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Debatte Afrikas EinheitBefreiung von der Utopie

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

In Politik und Sport wird die afrikanische Einheit beschworen. Doch dieses Wir-Gefühl wird brüchig. Und das ist eine gute Nachricht.

D ie Geschichte des modernen Afrika wurde mit Blut geschrieben. Millionen Afrikaner kamen im Freiheitskampf gegen Kolonialismus und Apartheid ums Leben, tiefe Wunden von damals prägen bis heute viele Gesellschaften. Gemeinsam Rassismus und Fremdherrschaft zu überwinden hat zugleich den Kontinent zusammengeschmiedet und ein gesamtafrikanisches Bewusstsein geschaffen.

So lautet der Gründungsmythos des neuen Afrika, das sich in der internationalen Politik immer stärker bemerkbar macht. Afrikanische Politiker fordern für den Kontinent einen Platz an der Sonne, verlangen ein Ende von Benachteiligungen und kalkulieren Milliardensummen als gerechten Ausgleich für vergangenes und zukünftiges Leid. Die Afrikanische Union ist der politische Ausdruck dieses Selbstbewusstseins, die afrikanische Weltmusik ihr kulturelles Äquivalent, und auf der Fußball-WM in Südafrika dieses Jahr will sich das neue Afrika global feiern lassen.

Zugleich dümpelt die Afrikanische Union vor sich hin, afrikanische Kultur vermarktet sich allzu oft als Selbstparodie, und der Fußball ruft in Afrika heutzutage eher nationalistische Reflexe hervor. Algerier und Ägypter schlagen sich die Schädel ein, Angola macht beim Afrika-Cup ausländischen Fans die Einreise schwer - und als dort vor drei Wochen die Fußballnationalmannschaft Togos Opfer eines Rebellenangriffs wurde, waren die Reflexe aus dem WM-Gastgeberland Südafrikas nicht minder gedankenlos: Im offiziellen Südafrika wallte Empörung darüber auf, dass jemand es wagen könnte, einen Vergleich zwischen Südafrika und Angola zu ziehen.

Bild: taz

DOMINIC JOHNSON ist Afrika-Redakteur der taz.

Gedankenlos war dies nicht nur, weil Südafrika die WM als Fest für den ganzen Kontinent vermarktet. Erstaunlich war auch, wie jegliches historische Bewusstsein dabei ausgeschaltet wurde. Denn Südafrika und Angola sind durch eine gemeinsame Geschichte miteinander so leidvoll verbunden wie zum Beispiel Deutschland und Polen. Noch vor gut zwanzig Jahren wurde auf angolanischem Boden auch um das Überleben des südafrikanischen Apartheidregimes gekämpft: Die weißen Generäle stemmten sich im Busch von Angola gegen den "Vormarsch des Kommunismus".

Die schwarzen Freiheitskämpfer des ANC unterhielten in Angola und vielen anderen "Frontstaaten" Trainingslager und Exilstrukturen. Und nachdem die Apartheid in Südafrika 1994 endete, versuchten manche weiße Nostalgiker vergeblich, der Unita-Rebellion von Jonas Savimbi in Angola zum späten Sieg zu verhelfen, um sich damit eine neue Rückzugsbasis zu schaffen.

Dass dies nicht gelang, ist einer panafrikanischen Solidarisierung zu verdanken, die später im Streit über die Kontrolle des Kongo zu Bruch ging - die Folgen prägen noch heute das östliche und südliche Afrika. Wie kann sich Südafrikas Regierung da heute hinstellen und sagen, mit Angola habe man nichts zu tun?

Es geht natürlich nicht um Sport. Es geht um politische Identität in einer Zeit, in der die historische Erinnerung allmählich erlöscht. Heute regiert in Afrika kein einziger Anführer einer antikolonialen Befreiungsbewegung mehr - mit Ausnahme von Robert Mugabe in Simbabwe und vielleicht noch Isaias Afewerki in Eritrea, nicht zufällig den beiden finstersten und isoliertesten Diktatoren des Kontinents.

Die Zeiten, in denen sich die Anführer afrikanischer Untergrundbewegungen vor und nach ihrer Machtergreifung gegenseitig halfen, sind lange vorbei. Wer heute noch versucht, mit Befreiungsarmeen über Landesgrenzen zu marschieren, landet wie Liberias Charles Taylor vor Gericht in Den Haag. Afrikanische Universitäten und Militärhauptquartiere sind keine revolutionären Kaderschmieden mehr.

Auch das gegnerische prowestliche Lager ist nicht mehr, was es einmal war. Die früheren Diktatoren von Zaire, der Elfenbeinküste, Marokko, Togo und Gabun sind alle tot. Heute herrschen dort entweder ihre Söhne - oder die Länder versanken im Bürgerkrieg. Afrikas heutige Präsidenten sind Produkte einer rein nationalen, technokratischen Politik. Afrika ist für sie nicht mehr gedankliche Heimat, sondern Bühne der Selbstdarstellung. An das "Ein-Afrika-Gefühl" oder dessen Wiederauferstehung glaubt nur noch der Tourist - oder Gaddafi.

Kontinent der Vielfalt

Das wirkliche Afrika ist für solche Vereinfachungen zu groß - und es wird immer größer. Der Kontinent hat heute viermal so viele Einwohner wie zur Zeit der Entkolonisierung, die Hälfte der Bevölkerung ist unter 18 und lernt nichts über die Geschichte ihrer Vorväter. Bis Mitte des Jahrhunderts wird allein Nigeria eine Viertelmilliarde Einwohner haben - so viel wie ganz Afrika Mitte des 20. Jahrhunderts.

Uganda wird mehr Einwohner haben als Russland; Kongo mehr als Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen. Neue soziale Zusammenhänge und neue politische Bewusstseinsformen werden entstehen - und es wird sich herausstellen, dass viele afrikanische Staaten in ihrer jetzigen Form eher zu groß sind als zu klein, um die Probleme ihrer Menschen zu lösen beziehungsweise die Dynamik ihrer Gesellschaften aufzufangen.

Afrikas kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt ist einzigartig - und sie wird sich weiter entfalten. Eigentlich ist das ein schönes Zukunftsszenario. Denn wenn von afrikanischer Einheit überhaupt noch die Rede ist, dann liegt das daran, dass die Hautfarbe in der globalen Politik noch immer eine Rolle spielt.

Der Panafrikanismus war immer auch ein Kampf gegen Rassismus. Einen großen Teil seiner Inspiration bezog er und bezieht er noch immer aus Amerika, von den schwarzen Nachkommen der afrikanischen Sklavenbevölkerungen in den USA und der Karibik. Deswegen ist Barack Obama so wichtig für Afrika, deswegen zerreißen die Bilder aus Haiti heute afrikanische Herzen. Aber wenn es einmal egal ist, ob jemand schwarze oder weiße Haut hat, zerbröselt die Idee, dass Afrikaner oder Schwarze überhaupt eine Einheit bilden müssen.

Afrika gibt es nicht? Das wäre falsch.

Aber vielleicht sollte es Afrika nicht geben. Die gemeinsame Vergangenheit ist unauslöschlich. Doch die Zukunft bestimmt jeder selbst: Das ist Freiheit.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.

8 Kommentare

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  • SP
    Siegfried Paul Posch

    @ Antwort auf Philippos Berhane - "08.03.2010 11:43

    UHR"

     

    Genau das, was Sie sagen, wurde gestern (nach "16:

    00") in einem Gespräch in den Räumlichkeiten der

    "Grünen" beim Aufgang zum Grazer Schloßberg von

    Herrn Lukas Beiglböck (einem, wie man meinen

    sollte, Kenner Afrikas durch Reisen)

     

    http://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/graz/2191375/oevp-hat-gruenen-enge-getrieben.story

     

    kategorisch bestritten: im Namen einer politischen

    Partei, für welche Herr Beiglböck Namen aus Afrika

    für Mitarbeiter reklamiert. Es gibt drei Zeugen

    für das Gespräch. Was, glauben Sie, kann in Graz

    schuld daran sein?

    Siegfried P. Posch

    Keine Antwort per E-Mail möglich!

  • PB
    Philippos Berhane

    Sehr geehrter Herr Dominic Johnson bis heute war ich ein begeisterter Leser ihrer Artikel. Doch dieser Artikel ist in vergleich zu ihrer bisherigen Arbeit für mich nicht ganz nach zu vollziehen! Trotz allem kann und muss ich ihnen im vielen Recht geben! Aber gegen einige Punkte in ihrem Artikel muss ich vehement widersprechen, sie machen mich wütend so eine Argumentation von jemand wie ihnen hätte ich nie erwartet!!!!

     

    1.„An das "Ein-Afrika-Gefühl" oder dessen Wiederauferstehung glaubt nur noch der Tourist - oder Gaddafi“. Es gibt noch viele Menschen mehr als Sie glauben! Die daran glauben und genau wissen dass nur so ein Gefühl eine Chance für Afrika ist im Zeitalter des Neokolonialismus! Auch wird nur so ein Gefühl uns gegen die immer stärker werdenden Wirtschaftsinteressen Europas, USA, China schützen! Ohne dieses „Gefühl“ ist die Gefahr groß das wir immer der Spielball der Herrschenden Mächte! Es wird doch immer versucht dass dieses nicht aufkommt zulassen! Und das erst nicht zeit heute!!!!

     

    2.„Der Panafrikanismus war immer auch ein Kampf gegen Rassismus. Einen großen Teil seiner Inspiration bezog er und bezieht er noch immer aus Amerika, von den schwarzen Nachkommen der afrikanischen Sklavenbevölkerungen in den USA und der Karibik.“ Wie soll ich den diesen Satz verstehen dass es keinen Rassismus mehr gibt und somit der Panafrikanismus nicht mehr notwendig ist? Der Panafrikanismus war nicht nur ein Kampf gegen Rassismus, sondern auch ein Kampf gegen Imperialismus und das dieser Kampf nicht ausgestanden ist können sie hoffe ich nicht widersprechen!! Der Panafrikanismus ist nicht tot!!!! Er lebt immer noch!! Auch wenn die herrschenden Afrikas und ihrer Verbündeten seit 50 Jahren versuchen ihn zu unterdrücken! Und wenn sie so was schreiben sollten sie es auch belegen und begründen!!

    3.Afrika gibt es nicht? Das wäre falsch. Aber vielleicht sollte es Afrika nicht geben. Die gemeinsame Vergangenheit ist unauslöschlich. Doch die Zukunft bestimmt jeder selbst: Das ist Freiheit.“ Das ist der Satz der mich am meisten ärgert und auch noch dazu peinlich ist! Die Freiheit jedes einzelnen in Afrika kann nur gemeinsam erreicht werden auf Grund der folgen der „ Afrika Berlin-Konferenz“! Wenn die gemeinsame Vergangenheit unauslöschlich ist, kann die Zukunft nicht jeder selbst bestimmen! Die Zukunft sollte immer von allen bestimmt werden!!!

  • PK
    Peter Krupp

    Die Detailkenntnisse des Autors koennen nicht darueber hinwegtaeuschen, dass er keinen Nachweis erbringen kann, warum der Panafrikanismus am Ende sein soll.

    Den Schlusssatz finde ich doppelt peinlich: zum einen ist das Geschwafel von der Freiheit grund- und zusammenhanglos, zum anderen hat der Afrika-Redakteur wohl nicht begriffen, dass der westliche Individualismus kein Modell fuer Afrika sein kann.

  • SP
    Siegfried Paul Posch

    Es ginge sehr wohl um den Sport auch. Die

    österreichische Diplomatin Ursula Plassnik

     

    http://de.wikipedia.org/wiki/Ursula_Plassnik

    (ich zitiere als Mitarbeiter der "Wikipedia")

     

    debattierte zuletzt in der vielleicht

    renommiertesten österreichischen Zeitung,

    DER STANDARD, mit Gerhard Roth, der zu

    denken scheint, der Fußball werde seine

    völkerverbindende Rolle nicht einbüßen.

    Frau Plassnik belehrte Gerhard Roth aber,

    daß nur die Politik selbst - das

    "tätige Leben" - Politik machen könne;

    die Literatur sei nur Literatur. Ich glaube,

    was Politik an erster Stelle braucht, ist

    eine Bibliothek. Das könnte man wohl in

    Washington, D. C., schwer bestreiten. Und

    auch in Moskau nicht. Wie man es im antiken

    Pergamon und in Alexandrien schwer

    bestreiten hätte können. In Graz wird

    über die Bibliotheken der Stadt zuletzt

    wieder schön informiert.

    Siegfried P. Posch

  • AH
    Aman Hagos

    wenn es gerechtigkeit gebe wer ERITREA vor von allen akzebt. aber da es keine gerechtigkeit gebt ist immer ERITREA für allen ein ........Land. aber sie alles PRESS müssten fakten herrvorlegen und wahrheitsgerecht den menschen schreiben.

     

    es sind nur ein hand volle die gegen ihre HEIMAT und weil ERITREA ist die einsige LAND in AFRICA die zugang zur WASSER, STRASSENBAU, SCHULEN und so weiter...., nicht was USA sagen sondern hin fahren und ansehen..

  • KE
    Karima El.

    Die Idee des Panafrikanismus ist doch keine rassistische Gleichmacherei! Im Gegenteil: Der Zweck der panafrikanischen Idee besteht darin, die zersplitterte Natur der afrikanischen Existenz, ihre Marginalisierung und Verfremdung zu erkennen. Panafrikanische Vertreter wie Nkrumah haben bereits 1960 ("Africa must unite!") erkannt, dass der einzige Ausweg aus dieser existenziellen, sozialen und politischen Krise nur die Förderung von Solidarität unter Afrikanern sein kann.

    Dass ein größenwahnsinniger Qadafi die Afrikanische Union für seine Zwecke instrumentalisiert, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Afrikanische Union für afrikanische Integrationsbemühungen von enormer Bedeutung ist!

  • M
    mekete

    ... "der Hund bellt, während das Kamel marschiert". Wir in Eritrea wissen ganz genau wohin wir marschieren während DOMINIC JOHNSON/taz bellt!

  • P
    p.peterson

    @DOMINIC JOHNSON

     

    ein sehr gelungener artikel muss ich sagen.

    sie haben in dem artikel auch eritrea erwähnt, für welches ich mich sehr interessiere, aber es wird aus meiner sich ganz wenig über eritrea geschrieben.

    sie als afrika redakteur könnten doch bestimmt einen artikel über eritrea schreiben.

    ich interessiere mich vorallem für die geschichte eritreas, die problematik mit der sich das jüngste afrikanische land auseinandersetzen muss und musste.

    ganz wichtig wäre vielleicht auch das thema un, ganz speziel das verhältnis eritrea und die un, eritrea/ethiopien, eritrea/die westliche welt.

    und natürlich auch die vor kurzem erhängte sanktion gegen eritrea, weil ich der meinung bin das die begründung eigentlich nicht ausreicht zumal es auch keine beweise dafür gibt.

    das ganze erinnert mich an die us. beweise bevor sie in den iraq marschiert sind und die welt hat es einfach geschluckt.

     

    ich würde mich freuen wenn es einen solchen artikel in der taz geben würde, welcher gut recherchiert und ausführlich wäre.

    ich erhoffe mir davon viel da sie und ihre kollegen nähm ich experten auf dem gebiet sind.

     

    mfg

    p.peterson