Debatte Antiziganismus: Blackbox Roma
Die allermeisten wissen nichts über die Kultur und die Lebensbedingungen der Roma in Europa. Und so blüht das Ressentiment.
R om heißt "Mensch". Doch wen interessiert das und wer beachtet das? Journalisten schreiben über die real gar nicht existierende und auf jeden Fall nicht von den Roma zu verantwortende "Roma-Frage". Mit ihrer Lösung beschäftigen sich Sozialarbeiter und Kriminalisten, die dafür von Politikern alimentiert werden, welche in den Roma bloße Objekte ihrer Politik sehen, aber so gut wie nichts über sie wissen. Oder sie wie Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy für den Wählerfang am rechten Rand instrumentalisieren.
Dieses Nichtwissen haben die Politiker mit Geschichts- und sonstigen Professoren gemein, die erfolgreich verhindern, dass ihre Lehrer- und sonstigen Studenten etwas über die Roma in Erfahrung bringen, was sie ihren künftigen Schülern vermitteln könnten.
Gezieltes Nichtwissen
Wolfgang Wippermann ist außerplanmäßiger Professor am Friedrich-Meinecke-Institut an der FU Berlin. Seine Schwerpunkte sind Antiziganismus, Faschismustheorien und die Geschichte des Kommunismus.
Wissen wäre aber nötig, um die Vorurteile bekämpfen und überwinden zu können. Und von denen sind gerade die Roma betroffen. Nach Umfragen, die allerdings einige Jahre zurückliegen und nicht erneuert wurden, hassen über 60 Prozent der gegenwärtigen Deutschen die Roma, welche sie häufig und ebenso fälschlich wie vorurteilshaft als "Zigeuner" bezeichnen.
In unseren östlichen und jetzt auch einigen westlichen Nachbarländern ist der Antiziganismus noch weiter verbreitet. Hier werden die Roma nicht mehr "nur" gehasst und diskriminiert, hier werden sie verfolgt, nachdem sie ihrer Bürger- und Menschenrechte beraubt worden sind. Doch das interessiert hierzulande kaum jemanden.
Dies ist zugegebenermaßen "viel Thesen-Holz", das der Begründung bedarf. Fangen wir mit der Journalistenschelte an. Ständig wird über die "Roma-Frage" berichtet, ohne zu erwähnen, dass für sie nicht die Roma, sondern die Nichtroma verantwortlich sind. Nicht die Roma sind das Problem. Das Problem ist die Roma-Feindschaft. Dafür hat sich der Begriff des Antiziganismus eingebürgert. Genau wie man Antisemitismus nicht den Juden anlasten darf, kann man die Roma nicht für den Antiziganismus verantwortlich machen. Antiziganismus, Antisemitismus und andere Varianten des Rassismus sind das Problem der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft.
In der Berichterstattung über die Roma wurde in den letzten Wochen und Monaten ständig von der "Roma-Migration" geredet. Die aber gibt es gar nicht. Es gibt Roma-Migranten, aber keine Massenwanderung von Roma. Für die Auswanderung oder besser Flucht einiger Roma aus ihren Heimatländern wurden zudem fast ausschließlich soziale Probleme verantwortlich gemacht. Aber auch diese Feststellung ist in der Pauschalisierung nicht richtig.
Schließlich sind nicht alle Roma in allen Ländern arm, wie umgekehrt nicht alle Armen in allen Ländern Roma sind. Armut ist ein soziales Problem, das nicht ethnisiert werden darf. Bei der Kriminalität ist es ebenso. Sicher gibt es neben deutschen oder italienischen auch kriminelle Roma. Es gibt jedoch keine Roma- oder "Zigeuner- Kriminalität". Die Ethnisierung von Armut und Kriminalität zeugt von einer antiziganistischen Denkweise. Dass diese so weit verbreitet ist, liegt nicht nur, aber vornehmlich daran, dass die Mehrheitsgesellschaft so wenig über die Roma weiß.
Armut als ethnisches Problem?
Schuld daran ist nicht nur, aber vor allem mein Berufsstand - die Professoren. Denn die haben sich kaum mit der Geschichte und Gegenwart der Roma und noch wichtiger und beklagenswerter so gut wie gar nicht mit der Geschichte und Gegenwart des Antiziganismus beschäftigt. An keiner deutschen und meines Wissens auch keiner europäischen Universität gibt es ein Institut für Antiziganismusforschung, und auf der Welt werden so gut wie nirgends Roma-Studien betrieben. Wie kann man in Schule und in der politischen Bildung über Roma unterrichten - die mit insgesamt 12 Millionen Angehörigen die größte Minderheit Europas stellen - und Antiziganismus bekämpfen, wenn man über beides kaum etwas weiß?
Nun weiß ich aus eigener leidvoller und seit dreißig Jahren betriebener Praxis, dass Wissen allein nicht hilft und Aufklärung auf unüberwindbar scheinende Grenzen stößt. Doch man sollte es zumindest versuchen. Hier sind zudem nicht nur Professoren, Lehrer und politische Bildungsarbeiter gefragt, hier muss der politisch mündige Bürger ran.
Bürgerliche Saumseligkeit
Wo ist er geblieben? Wir protestieren gegen alles Mögliche. Gegen den Abriss eines Bahnhofs und das Fällen von Bäumen. Doch wer protestiert gegen die Diskriminierung der hiesigen und die Verfolgung der ausländischen Roma? Gegen die Abschiebung beziehungsweise Deportation der Roma aus Frankreich in diesem Jahr. Gegen die antiziganistischen Pogrome in Italien des letzten Jahres. Gegen die bevorstehende Abschiebung von tausenden Roma, die während des Kosovo-Krieges 1999 nach Deutschland flohen und nun wieder in den Kosovo rückgeführt werden? Mithin in ein wirtschaftlich komplett marodes Land, in dem der Antiziganismus sehr stark verbreitet ist. Wer schließlich tritt ein gegen die seit Jahren und Jahrzehnten zu beobachtende rassistisch motivierte Unterdrückung und Verfolgung der rumänischen, slowakischen, ungarischen und bulgarischen Roma durch Parteien und Staaten, die eindeutig faschistisch sind, aber meist als nur rechtspopulistisch bezeichnet werden?
Einige Roma- und Menschenrechtsorganisationen warnen bereits vor der Gefahr eines Völkermordes. Doch bei uns nimmt das kaum jemand wahr. Wir wollen wieder einmal von allem "nichts gewusst" haben.
Rom heißt Mensch. Doch für viele Deutsche und andere Europäer sind die Roma immer noch "nur Zigeuner".
WOLFGANG WIPPERMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“