Debatte Ethik-Kommission: Wer fragt die Polynesier?
Leidtragende des Atomausstiegs sind die Ärmsten im Süden. Denn wir verfehlen unsere Klimaziele. In der Ethikkommission kommen sie nicht zu Wort.
D e Katastrophe von Fukushima hat gezeigt, dass Kernenergie auch 25 Jahre nach Tschernobyl gefährlich ist. Derzeit überbieten sich die deutschen Parteien mit Bekenntnissen zu einem rascheren Ausstieg. Nachdem jetzt auch FDP und CSU die älteren Reaktoren gleich für immer abschalten wollen und die neue Ethikkommission eigentlich nur noch über den Anstieg der Strompreise diskutiert, scheint Deutschlands Glaubenskrieg um die Atomkraft beendet zu sein.
So könnte alles in bester Ordnung sein, wenn … ja wenn wir diesen schönen Planeten ganz für uns allein hätten. Im Ausland will man alte AKWs nicht einfach ausrangieren, sondern durch neue ersetzen. Und man fragt sich, wie die Deutschen ihren beschleunigten Ausstieg mit ihrer Führungsrolle im Klimaschutz vereinbaren wollen. Kann man den Ausstieg auf dem Rücken anderer vollziehen? Kann Berlin so noch glaubwürdig die Vereinbarung neuer Klimaziele anmahnen?
Schließlich hatten ja gerade die Deutschen stets darauf hingewiesen, dass die CO2-Emissionen der Industrieländer vor allem die Ärmsten und Schwächsten dieser Welt massiv schädigen: Viele Inselstaaten werden ebenso überflutet wie die dicht besiedelten Küstenregionen Bangladeschs und anderer Entwicklungsländer. Jahr für Jahr werden tropische Krankheiten, Ernteausfälle, Dürrekatastrophen und Sturmfluten mehr Opfer fordern - insbesondere wenn es nicht gelingt, den Temperaturanstieg auf 2 Grad zu begrenzen. Denn dann sind die Folgen kaum mehr zu kalkulieren.
Argumente der Atomgegner
Wie soll man also umgehen mit dem Zielkonflikt zwischen Klimaschutz und nationaler Sicherheit? Müsste ein Hauptverursacher des Klimawandels seine Reaktoren nicht weiterlaufen lassen, bis erneuerbare Energien den Großteil seiner CO2-Schleudern überflüssig machen?
Nicht wenn man den strikten Gegnern der Kernenergie folgt, denn sie haben eine einfache Antwort parat: Natürlich dürfen wir ganz schnell abschalten! Denn eigentlich gibt es gar keinen Zielkonflikt! Diese bequeme Haltung wird vor allem mit zwei Argumenten begründet: Erstens verstärkt auch die Kernenergie den Treibhauseffekt, weil beim Uranabbau und Kraftwerksbau Energie verbraucht wird. Das Freiburger Öko-Institut hat errechnet, dass Atomstrom pro Kilowattstunde etwa 30 % mehr CO2-Äquivalente verursacht als Windenergie und 4 % der Äquivalente, die pro Kilowattstunde in einem modernen Braunkohleheizkraftwerk anfallen. Zweitens könnte man allein mit der Verlängerung der Laufzeiten das Klima nicht retten: Sie würde nicht ausreichen, um den deutschen Anteil für das 2-Grad-Ziel zu erbringen.
Ob das einen Polynesier überzeugt? Möglicherweise würde er nicht fragen, ob die weitere Nutzung der Kernenergie hinreichen würde, um das Klimarisiko zu begrenzen, sondern danach, ob sie dafür notwendig ist. Schließlich halten wir ja auch am Ausbau der Windenergie fest, obwohl sie nur ein Baustein der Lösung sein kann.
Folgt man der Klimastudie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), dann ist die Antwort eindeutig: Sie hat schon 2005 festgestellt (ähnlich wie Greenpeace 2007), dass Deutschland seine Klimaziele verfehlen wird. Statt der geplanten Reduktion um 40 % (gegenüber 1990) seien bis 2020 allenfalls 30 % zu erwarten, von denen fast die Hälfte auf die Abschaltung der DDR-Anlagen zurückgeht. Trotz großer Anstrengungen konnten die Emissionen nach 1992 im Jahresdurchschnitt nur noch um 0,6 % gesenkt werden. Durch den rot-grünen Atomausstieg würden sich die mageren Einsparungen zusätzlich verringern: auf 26 % statt der vorgesehenen 40 %.
REINHARD WOLF lehrt Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Weltordnungspolitik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sein Forschungsinteresse gilt vor allem Fragen von Respekt und Status in der internationalen Politik.
Und selbst dieser Anteil würde laut DPG noch weiter sinken, wenn nicht alle abzuschaltenden AKWs durch die klimaverträglichsten Gaskraftwerke ersetzt würden. Ernüchternd folgerten die Experten: "Das Abschalten laut Plan würde alle bisherigen Anstrengungen zur CO2-Verminderung sinnlos erscheinen lassen." Wenn jetzt der Ausstieg noch beschleunigt wird, indem die ältesten sieben Meiler sofort dauerhaft abgeschaltet werden, ist dies wohl die endgültige Kapitulation deutscher Klimapolitik. Schließlich haben Eon und RWE ihren Atomstrom nicht verschenkt, sondern für viel Geld verkauft. Und ihre Kunden werden damit auch künftig Strom einkaufen - und keineswegs nur Ökostrom.
Wie wollen wir also rechtfertigen, dass wir Reichen die Risiken unseres Energieverbrauchs nicht länger selbst tragen möchten, auch wenn das absehbar große Kosten, ja vermutlich sogar Katastrophen für die Ärmsten in den Tropen (und ihre Nachkommen) mit sich bringt? Wie wollen wir den Betroffenen erklären, warum das Verursacherprinzip nicht mehr gelten soll?
Familie Bush als Vorbild
Vielleicht sollten wir uns einfach von zwei US-amerikanischen Expräsidenten inspirieren lassen. So könnten wir uns ein Beispiel an George W. Bush nehmen und noch mal gründlich überprüfen lassen, ob es den Treibhauseffekt wirklich gibt und ob er tatsächlich so schlimm ist. Oder wir sagen den Polynesiern und Bengalen einfach, sie sollen schlicht darauf vertrauen, dass unsere Ingenieure und Wissenschaftlerinnen bald eine geniale Lösung für alle Klima- und Energieprobleme finden werden - womöglich sogar eine, die alle lokalen Umweltinitiativen begeistert mittragen.
Sonst bleibt uns immer noch die Hoffnung, dass unser erhöhter CO2-Ausstoß andere reiche Gesellschaften dazu bewegen wird, beim nächsten Klimagipfel ihrerseits größeren Verzicht zu geloben. Ein bequemer Weg wird sich schon finden: irgendwie, irgendwo, irgendwann. Und wenn nicht, können wir auch damit leben.
Aufrichtiger wäre es, wir würden uns ein Beispiel an George H. W. Bush nehmen. Der hatte 1992 in Rio den "American Way of Life" für nicht verhandelbar erklärt. Vielleicht sagen wir den Leuten in Bangladesch am besten: "Wir sorgen uns hier nun um unsere Sicherheit. Kümmert ihr euch um eure!"
Und jetzt mal unter uns: Sollten wir Deutsche für unseren Energiekonsum wirklich ein nukleares Restrisiko eingehen, nur damit da unten tropische Krankheiten, Dürren und Flutkatastrophen weniger schnell zunehmen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften