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Debatte Die PiratenTechnik ist auch keine Lösung

Daniel Schulz
Kommentar von Daniel Schulz

Die Piraten sind als Projekt wichtiger denn je – ohne sie wird die Zukunft von denen gestaltet werden, die Angst vor ihr haben.

Grün gegen blau: Abstimmung auf dem Parteitag der Piraten. Bild: dpa

M edial wird von den Piraten seit einiger Zeit das Bild einer kindisch streitenden Partei gezeichnet. Sie selbst liefern dazu pflichtschuldig immer wieder Material. Verloren geht dabei, dass das Projekt gerade so wichtig ist, wie nie zuvor.

Sollen staatliche Behörden darüber Bescheid wissen dürfen, wann jemand mit seiner besten Freundin gemailt hat? Wie verdienen Künstler Geld in Zeiten, in denen ihr Schaffen zu haben ist, ohne zu bezahlen?

Wie soll mit Konzernen wie Google und Facebook umgegangen werden, deren Dienste von Millionen Menschen geschätzt werden, die dadurch aber die Machtfülle von Monopolen erlangt haben?

Das Netz umfasst – mindestens – die Welt, von Kultur über Fragen der Sicherheit bis hin zum Einfluss von Wirtschaftsunternehmen, und es fügt dieser Welt neue Dinge hinzu, es wirkt auf sie zurück: So entsteht gerade eine andere Vorstellung von Zeit, weil so viele Dinge gleichzeitig getan werden können. Über seine Persönlichkeiten im Netz erweitert sich der Mensch. Die Option, sich irgendwo auf der Welt eine Waffe auszudrucken, ist nicht mehr reine Theorie.

Bedürfnis nach Freiheit

Wenn diese Welt nicht nur von jenen gestaltet werden soll, die Angst vor ihr haben, sondern von Menschen, die dem Bedürfnis nach Freiheit den gleichen Status einräumen wie dem Verlangen nach Sicherheit, dann muss das politisch vertreten werden.

taz
Daniel Schulz

ist einer der beiden Leiter des Gesellschafts- und Medienressorts taz2medien. Er twittert als @derherrschulz.

Der Einzelne – auch der beste Hacker – muss den Wettlauf mit Staaten und ganzen Wirtschaftszweigen verlieren. Das Individuum resigniert, wenn es darum geht, wie Behörden oder Konzerne mit Daten umgehen. Technische Lösungen sind Provisorien, sie können eine starke politische Interessenvertretung nur ergänzen, nicht ersetzen.

Seit die Diskussionen über die Speicherung von Verbindungsdaten und die Onlinedurchsuchung bei Computern vor sechs, sieben Jahren begannen, gibt es eine Bewegung von Bürgerrechtlern, die das Netz in den Fokus nehmen. Sie war damals zu klein, sie ist es auch heute noch. Obwohl die Berliner Internetkonferenz Re:publica in dieser Woche ein vielfältigeres Spektrum versammelte als je zuvor, bleiben die wichtigen Aktivisten seit Jahren die gleichen.

Im Zweifel unterliegen die Interessen

Sie werden zwar ernst genommen, ein Teil von ihnen hat sich wichtige Positionen erkämpft – als Lobbyisten im Bundestag, als Autoren bei der FAZ, als Sachverständige beim Bundesverfassungsgericht. Aber im Zweifelsfall – zuletzt bei der Diskussion über Bestandsdaten und Leistungsschutzrecht – unterliegen die von ihnen vertretenen Interessen.

Diesen Text finden Sie auch in der taz. am wochenende vom 11./12. Mai 2013. Darin außerdem: die Titelgeschichte „Wo fängt irre an?“, eine Fotoreportage über den Drogenkrieg in Mexiko, ein Porträt von Muhlis Ari, der als „Mehmet“ vor 15 Jahren bekannt und abgeschoben wurde, eine Rezension des neuen Daft-Punk-Albums und drei Karottenrezepte von Sarah Wiener. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo.

Inzwischen sind auch die konservativsten PolitikerInnen so weit mit dem Netz vertraut, um erstens ihre eigenen Ideen dort zu vertreten und zweitens zu erkennen, wie klein die netzpolitische Bewegung letztlich ist. Man lässt sich nicht mehr so leicht beeindrucken, was es auch den libertären Netzpolitikern schwer macht, die in den Parteien von Union bis Linke sitzen. Womit sollen die Druck machen?

Das Kippen des intransparenten Handelsabkommens Acta gilt als beispielhafter Erfolg netzpolitischen Widerstands, war aber die große Ausnahme. Ein dauerhaftes Bündnis oder eine erweiterte Basis für die Bürgerrechtler ist daraus bisher nicht geworden. Sie müssen weiterhin auf Fehler der Gegenseite warten: So war es zuletzt ausgerechnet die dusslige Telekom, die das sperrige Thema Netzneutralität griffig rüberbrachte.

Aktionsformen nutzen sich ab

Wie andere soziale Bewegungen zuvor haben die Bürgerrechtler zudem das Problem, dass sich ihre Aktionsformen abnutzen. Massenmails werden heute leicht als Shitstorm abgetan. Und vor allem: Es fehlen die Bilder.

Früheren Bewegungen half der Aufstieg des Privatfernsehens, mit ihren Aktionen und Symbolen, die öffentliche Meinung breitenwirksam zu beeinflussen. Netzthemen sind da meist zu abstrakt.

Es braucht eine Partei wie die Piraten, die in den Parlamenten für Veränderungen sorgt. Vielleicht erkennen sie das vor der Bundestagswahl sogar noch selbst.

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Daniel Schulz
Reportage und Recherche
Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.
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11 Kommentare

 / 
  • AB
    Arne Babenhauserheide

    @Eric Manneschmidt: +1

    ich wünschte, die Taz würde diese Fragen stellen.

  • HW
    Hau Weg Den Scheiss

    Einfach für einen massiven Blackout sorgen, dann gibt's kein Facebook und Internetdreck mehr, auch der Terrorismus der Ausbeutung der dritten Welt durch das verwöhnte Pack der ersten, würde aufhören und nur so geht soziale Gerechtigkeit.

  • C
    Christoph

    Sie sind gegen Atomkraft? Da finden Sie bestimmt einen passenden Piraten-Kandidaten. Sie sind für Atomkraft? Auch dann.

     

    Die Piraten sind keine Partei im klassischen Sinn. Eine solche wäre nämlich vom Programm her zu denken. Hier wurde aber vielmehr eine neue Basis eröffnet. Das Experiment, nachträglich ein Programm zu entwerfen, muss scheitern.

     

    Zugleich zeigt das Phänomen "Piraten" (auf Europa-Ebene), dass auch die übrigen Parteien keine eigentlichen (d.h. programmgeleiteten) Parteien mehr sind. Zumindest liegt das nahe, wenn sich statt einer neuen Partei eine neue Basis bildet, die wie eine "generation gap" funktioniert.

     

    Vgl. auch http://www.remid.de/blog/2012/06/religion-politik-und-parteiprogramm-von-gluecksempfinden-und-gesellschaftstragenden-utopien/

  • M
    Micha

    Genau, denn alle anderen haben Angst vor der Zukunft! DIE PIRATEN SIND UNSERE EINZIGE HOFFNUNG, DIE AUSERWÄHLTEN, DIE ERLÖSER!... ja, dann sind wir halt verloren.

  • D
    Dennis

    Ich finde es auch besorgniserregend, jemanden das internet kontrollieren zu lassen, die noch nicht einmal darüber nachdenken youporn von der roten liste zu nehmen, oder so... wie ist das bloß, wenn solch ein kotrollsystem innerhalb eines völlig chaotischen system, wie das internet stattfindet... da kriegt man echt angst!

  • D
    Dennis

    Also bevor der Staat der Wirtschaft mein Hirn wieder gewaschen hat, denke ich auf jeden fall darüber nach, die Piraten zu wählen, da es ja doch wahnsinnig wichtig nicht einen Polizeistaat zu bilden, wie einige Ihn wohl doch gerne hätten...

  • S
    Sinon

    Mit der Einschätzung liegen Sie ja vllt. richtig, das Problem ist nur: Auch die Piraten kümmern sich um dieses Thema nicht mehr genug. Der große Fehler, der mMn ihre jetzige Misere herbeigeführt hat, ist, dass sie sich den "Vorwurf" eine Ein-Themen-Partei zu sein zu Herzen genommen haben. Sie haben panisch versucht das zu widerlegen und dabei jeden Spinner mit seinen noch blöderen Ideen aufgenommen. Dabei hätten sie sich nur aufrecht hinstellen und sagen müssen: "Ja, Stimmt. Aber dafür haben wir im Gegensatz zu Ihnen zumindest Ahnung!" Jetzt haben sie die beklopptesten Punkte im Parteiprogramm und Leute, die keine Ahnung haben, meinen bei den Kernkompetenzen der Piraten mitreden zu müssen. Was diese Partei braucht, ist ein reinigendes Buschfeuer, das sie von Utopien wie dem bedingungslosen Grundeinkommen und kostenlosen Bussen befreit und sie wieder zu einer Ein-Themen-Partei macht.

    Denn wir brauchen wie der Artikel richtig schreibt nichts dringender als eine Partei, die endlich mal Ahnung hat von Privatsphäre und Datenschutz im Netz, Urheberrecht, Netzneutralität und -ausbau und der digitalen Gesellschaft. Denn dort klafft in D-Land eine gewaltige Lücke, deretwegen ich mir wirklich ernste Sorgen um die Zukunft mache. Sowohl um die eines jeden Einzelnen, als auch um unsere gesamtstaatliche.

  • H
    Heiko

    Eben las ich das Wahlprogramm der Piraten:

    1. Kostenloser Nahverkehr

    2. bis zu 30g Cannabis sollen straffrei sein

     

    Äh, soll das ein Witz sein? Kostenlos durch die Gegend fahren und Drogen nehmen dürfen - das soll ein ernstzunehmendes Wahlprogramm sein ???

     

    Da muß man schon bekifft sein um so etwas gut zu finden.

  • CV
    Chance vertan

    Die Piraten haben ihr ursprüngliches Profil aufgegeben und kopieren mehr schlecht als recht die Grünen.

     

    Sie wollen nur noch "irgendwie" im politischen Geschäft mitmischen und an die Futtertröge kommen.

    Wofür stehen die Piraten nochmal?! Keine Ahnung.

     

    Dabei sind sie im parlamentarischen Tagesgeschäft absolut inkompetent und eher weniger arbeitsaffin. Sorry, da geht meine Stimme eher noch an die Tierschutzpartei.

  • F
    FaktenStattFiktion

    Die Piratenpartei ist als weitere linke Partei so überflüssig wie ein Kropf.

    Nur weil die sog. Grünen technikfeindlich sind, rechtfertigt dies keine weitere Partei.

     

    Was wir brauchen, ist eine politische Alternative wie es etwa Geert Wilders gezeigt hat.

  • EM
    Eric Manneschmidt

    Es gibt hier einen problematischen Satz, und zwar

     

    "Wie verdienen Künstler Geld in Zeiten, in denen ihr Schaffen zu haben ist, ohne zu bezahlen?"

     

    Viele Piraten würden das genauso formulieren, was schlimm ist, denn es zeigt, wie wenig sie die Realität verstehen.

    Hier wird nämlich suggeriert, dass Künstler ein Problem aufgrund des Internets bekommen haben. Das ist nicht so.

    Das Problem des Geldverdienens gibt es schon viel länger und es hat auch viel mehr Facetten. Dabei geht es darum, welche Art von Kunst man macht. Ist das überhaupt marktfähig bzw. will dafür überhaupt jemand bezahlen? Haben diese potentiellen Kunden die Mittel, verfügen sie überhaupt über Kaufkraft?

     

    Was ist eigentlich Kunst, wer ein Künstler? Wer entscheidet das? Kann man eine Idee besitzen oder ihr Eigentümer sein?

     

    Oben genannter Satz impliziert, dass Kunst das ist, was sich heute als (käufliche) Kunst etabliert hat, entsprechend ein Künstler ist, wer sich entweder verkaufen kann oder gut mit staatlichen Fördertöpfen zurecht kommt.

    Dies ist eine vollkommen unsinnige Annahme und leider schaffen es auch die PIRATEN bis heute nicht, hier wahrnehmbar die richtigen Fragen zu stellen.