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Debatte Deutschland-PolenVon Szepan zu Podolski

Kommentar von Christian Semler

Kaum eine andere Migrantengruppe ist besser integriert als die polnische. Die polnische Kultur in Deutschland blüht. Man sollte sich auch am Multikulti-Streit beteiligen.

Dem Nachbarn so nah: Verwitterter Grenzstein auf Usedom. Bild: dpa

D er Streit, ob den heute in Deutschland lebenden 1,5 bis 2 Millionen Menschen polnischer Herkunft der Status einer nationalen Minderheit zukomme, hat etwas Atavistisches an sich.

Aber hinter diesem Streit, der zum 20. Jahrestag des deutsch-polnischen Freundschaftsvertrages wieder hochkocht, wird nicht ein nachbarschaftliches sondern ein allgemein-deutsches Problem sichtbar: Welche Konsequenzen ziehen wir aus unserer Existenz als Einwanderungsland? Und wie soll sich künftig entwickeln, was der Philosoph Svetlan Todorov als "Drama des Zusammenlebens" bezeichnete?

Was die polnischstämmigen Menschen anlangt, so kann man sich kaum eine Gruppe vorstellen, deren Mitglieder noch weniger Lust verspürten, sich mit den ehemaligen Landsleuten zusammenzutun. Die polnische Kultur in Deutschland blüht, es gibt eine Vielzahl hier lebender und anerkannter Künstler, Schriftsteller und Intellektueller. Zivilgesellschaftliche, kommunale und ökonomische Kooperation verbinden Polen und Deutschland - nicht zu reden von den polnischen Arbeitskräften ohne und mit deutschem Pass, die in den letzten drei Jahrzehnten wesentlich zum deutschen Wohlstand beitrugen. Aber man wird bei uns vergeblich polnische Viertel in den Städten suchen, auf wenig polnische Läden oder Kneipen stoßen. Von einem regen Vereinsleben ganz zu schweigen. Zusammengenommen sind in solchen Bünden und Vereinen rund 25.000 Menschen organisiert, aber die Anzahl der Aktiven soll nicht mehr als 500 betragen.

Bild: privat
CHRISTIAN SEMLER

CHRISTIAN SEMLER Seit 1989 bei der taz. Ein alter Freund der osteuropäischen Demokraten und Träger der Solidarnosc-Dankesmedaille. Er unterstützt die Forderungen der Migranten und tritt für eine humane Flüchtlingspolitik ein.

Zuwanderung und Kontinuität

Entgegen den Auffassungen polnischer Konservativer existiert so gut wie keine Kontinuität zwischen der anerkannten polnischen Minderheit in der Weimarer Republik und den heutigen polnischstämmigen Menschen in der Bundesrepublik. Als Minderheit galten nicht die ins Ruhrgebiet eingewanderten Polen mit ihren reichen polnischen Vereinsleben. Sondern die anerkannte damalige polnische Minderheit lebte autochthon in Gebieten, die heute zur Republik Polen gehören. Genauso autochthon wie die heute vor allem in Oberschlesien lebende deutsche Minderheit. Das Gros der polnischen Einwanderer seit den 1970er Jahren erhielt den deutschen Pass, weil es sich auf zumindest partielle deutsche Abstammung berief. So entstand die paradoxe Situation, dass viele Angehörige der vormaligen polnischen Minderheit im "Deutschen Reich" wegen ihrer deutschen Verwandtschaft Polen verlassen und als Deutsche in der Bundesrepublik aufgenommen wurden.

Zwischen den verschiedenen Einwanderungswellen seit den 1970er Jahren existieren gravierende Unterschiede. Die erste Welle waren "deutsche Deutsche", die nicht vertrieben worden waren, aber mit Polen absolut nichts am Hut hatten. Die zweite Welle seit den 1980er Jahren waren Polen, denen die deutsche Abstammung als Ausreisemöglichkeit diente, ohne dass sie ihre polnischen Wurzeln verleugnet hätten. Heute zählen zu den Zuwanderern Menschen, die leichtfüßig zwischen Traditionen und Kulturen pendeln. Der weite Bogen polnischer Immigrantenbiografien lässt sich an den Fußballerkarrieren ablesen: von Fritz Szepan über Stan Libuda bis zu Miro Klose und Lukas Podolski.

Förderung findet nicht statt

So künstlich und aufgebauscht die Forderung nach Anerkennung als "nationale Minderheit" ist, so berechtigt sind die Forderungen, die die polnischen Verbände mit ihr verbinden und die auch von vielen verbandsfernen Deutschpolen geteilt werden. Entgegen dem Wortlaut des Freundschaftsvertrages von 1991 wird in den meisten Bundesländern das Polnische nicht als Unterrichtssprache angeboten. Selbst in den Grenzgebieten zu Polen sind die Lernmöglichkeiten sehr eingeschränkt. Die "Polonia", als Gesamtheit der polnischen Vereinigungen in Deutschland, erhält keine staatliche Unterstützung, eine institutionelle Förderung findet nicht statt. Aber diese Klage verbindet die Polen in Deutschland mit allen anderen in Deutschland lebenden Nationalitäten mit oder ohne deutschem Pass. Nur dass deren Probleme viel brennender sind als die der gut integrierten Polen.

Minderheitenabkommen anzustreben wie im Fall der verfassungsmäßig verbrieften Rechte der Sorben, Dänen und Roma verfehlt die Aufgaben, vor denen Deutschland als "polyethnische" Gesellschaft steht. Vielmehr gilt es, mit Gesetzeskraft festzuschreiben, dass alle Migrantengruppen das Recht haben, an allen sie betreffenden Entscheidungsprozessen mitbeteiligt zu werden,

Formal hat die Bundesregierung in ihrem 2. Fortschrittsbericht zum "Nationalen Integrationsplan" 2007 dem Prinzip des "migration mainstreaming" zugestimmt. Sie hat für die Organisationen und Selbsthilfegruppen der Migranten finanzielle Förderung in Aussicht gestellt. Der Fortschrittsbericht erweist aber auch, dass die Migranten nach wie vor lediglich Objekte der deutschen Planungen sind. Den weitgefächerten und auch gesellschaftliche Organisationen einbeziehenden Aktivitäten zum Trotz zeigt sich keine wirkliche Verbesserung bei wichtigen Problemfeldern: der im Vergleich zu den Deutschen doppelt so hohen Arbeitslosigkeit, dem Schulabgang ohne Abschluss, dem mangelnden Zugang zu weiterführenden Schulen und dem Zugang zu Lehrberufen

Praxis des "mainstreaming"

Wie es in der Praxis um das "mainstreaming", also die reale Partizipation der Migranten bestellt ist, zeigte sich November letzten Jahres beim vierten von der Bundeskanzlerin einberufenen Integrationsgipfel. Sein Verlauf illustrierte, welche Rolle die Migranten in Wirklichkeit spielen. Nach zig Reden der staatlichen Repräsentanten blieb für die Aussprache nur eine halbe Stunde – dies bei 40 Wortmeldungen.

Kein noch so schöner künftiger Aktionsplan bewirkt etwas, wenn sich die Einstellung der politischen Machtelite gegenüber der Migration nicht ändert. Angela Merkel hielt "Multikulti" eine Grabesrede. Kenan Kolat, Vorsitzender der türkischen Gemeinde in Deutschland, antwortete, "Multikulti" sei das Lebenselexier unserer multiethnischen Gesellschaft. Dieser Streit muss entschieden werden. Wäre schön, wenn sich auch ein paar Protagonisten der polnischen "Minderheit" an ihm beteiligen würden.

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7 Kommentare

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  • D
    Deutsch-Pole

    @Aussiedler aus PL:

    Aber wieviele von diesen "Spät-Aussiedlern" wirklich deutscher Abstammung sind ist ebenfalls schwer zu sagen. Nicht wenige haben kurz vor und nach der Wende einfach nach einem deutschen (Ur)-Großvater gesucht und gefunden (oder erfunden) und schon durfte man als vermeindlich deutsch-stämmiger in den Westen...

     

    Bei den meisten davon handelt es sich wohl um Nachkommen von gemischten Familien, was in der deutsch-polnischen Geschichte eben nicht gerade ungewöhnlich ist.

  • AA
    Aussiedler aus PL

    Es ist Unsinn, dass in der Bundesrepublik eine "polnische Minderheit" von 1,5-2 Millionen existiert.

     

    Erstens kann eine Minderheit nur in einem geschlossenen Siedlugnsgebiet historisch gewachsen sein, andernfalls sind es (Arbeits)migranten oder wirtschaftsflüchtlinge (so wie türkischstämmige ab den 70er Jahren). Es GAB eine polnische Minderheit in Deutschland, allerdings war diese in Oberschlesien, in der ehamligen Provinz Posen und z.T. ein Westpreußen ansässig. Aber wie wir alle wissen, gehören diese Gebiete NICHT zur Bundesrepublik. Polnische Einwanderer wie etwa die Ruhrpolen noch sonstige sind somit KEINE nationale Minderheit und können deswegen keine Minderheitenrechte genießen, wohl aber die aller EU Bürger.

     

    Es ist auch völliger Quatsch, dass die Polonia 1,5-2 Millionen Leute zählt. 1,5 Millionen davon sind als AUSSIEDLER (wer nicht weiss was das ist, bite googlen) aufgrund ihrer deutschen Wurzeln als "Repatrianten" in die Bundesrepublik gekommen, so auch Podolski und Klose, und sind im Sinne des Grundgesetzes "Abstammungsdeutsche" wenn man so will. Fragt nur mal, auf welcher Sprache Poldi und Klose sich mit ihren Familien dort unterhalten, denn zumindest mit seiner Großmutter spricht Poldi, wenn er sie dort besucht, DEUTSCH ;-) Von wegen polnische Minderheit von 1,5 mln. Menschen xD

  • NC
    Norbert Cura - Imo Wash

    Wir sind Polen, ich bin gekommen vor 20 Jahren und Ärmer i nHamburg hochgekesselt und Geld gemacht.

    Habe autowasherei. wir sind minderheit, denn kein Mehrheit.pyrsk!

  • Q
    Querulant

    @Schlesier

     

    hören sie auf zu giften, die letzten Umfragen wie der von Microzensus 2009 haben ganz ähnliche Zahlen von 1,5 Mio Menschen mit "polnischem Migrationshintergrund" ergeben. Das sagt noch nichts über die natioale, kulturelle uns sprachliche Indenität des jeweils einzelnen aus, aber belegt dass die Zahlen von 1,5 - 2 Mio Menschen mit Wurzeln in Polen stimmen.

  • DS
    Der Schlesier

    Der Artikel über die Polonia ist mal wieder grauenhaft recherchiert worden. Wo nimmt der Autor die Hausnummer von 1,5 - 2 Mio. Polen in Deutschland her? Die letzte Volkszählung liegt 40 Jahre zurück, bei der man sich zu seiner Volkszuhörigkeit bekennen konnte. Wieso setzt der Autor auch die Grenze bei 1970 an und spricht allen Spätergekommenen ihre Deutschstämmigkeit ab oder marginalisert sie zumindest. Meine Ex-Nachbarin ist zB. in den 80igern eingewandert, ist aber Ende der 30iger in Schlesien geboren. Natürlich gibt es Aussiedler aus gemischten Ehen , dennoch heißt das noch Lange nicht das sie sich zur Polonia zählen. Man kann auch die polnische Sprache benutzen, sich aber deutsch fühlen, wie dass schon früher bei den Masuren und Oberschlesier war.

    Wieso mussen Fritz Szepan und Stan Libuda eigentich immer als ponische Immigranten herhalten ,sie sind beide im Ruhrpott geboren, und ihre Vorfahren sind in Masuren geboren, das sich 1920 fast zu 100% für Deutschland und folgerichtig Teil Deutschlands bis 45 gebieben. Klose und Podolski hat man auch nicht gefragt, ob sie sich als polnische Immigranten sehen.

    Wieso werden in diesem Artikel die Schlesier verschwiegen. Die meisten Aussiedler,die kennengeernt habe, bezeichnen sich weder als deutsch noch polnisch sondern schlesisch.

  • P
    Polnischer-Deutscher

    Die 1-2 Mio. starke Gruppe "Polonia" in Deutschland ist noch differenzierter als in diesem Artikel dargestellt. Es sind Ruhrpott-Polen, Nachfahren von polnischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter, deutsche Spätaussiedler, politische Flüchtlinge und Wirtschaftsflüchtlinge, Kinder und Enkel aus deutsch-polnischen Ehen usw. Auch gehen diese Leute unterschiedlich mit ihren polnischen Wurzeln um. Die einen fühlen sich als Polen, die anderen als Deutsche, die einen als Polen und Deutsche, andere wiederum als Schlesier usw. Schon allein deshalb kann kaum ein einzelner Vertreter für eine so heterogene Gruppe sprechen. Außerdem entspricht es auch nicht der polnischen Mentalität sich in Vereinen gruppieren.

     

    Aber eins zeigen doch diese 1 - 2 Millionen "Deutsch-Polen". "Multikulti" ist nicht tot oder gescheitert. Die multikulturelle Gesellschaft ist einfach ein Faktum und sie funktioniert mit all ihren positiven und negativen Seiten. Deusch-Polen beweißen doch jeden Tag, dass man integriert sein kann ohne seine kulturellen Wurzeln und Kontakte in die ursprüngliche Heimat aufgeben zu müssen.

  • B
    Beutedeutscher

    Seit ihr jetzt schon zu faul um "Miroslaw" auszuschreiben oder ist dieser slawische Name einfach zu schwer für den Durchschnitts-Deutschen? Über das fehlende Ł in Mirosław und Łukas(z) will ich mich ja nicht beschweren (auch nicht darüber, dass die eigentliche Rufform „Mirek“ und nicht „Miro“ ist!). Aber anstatt den richtigen Vornamen die deutsche Verhunzung "Miro" zu verwenden ist journalistische Armseligkeit.