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Debatte Daten und ÖffentlichkeitWillkommen bei Huxley

Kommentar von Kai Schlieter

Daten sind die wichtigste Währung und manipulieren unser Kaufverhalten. Aber auch über unser Weltbild haben sie immer mehr Macht.

Bewegungsprofildaten eines Sensors. Foto: dpa

W ir leben in einer Welt, in der sich Regierungen und Konzerne anmaßen, die Menschheit global zu überwachen. Wie passt das zur Demokratie, welche Strategien der Gegenwehr sind erforderlich? Diese Fragen besprechen Hacker und Journalisten am Freitag und Samstag beim „Logan Symposium“ in Berlin.

Die Tagung, an der auch die taz als Partner mitwirkt, mag Nicht-Experten wie eine Nerd-Veranstaltung erscheinen. Das ist ein Vermittlungsproblem von uns Journalisten. Zuzuschreiben ist es aber auch Informatikern. Ein Teil von ihnen entwarf das System mit, über das nun diskutiert wird. Ein anderer verzettelt sich in elitärer Expertokratie, statt Politik und Gesellschaft wachzurütteln. Denn es geht hier nicht um Nerds, sondern um die Demokratie.

Beim Logan-Symposium im vergangenen Jahr sprach der Journalist John Pilger davon, wie allumfassend Regierungen die Wahrheit mit konstruierten Narrativen ersticken – überall, nicht nur in Russland. Solche Deutungsmuster bestimmen das Weltbild vieler Menschen.

Manche Narrative wirken dabei subtiler als schlichte Staatspropaganda. Sie erzeugen ein bestimmtes Klima. Die einflussreichste Erzählung modelliert den Staat als unmodernes Relikt: altersstarr und fett. Dies, so das Narrativ, entwertete Demokratie selbst als überbürokratisch.

Immer knalligere Geschichten

Elegant, schlank und smart erscheinen dagegen die Management-Prinzipien von heute. Im Silicon Valley entstanden jene Technologien, die Kommerz und Politik angeblich vereinen. Konsumentendemokratie statt Wahlen: Like. Das Invididuum als kraftvoller Unternehmer seiner selbst steht allerdings zunehmend allein da. Das Narrativ der Rationalität des Marktes wurde zur allumfassenden Metadeutung aller Lebensbereiche. Galt einmal die Unabhängigkeit der Presse als Daseinsberechtigung der Medien, zählt heute die Zielgruppe. Was mit der Einschaltquote begann, steigerte sich mit in Echtzeit gemessenen Zugriffen bei Onlineportalen. Geschichten müssen immer knalliger werden.

Die Inhaber lernender Algorithmen wissen bereits jetzt, wer wir sein werden

Ziel ist nicht die Aufklärung, sondern der virale Hit: Metrik als Relevanz, Journalismus als Ware und Demokratie als Marktumfeld. Digitale Konzerne spielen hier eine wesentliche Rolle. Ihre Macht ist ein Grund dafür, warum viele Menschen tiefenentspannt sind, während früher schon die biedere Spitzelei der Stasi die Welt erschreckte. Dabei sind die Indiskretionen heute viel detaillierter.

Mathematisch präzise Psychogramme, soziale und ökonomische Röntgenaufnahmen von Milliarden Individuen sind von Maschinen les- und auswertbar. Intimste Details unserer Charaktere sind errechenbar, gespeichert auf Serverfarmen von Monopolisten. Menschen sind Datenfilets im Warensortiment hybrider Konzerne mit politischen Zielen.

Macht über Milliarden Menschen

leitet das Ressort Reportage & Recherche. 2015 erschien sein Buch "Die Herrschaftsformel. Wie Künstliche Intelligenz uns berechnet, steuert und unser Leben verändert".

Taucht bei Ihnen der reflexhafte Gedanke auf, dass Sie die globale Röntgenmaschine nicht betrifft, weil Sie nichts zu verbergen haben? Weil Sie viel zu uninteressant sind? Genau dann greift ein nützliches Narrativ. Denn Sie ahnen vielleicht zugleich, dass das gar nicht sein kann. Andernfalls wären die Daten von Milliarden uninteressanter Menschen nicht das Wichtigste, nach dem die mächtigsten Institutionen dieser Erde gieren. Nicht Öl oder Platin, sondern Daten repräsentieren den heute wertvollsten Rohstoff. Sie sind ein anderer Begriff für Macht über Menschen. Sie sind die Universalwährung, die sich in jede andere konvertieren lässt, sozial oder ökonomisch.

Deswegen ist Google mehr als nur reich. Milliarden Menschen füttern ihre Daten-Doubles im Smartphone. Algorithmisch animiert entsteht die digital maßgeschneiderte Weltanschauungsbestätigung jedes Einzelnen bei Facebook. Die Inhaber lernender Algorithmen wissen mittlerweile nicht nur genauer als unser bester Freund, wer wir sind. Sie wissen bereits jetzt, wer wir sein werden. In wenigen Jahren wurde Facebook für 40 Prozent der Amerikaner zur primären Informationsquelle. Weltweit ist das Netzwerk ein Realitätsaggregator für Milliarden Menschen.

Dabei zersplittert eine ehemals geteilte Öffentlichkeit in individualisierte Wirklichkeitsbruchstücke. Nicht New York Times oder BBC vermitteln durch unabhängigen Journalismus einen differenzierten Blick auf die Welt, sondern ein kommerzieller IT-Konzern. Diese Revolution zersetzt die Wirklichkeit, die Individualisierung macht sie formbar. Facebook missbraucht seine User schon seit Jahren für Experimente. Der Konzern machte öffentlich, dass er mit exakt geplanten Manipulationen des Algorithmus psychologische Einstellungen von Hunderttausenden Usern so steuern konnte wie gewünscht. Berichte über diese Experimente standen mehrfach in den renommiertesten Wissenschaftszeitschriften der USA.

Auch politisch wird manipuliert

Solcherlei Manipulation brachte auch US-Präsident Barack Obama die Wiederwahl ein. 100 Millionen Dollar bezahlte er einem Team von Datenwissenschaftlern. Der russische Präsident Wladimir Putin unterhält für digitale Manipulation Trollfabriken in St. Petersburg. In China filtern 100.000 staatliche Zensoren das Internet. Der britische Geheimdienst GCHQ hat eigene Programme, um die Einstellungen der Nutzer auf Twitter, Facebook und YouTube gezielt zu manipulieren.

„Squeaky Dolphin“ heißt eines davon. Der Rüstungskonzern Raytheon bietet die Software „Riot“ (Aufstand) an, die Unruheherde prognostiziert und Unruhestifter überwachen kann. Und das US-Verteidigungsministerium betreibt vollautomatisierte Meinungsmache: Das Programm „Social Media in Strategic Communication“ identifiziert feindliche Propaganda und erzeugt Gegenpropaganda. 2009 beschäftigte das Pentagon 27.000 Fachleute für Public Relations, Jahresetat: 4,7 Milliarden Dollar.

Seit diesem Jahr ist Google-Chef Eric Schmid Berater dieser mächtigsten aller Militärbehörden. Orwells Überwachungs-Dystopie „1984“ war nur die nötige Voraussetzung: Willkommen in Huxleys „Brave New World“. Dass all diese Informationen mit der nächsten Aufmerksamkeitswelle davonschwappen werden, ist ein Indiz für den Erfolg jener Narrative, gegen die Hacker und Journalisten ankämpfen müssen.

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Reportage & Recherche
Seit 2008 bei der taz. Von 2012 bis März 2017 leitete er das von ihm gegründete Ressort Reportage & Recherche. Danach Wechsel zur Berliner Zeitung / Berliner Kurier. 2015 erschien sein Buch "Die Herrschaftsformel. Wie Künstliche Intelligenz uns berechnet, steuert und unser Leben verändert". 2011 erschien sein Buch "Knastreport. Das Leben der Weggesperrten".
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