozent der Beiträge. Zugleich schneiden passiv gemanagte Fonds langfristig meist besser ab als überaktiv gemanagte Portfolios. Die Finanztransaktionsteuer fördert die geringere Umschlagshäufigkeit.
Volkswirtschaften sind auf langfristig stabile Investitionen angewiesen, um zum Beispiel Schienennetze aufzubauen und zu erhalten und den Ausbau von erneuerbaren Energien und Ressourceneffizienz zu finanzieren. Dazu können institutionelle Investoren wie Fonds und Versicherungen mit ihrem hohen Anlagevermögen entscheidend beitragen, statt durch häufigen Handel die Finanzmarktstabilität zu gefährden. Die Marktmacht dieser Akteure ist enorm.
In Deutschland kommt die Bundesbank allein für Pensionsfonds auf ein Anlagevolumen von mittlerweile 470 Milliarden Euro. Das ist mehr als der komplette Bundeshaushalt von rund 300 Milliarden. Es wäre fatal, diese Fonds von der entschleunigenden Finanztransaktionsteuer auszunehmen oder geringer zu besteuern. Derlei Ausnahmen sind zudem kontraproduktiv, weil Anbieter ihre Geschäftsmodelle bevorzugt auf steuerbefreite Formen verlagern würden. Ebenso wenig sollte das Handelsgeschäft im Kundenauftrag, das Market Making, steuerbefreit sein, zumal es de facto nicht vom Eigenhandel der Finanzinstitute zu unterscheiden ist.
Liquidität statt Hyperliquidität
Hyperliquidität gefährdet die Finanzstabilität. Hier ist vor allem der Eigenhandel zwischen Finanzinstituten am Werk. Täglich verkaufen Finanzinstitute insbesondere Staatsanleihen vorübergehend weiter, um sich Kapital zu beschaffen. Der Handel mit diesen Rückkaufvereinbarungen, auch Repo-Geschäfte genannt, treibt die Verflechtung von Finanzinstituten und damit systemische Risiken voran. Das gilt umso mehr, als dass die für kurze Zeit beschafften Wertpapiere in langen Ketten mehrfach als Kreditsicherheit eingesetzt werden.
Für das realwirtschaftliche Kundengeschäft und bei gesunder Kapitaldecke brauchen Banken keine Hyperliquidität. Vielmehr sind Anleihen wie Bundesschatzbriefe typischerweise Papiere, die Kundinnen und Kunden bis zum Ende der Laufzeit halten. Eine konsequente Besteuerung von Repo-Geschäften ist ein wirksamer Schritt, um Hyper- und Scheinliquidität zugunsten von gesunder Liquidität zu begrenzen. Es ist ein wichtiger Beitrag, um schwerwiegende Finanzkrisen zu vermeiden.
Investoren fordern die Steuer
Bereits 2009 haben Geschäftsleute, darunter Großinvestor Warren Buffet, eine Finanztransaktionsteuer gefordert. In einem Aufruf des Aspen-Instituts, einer Organisation für Politikberatung in Washington, betonen sie, wie wichtig es sei, dass produzierende Unternehmen wieder langfristige Ziele verfolgen. Sie verweisen auf die von kurzfristigen Anlegerinteressen getriebene Ausrichtung von Managemententscheidungen, was einer wirtschaftlich nachhaltigen Unternehmensentwicklung zuwiderläuft. Die Finanztransaktionsteuer sei ein Schlüssel, um die systemweite Kurzfristigkeit zu beheben.
Drei Jahre später drängen über 50 Vertreter der Finanzbranche in einem offenen Brief auf die Besteuerung von Finanztransaktionen. Zu den Unterzeichnenden zählen Charles Ewald, ehemaliger Vizepräsident von Goldman Sachs, und Arielle de Rothschild, Geschäftsführerin der Rothschild-Gruppe. Als Persönlichkeiten mit Finanzbranchen-Erfahrung aus erster Hand betonen sie, dass der schnelle Finanzhandel oft gerade dann Liquidität abzieht, wenn Unternehmen sie am nötigsten brauchen.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der den Steuervorschlag der EU-Kommission ablehnt, vertritt nicht die Bedürfnisse der Realwirtschaft. Er versammelt sowohl Finanzinstitute unter seinem Dach als auch zahlreiche Großunternehmen wie Bayer und Siemens. Diese Unternehmen machen einen Großteil ihrer Gewinne mittlerweile selbst im Finanzhandel statt in der realen Produktion. Sie sollten wie Banken einer Akkreditierung durch die Zentralbank unterliegen, um ihre Finanztransaktionen offenzulegen. Gewerkschaften hingegen befürworten die Steuer.
Die Finanztransaktionsteuer muss mehr sein als eine schmückende, aber wertlose Attrappe als Aushängeschild für Regierungen. Deshalb darf sie nicht durch Ausnahmen ad absurdum geführt werden. Die Rufe nach Ausnahmen sind tendenziell dort am stärksten, wo die Steuer am wirksamsten ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren