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Debatte ArmutsmigrationDas schlechte Gewissen

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

In Deutschland wird überzogen auf die Zuwanderer aus dem östlichen Europa reagiert. Nur wenige von ihnen beziehen übrigens Hartz IV.

Roma-Kinder in Berlin-Neukölln Bild: Foto: dpa

N ur mal so eine Idee: Anti-Werbespots für Deutschland werden in Rumänien und Bulgarien im Fernsehen gezeigt. Man sieht zugewanderte Rumänen und Bulgaren, die hierzulande in Abbruchhäusern mit kaputten Heizungen frieren. Die in Jobcentern Sachbearbeitern begegnen, die abweisend den Kopf schütteln. Die im Regen in langen Schlangen vor den Notaufnahmen der Krankenhäuser stehen. Dazu dann der Text: „Deutschland – ein kaltes Land. Das Leben dort ist hart“.

Vielleicht könnte man die Anti-Deutschland-Werbespots abschließen mit romantischen Bildern der Karpaten oder des Schwarzen Meers: „Eure Heimat ist doch so schön.“ Was zynisch klingt, wurde in Großbritannien zumindest erwogen, wie die britische Zeitung Guardian schrieb. Dort dachten Politiker laut darüber nach, wie man eine Art Negativkampagne gegen Großbritannien in Bulgarien und Rumänien platzieren könnte, um die EU-Zuwanderer davon abzuhalten, auf die Regeninsel zu kommen.

Die Angst vor der „Armutszuwanderung“ aus den südosteuropäischen EU-Ländern wächst auch hierzulande. Dies muss dringend politisch moderiert werden. Denn inzwischen werden Zahlen, Vermutungen und Mythen in die Welt gesetzt, die mit der Wirklichkeit nur noch begrenzt zu tun haben.

Bild: Foto: Jutta Henglein-Bildau
Barbara Dribbusch

Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Sozialpolitik im Inlandsressort der taz. Zuletzt erschien von ihr das Buch "Älterwerden ist viel schöner, als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten" (Mosaik).

Unterm Strich sind im Jahre 2011 nur 58.000 Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland gekommen, Kinder mit eingerechnet. Rumänen sind etwa in den vergangenen Jahren in sehr viel größerer Zahl nach Italien migriert, allein schon wegen des wärmeren Klimas dort und der sprachlichen Ähnlichkeiten.

Nur bestimmte Straßenzüge sind betroffen

Es ist auch nicht anzunehmen, dass der überwiegende Teil der Zugewanderten aus Bulgarien und Rumänien Roma oder Sinti sind. In Rumänien und Bulgarien selbst liegt der Anteil der Roma und Sinti an der Bevölkerung zwischen drei bis vier Prozent, sagt Herbert Brücker, Migrationsexperte am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Bei der ethnischen Bestimmung wird auf Selbstauskünfte der Leute zurückgegriffen, amtliche Definitionen dazu gibt es in Deutschland nicht.

Bei näherer Betrachtung wirken die Zahlen auch sonst überschaubar. So verzeichnet Berlin-Neukölln für den Juni 2012 rund 4.500 gemeldete Rumänen und Bulgaren im Bezirk, Kinder inbegriffen. Davon bezieht die Mehrzahl keine Hartz-IV-Leistungen. Neukölln hat übrigens 316.000 Einwohner. Wo also ist das Problem?

Das Problem liegt in der Ballung von Belastungen in bestimmten Straßenzügen, vor allem aber in den Ängsten, was da noch kommen könnte an Armutszuwanderung. Ab 1. Januar 2014 können Bulgaren und Rumänen in Deutschland legal arbeiten und damit auch etwa bei einem Minijob ergänzende Hartz-IV-Leistungen beziehen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass es zu einer massiven Einwanderung ins Hartz-System kommt, da ja eine Erwerbstätigkeit Voraussetzung ist.

Das eingewanderte Elend

Für die Polen herrscht schon seit Mai 2011 Arbeitnehmer-Freizügigkeit. Die Zahl der polnischen ArbeitnehmerInnen hierzulande ist steil nach oben gegangen, die der polnischen Hartz-IV-Bezieher stieg hingegen nur vergleichsweise bescheiden an. Trotzdem bleibt die Angst vor der „Armutsmigration“. Denn es sind vor allem die Elendsbilder, die schon kleine Fallzahlen so bedrohlich wirken lassen.

Durch die Zugezogenen sieht man in Deutschland plötzlich mit eigenen Augen, welches gigantische Wohlstandsgefälle in der EU herrscht. Es kommen EU-Bürger, die hier in Obdachlosenunterkünften oder in Abbruchhäusern leben, in die hiesige Hartz-IV-Empfänger nicht einziehen würden. Vielköpfige Familien ohne Krankenversicherung, für die der Bezug von ein paar Hundert Euro Kindergeld schon ein Wohlstandsgewinn ist.

Wenn die Superarmen aus der EU so nahe rücken, wachsen bei den hier Ansässigen Verlustängste und Schuldgefühle. Dabei wird ein bisschen Wohlstandsgefälle in der EU ansonsten als komfortabel empfunden. Schließlich profitieren hierzulande Tausende Privathaushalte von billigen polnischen Reinigungs- und Pflegekräften.

Doch der Anblick der Superarmen ist etwas anderes. Wenn Menschen auf dem Bürgersteig knien und die Hände bettelnd heben und Frauen mit Babys vor der Brust die Vorbeieilenden mit leidendem Blick anschauen, dann nervt diese Ikonografie des Bittens und Bettelns. Man fühlt sich manipuliert durch so viel Demutsgesten. Sie berühren aber auch unser Gewissen.

Hysterische Stadtverwaltung

Die Konfrontation mit diesen zwiespältigen Gefühlen verstärkt den Wunsch nach Abgrenzung. Diesen Wunsch muss man respektieren. Erst recht, wenn er von Leuten kommt, die schon in sogenannten Problemvierteln leben und instabile Nachbarschaften fürchten, weil Besitzer von Abbruchhäusern ihre Räume zu Wuchermieten an Zuwanderer vermieten.

Im sogenannten Roma-Statusbericht von Berlin-Neukölln schreiben die Autoren, dass türkische und arabische Jugendliche sich in Jugendprojekten abgrenzen, wenn junge Roma dort auftauchen. Allerdings gibt es auch Systeme der Ausbeutung am unteren Rand, wenn türkischstämmige Zuwanderer aus Bulgarien an hiesige Hartz-IV-Bezieher saftige Gebühren für private Übersetzer- und Vermittlerdienste zahlen.

Die Belastungen durch obdachlose EU-Zuwanderer dürfen nicht nur in bestimmten Nachbarschaften belassen werden. Es ist richtig, wenn der Deutsche Städtetag für haushaltsmäßig klamme und besonders betroffene Kommunen wie Dortmund, Duisburg oder Berlin-Neukölln mehr Hilfe von den Länderregierungen und vom Bund fordert. Die Städte wollen Geld für die Beschulung und einen Gesundheitsfonds, um Nothilfe leisten zu können.

Es muss mehr Sanktionsmöglichkeiten gegen die überteuerte Vermietung von Schrottimmobilien geben. Doch der Wunsch der Städte, die Einreise aus der südöstlichen EU wieder zu blockieren, geht zu weit. Wir müssen bereit sein, mehr Fremdheit im eigenen Land zu akzeptieren, inklusive des unbehaglichen Gefühls, das uns beschleicht, wenn wir uns durch die Augen der Superarmen selbst betrachten.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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11 Kommentare

 / 
  • I
    Irmi

    Wir reagieren nicht überzogen. Das was der deutsche Staat macht ist überzogen. Sie nehmen Länder auf in die EU, die bereits pleite sind und lassen dann noch die Armutsflüchtlinge rein.

     

    Die machen dann einen Scheinselbständigkeit und ziehen dann den deutschen Staat und somit den Steuerzahler ab. Andere habe ich ein Video gesehen arbeiten ohne Lohnsteuerkarte 10 € die Stunde, das 12 bis 13 Std. am Tag, also schönes Schwarzgeld. In solche Viertel wie in diesem Video gezeigt, da geht keine Polizei rein ?????

  • DR
    Dr. rer. nat. Harald Wenk

    "Bettler sollte man abschafffen. man ärgert sich, wenn man ihnen gibt und wenn man ihnen nicht gibt" Nietzsche, gestorben 1900. "Nietzsches Bettlerdilemma".

     

    Ja, und dann dschauen unser Politgroßmeosteschachakteue nach, was man mit dieser "Gewissensvariante", rechnergestützt, soziologigestüzt, denn noch mit ein par neuren zügen sonst noch alles, es ist schon viel damit "gewonnen" worden, an FORMIERUMNG DER STRATIFIZIERUNG der immer noch klassengesellschaft, so anfangen (Segregation).

     

    ZUsamamn mit dem "Gefangendillama" aus de Spielthorie für den Fianazmarkt bekommen wir:

     

    WORKFARE und PRISONFARE!! Ein richigdes politisch-soziologisches Doppedispositiv!! S

     

    Auch in den Heimatländern!!! Tja, was der professionelle menschliche Verstand so alles kann, wenn er "was gwewinn will"..

     

    Wie war der Gegenzug nochmal? ach ja, hoch die internationale solidarität!! Als Dipositv, versteht sich.

  • O
    Ora-Ïto

    "Es kommen EU-Bürger, die hier in Obdachlosenunterkünften oder in Abbruchhäusern leben, in die hiesige Hartz-IV-Empfänger nicht einziehen würden."

     

    Ja, da schau her! Ist ’s schon so weit, dass eine taz-Redakteurin erwartet, dass ‘eingeborene’ Transferleistungsberechtigte in "Obdachlosenunterkünften" zu wohnen hätten?!

    Aber wenn wir die politischen Limits auf derart diffuse Levels ziehen, wie es der Frau Dribbusch vorschwebt, dann wär ’s wohl bald so weit, und das nicht nur für jene; Wurde hier durch Frau Dribbusch soeben die delirierend linke(?) Vollpfosten-Version von: “Am deutschen Wesen soll die Welt genesen” vorgestellt‽

    Ich lassen mir keine "Angst" anquatschen – und mit (mittelfristig) realisierbarer Politik (im D-Alleingang) hat der Artikel absolut nix zu tun! Welche Claqueure solcherlei Polittraumtänzerei anzieht, sieht man an den bereits eingegangenen Leserkommentaren. Neben Frau Herrmann scheint auch Frau Dribbusch der irrigen Meinung zu sein, dass D alle Defizite, Mängel auf diesem Planeten durch Geld kompensieren, weg-finanzieren könnte: „All U need is €$!“ Jo, DAS hätten wir also gelernt, mehr offenbar aber nicht.

  • EE
    Erwin E.

    Die wahre / aka die Ware Armut

    wandert in Form von Ärzten nach England,

    in Form von allen Anderen nach ...

    kann man jeden Tag auf "Wir wandern dann mal aus" sehen.Und es ist genau hier wie da nicht die Armut der Menschen, sondern der Staaten, die alle dem Amerikanismus fröhnen.

  • Y
    YOO!

    @ Neumi:

    Wenn dir die Analphabeten nicht passen, dann ist es langsam Zeit, dass DU Lese- und Schreibunterricht kostenlos erteilst. Deutsch und Deutsch.. die Wirtschaft und das Kapital kennen keine Nationalitäten. qed. Was denen "da unten" (sic) geschieht, trifft dich früher oder später auch, oder bist du etwa an der Spitze des Kapitals? (Neumi an der Forbesliste)

    • T
      Trub
      @YOO!:

      YOO!, Neumi muss keinen Unterricht erteilen wenn er es nicht will. Die Zugezogenen sollten sich selber an Kursgeber wenden, was viele aber nicht wollen.

  • N
    Neumi

    @Vic Da hast Du völlig recht,Die Polen die ich kenne arbeiten alle für ca 1000€ Netto bei einer 40h Woche!Die können aber alle Lesen und Schreiben und sind der deutschen Sprache mehr oder weniger gut mächtig.Trotzdem kommen ab 2014 noch mehr Großfamilien aus Bulgarien und Rumänien.Da reicht ein 3 Monatsjob für 450€ plus Kindergeld zum Leben!Immer noch mehr als da unten!Und nach 3 Monaten haben sie Anspruch auf Harz 4.Ich mache es nicht diesen Menschen zum Vorwurf.Aber die Politik muß sich was einfallen lassen!Der Lohnabstand zwischen Harz 4 und einem Vollzeitjob stimmt nicht mehr.Gerade in Berlin wo die Löhne eh schlecht sind.Ein alleinstehender Altenpfleger der 1600€ brutto hat,stellt sich schlechter als ein Harz 4 Empfänger mit einem 300€ Job.Gez,BVG-Monatskarte,Zuzahlungen für die Krankenkasse,(Härtefallregelung),Tafellebensmittel,etc.Deswegen freut sich die Deutsche Wirtschaft auf billige Arbeitskräfte.Trotz alledem brauchen wir Qualifizierte Zuwanderer.Und keine Analphabeten.

  • H
    hto

    @YOO!

     

    Nein! Der Faschismus ist bisher immer und überall, denn er läuft zeitgeistlich-reformistisch im Kreislauf des geistigen Stillstandes seit der "Vertreibung aus dem Paradies" (unser erster und bisher einzige GEISTIGE Evolutionssprung) und wird derzeit mit einer Welt- und "Werteordnung" als "freiheitlicher" Wettbewerb mit "Demokratie" durch Kreuzchen auf dem Blankoscheck im "Recht des Stärkeren" betrieben.

     

    Abgrenzung ist immer ein LOGISCHES Symptom der systemrationalen Spaltungsmechanismen (Neurosen und Psychosen von und zu von Staat und Kirche gebildeter Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche), was das teils brutal-egoisierende "Individualbewußtsein" und die Unwahrheit erhält und Möglichkeiten eines geistig-heilenden Selbst- und Massenbewußtsein verhindert.

     

    Toleranz, zweifelsfreie Wertigkeiten und wirklich-wahrhaftiges Menschentum, nur OHNE die Symptomatiken des nun "freiheitlichen" Wettbewerbs - auf der Basis eines dann unkorrumpierbaren MENSCHENRECHTS auf bedingungslose Grundversorgung mit NAHRUNG, mietfreies WOHNEN und von "Sozial"-Versicherungen und "sozialverträglichem Frühableben" unabhängige GESUNDHEIT, denn wenn GRUNDSÄTZLICH alles allen gehört, so daß "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" absolut keine Macht mehr hat, kann PRINZIPIELL alles auch OHNE Steuern zahlen, OHNE manipulativ-schwankende "Werte", OHNE Zeit-/Leistungsdruck zu einer Karriere von Kindesbeinen, usw., organisiert (NICHT regiert!) werden!!!

  • V
    vic

    Die da schreien: Weg mit dem Armutspöbel, würden blöd gucken wenn ihr Essen teurer (Fleischverarbeitung), der Versandhandel (amazon u.A.)einbrechen, etc.

    Da überall die billigen Arbeitssklaven wegfallen würden.

    Diese Leute arbeiten- und zwar zu Bedingungen, die Deutsche nicht akzeptieren würden.

  • P
    pekerst

    "... allein schon wegen des wärmeren Klimas dort..." - Es gibt kein "wärmeres Klima", denn Wärme ist nur ein Aspekt in der ebenso abstrakten wie komplexen Größe "Klima". Aber bei Journalist(inn)en gibt es halt auch eine "Klimaerwärmung". Na, dann legt das Klima mal in die Pfanne und stellt es auf den Herd!

  • Y
    YOO!

    Nein! Abgrenzung ist der Anfang des Faschismus, man darf diesen Wunsch nicht respektieren. Toleranz heißt Offenheit gegenüber das Menschentum, nicht die Akzeptanz von Ideologien, die in der Intoleranz ihre Existenz begründen.