Debatte Atomkraft: Eine klare Rechnung
Atomkraftwerke müssen rund um die Uhr laufen, um rentabel zu sein. Doch Wind- und Solarenergie verhindern ein solche Auslastung. Das kostet pro verlorene Stunde 50.000 Euro
Von politischer Seite ist der Atomausstieg zweifellos gefährdet. Sollten nach der Bundestagswahl im Herbst weder SPD noch Grüne an der Regierung beteiligt sein, wird der Atomausstieg voraussichtlich umgehend beerdigt werden. In CDU und FDP warten einige potenzielle Minister nur darauf, das Atomgesetz bis zur Unkenntlichkeit zerpflücken zu dürfen.
Doch selbst wenn es zur Stärkung der Atomkraft kommt, sie wird ein symbolischer Schritt bleiben. Denn längst ist die Atomkraft ein Auslaufmodell, und zwar aus ökonomischen Gründen. Um diese vielleicht überraschende These nachzuvollziehen, muss man ein wenig in die Stromwirtschaft eintauchen. Eine wichtige Zahl hier ist die 8.760 - so viele Stunden nämlich hat das Jahr. Entsprechend gibt es sogenannte Grundlastkraftwerke, die 8.000 Stunden im Jahr unter Volllast laufen sollen, also quasi rund um die Uhr. Hinzu kommen Mittellastkraftwerke, die auf 3.000 bis 6.000 Stunden ausgelegt sind. Und es gibt Spitzenkraftwerke; sie sind für weniger als 2.000 Stunden konzipiert.
Welches Kraftwerk in welcher Kategorie zu Hause ist, hängt von dem jeweiligen technischen Standard ab. Also davon, wie flexibel eine Anlage hoch- und heruntergefahren werden kann. Zugleich aber zählt auch die Ökonomie. Kraftwerke mit hohen Fixkosten und zugleich geringen variablen Kosten müssen viele Stunden pro Jahr laufen, um rentabel zu sein. Kraftwerke mit geringen Fixkosten, aber hohen Brennstoffkosten rechnen sich hingegen nur in Zeiten, wenn die Elektrizität am Markt gerade knapp und damit teuer ist - ideal für die Spitzenlast.
Die Atomkraftwerke sind auf den weitgehend unterbrechungsfreien Betrieb ausgelegt. Und auch betriebswirtschaftlich gesehen ist der Dauerbetrieb wichtig, weil die Betriebskosten gering sind (solange es zwar eine Mineralölsteuer, aber keine Brennelementesteuer gibt), die Fixkosten aber hoch. Jedoch werden die Meiler hierzulande die Auslastung von 8.000 Stunden nicht mehr erreichen. Neubauten sind damit längst keine wirtschaftlich interessante Option mehr, und auch den Altbauten kommt zunehmend die Legitimationsgrundlage abhanden.
Schauen wir uns die Zahlen an: Im Jahr 2008 kamen die deutschen Reaktoren im Mittel auf nur noch 6.820 Stunden. Und die derzeitige Auslastung ergibt aufs Jahr hochgerechnet sogar kaum 6.000 Stunden. Von den angepeilten 8.000 Stunden ist man somit schon weit entfernt. Schmerzlich für die Betreiber: Jede Stunde weniger bringt Mindereinnahmen von rund 50.000 Euro - pro Kraftwerk.
Es sind die erneuerbaren Energien, die sich an dieser Stelle bemerkbar machen; sie kappen den eigentlichen Grundlastkraftwerken die Betriebszeiten und machen sie damit sukzessive unrentabel. Einer Leistung von 21.000 Megawatt Atomkraft stehen in Deutschland bereits mehr als 24.000 Megawatt Windkraft gegenüber. Die Rotoren erreichen zwar jährlich im Schnitt nur knapp 2.000 Vollbetriebsstunden. Doch das sind genau jene Stunden, die den Kohle- und Atommeilern am Ende fehlen. Würde man eine vernunftgeleitete Energiepolitik verfolgen, müssten schon heute alle anderen Energien weichen, wenn Ökostrom ins Netz eingespeist wird.
Wenn nun in den nächsten Jahren die Offshore-Windkraft vorankommt, brechen den konventionellen Kraftwerken weitere Betriebsstunden weg. Gleichzeitig wird auch die Solarenergie zunehmend relevant für den Strommarkt. In diesem Jahr wird die Fotovoltaik in Deutschland die 7.000 Megawatt überschreiten. Und spätestens in fünf Jahren wird hierzulande die Leistung der Solarmodule höher sein als jene aller Atomkraftwerke zusammen. Die Solaranlagen kommen im Mittel zwar nur auf knapp 1.000 Vollbetriebsstunden im Jahr. Aber auch das sind wieder Stunden, die den Großkraftwerken entzogen werden.
Grundlastkraftwerke mutieren damit zwangsläufig zu Mittellastkraftwerken. Ökonomen mit Weitblick wissen das längst: "Es wird in Zukunft keine Grundlast mehr geben", verlautbart das Hamburgische Welt-Wirtschafts-Archiv. Entsprechend plädiert das Wirtschaftsforschungsinstitut dafür, "diesen Begriff zu streichen". In der Mittellast aber sind Atommeiler gleichermaßen unpraktikabel wie unrentabel.
Den Verdrängungsdruck seitens der erneuerbaren Energien spüren die Betreiber der Atomreaktoren längst: Immer öfter liefern Wind und Atom zusammen mehr Energie, als gerade benötigt wird. Wegen des Überschusses brechen dann die Preise am Spotmarkt der Strombörse ein. Und je häufiger im Jahr solche verlustträchtigen Stunden auftreten, umso geringer dürfte das Interesse der Betreiber von Atommeilern werden, an dieser Technologie festzuhalten.
In Deutschland gibt die Atomlobby nur ungern zu, dass der Ast, auf dem sie sitzt, schon reichlich morsch ist. In Großbritannien sind die Unternehmen offenherziger: Jüngst drohten dort die Atomkonzerne EdF und Eon, sie würden vom Neubau von Atomkraftwerken absehen, sollte die britische Regierung tatsächlich Ernst machen mit der massiven Förderung des Ökostroms. Denn der Windstrom gefährde die Rentabilität der Atomkraft erheblich, so ihre Einschätzung.
Für große Kohleblöcke trifft die mangelnde Rentabilität natürlich ebenso zu, doch die betroffenen Unternehmen in Deutschland verdrängen das Thema bislang erfolgreich. "Die Kraftwerksbetreiber haben offenbar noch gar nicht realisiert, was auf sie zukommt", schrieb kürzlich das Solarmagazin Photon. Denn schon mittelfristig mache der rasante Ausbau von Ökostrom "deren Kraftwerkspark unbrauchbar".
Für Atomkraftgegner ist dieser Sachverhalt natürlich Motivation, die Ökoenergien weiter zu forcieren. Denn wenn Eon, RWE, Vattenfall und EnBW ihren Atomstrom künftig keine 5.000 Stunden mehr kostendeckend im Netz unterbringen können, dürfte für sie eine Schmerzgrenze erreicht sein. In anderen Worten: Jede Solarstromanlage und jede weitere Kilowattstunde Windstrom sind schon für sich genommen ein weiterer Schritt in Richtung Atomausstieg - ganz egal wer ab Herbst in Berlin regiert.
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