Freiheit ist der Deal

Wikileaks-Gründer Assange hat London verlassen. Er will sich teilschuldig bekennen und nach Australien zurückkehren

Freiheit mit einer Prise Kerosin: Assange beim Zwischenstopp auf dem Heimweg Foto: wikileaks/X via dpa

Von Eric Bonse
(Brüssel), Hansjürgen Mai
(Washington), Urs Wälterlin
(Sydney) und Daniel Zylbersztajn-Lewandowski (London)

Der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange, und die US-Justizbehörde haben sich auf einen Deal ge­einigt, der es dem Australier erlauben soll, als freier Mann in seine Heimat zurückzukehren. Assange soll sich vor einem US-Gericht wegen Spionage schuldig bekennen und zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt werden. Das entspricht der Zeitspanne, die der Whistleblower in London bereits in einem Hochsicherheitsgefängnis saß. Im Gegen­zug bleibt dem 52-Jährigen eine weitere Haft in den USA erspart, die bisher seine Auslieferung verlangt hatten.

Stattdessen soll Assange umgehend freigelassen werden und dann in seine Heimat Australien reisen. Das geht aus US-Gerichtsdokumenten hervor. Seine Ehefrau Stella bestätigte die Abmachung. Ihr Ehemann werde sich in einem Anklagepunkt im Zusammenhang mit dem US-Spionagegesetz schuldig bekennen, sagte sie am Dienstag der BBC. „Er wird ein freier Mann sein, sobald das Abkommen von einem Richter unterschrieben ist, und das wird irgendwann morgen [am Mittwoch] geschehen.“ Priorität habe, dass ihr Ehemann „wieder gesund wird – er ist seit fünf Jahren in einem schrecklichen Zustand“. Seine Unterstützer hatten wiederholt die schlechte Gesundheit des Wikileaks-Gründers beklagt.

Wikileaks bestätigte am Dienstag Assanges Freilassung aus einem britischen Gefängnis. In einem Post auf der Plattform X war zu sehen, wie Assange in Londoner ein Flugzeug besteigt, um Großbritannien zu verlassen. Am Dienstagmittag (Ortszeit) landete die Maschine mit Assange in Thailands Hauptstadt Bangkok. Flughafenvertreter teilten der Nachrichtenagentur mit, das Flugzeug sei dort nur gelandet, um zu tanken, und werde am Dienstagabend (Ortszeit) nach Saipan, der Hauptstadt des US-Außengebiets Nördliche Marianen im westlichen Pazifik, aufbrechen. Dort soll Assange vor einem US-Bundesgericht erscheinen.

Er soll sich laut den Berichten in einem Anklagepunkt der unerlaubten Beschaffung und Veröffentlichung von geheimen US-Militärinformationen schuldig bekennen. Für dieses Vergehen soll er eine Gefängnisstrafe von 62 Monaten bekommen, also genau der Zeit, die er bereits in einem Gefängnis in Großbritannien abgesessen hat. So könnte der gebürtige Australier anschließend als freier Mann in seine Heimat zurückkehren.

Erst im vergangenen Monat hatte ein Gericht in London entschieden, dass Assange seine Auslieferung in die USA weiter rechtlich anfechten kann. Es war das vorerst letzte Kapitel in einem Verfahren, das mit der Veröffentlichung von geheimen US-Militärinformationen und einem Video, welches einen US-Luftangriff im Irak zeigte, vor 14 Jahren begann.

Julian Assange und Wiki­leaks sollen sich laut der ameri­kanischen Anklageschrift ab 2009 aktiv auf die Suche nach geheimen Informationen der US-­Regierung gemacht haben. Die ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiterin Chelsea Manning habe daraufhin tausende ihr zur Verfügung stehende Geheiminformationen an Wikileaks weitergeleitet. Manning wurde 2010 verhaftet und zu 35 Jahren Haft verurteilt. Der US-Präsident Barack Oba­ma setzte die Strafe nach sieben Jahren Haft aus.

Die US-Regierung hatte Assange vorgeworfen, die erhaltenen Informationen nicht sorgfältig vor der Veröffentlichung überprüft zu haben und dadurch Menschen in Gefahr gebracht zu haben. „Kein verantwortungsbewusster Akteur, sei es ein Journalist oder sonst jemand, würde absichtlich die Namen von Personen veröffentlichen, von denen er weiß, dass es sich um vertrauliche menschliche Quellen in einem Kriegsgebiet handelt, und sie damit der größten Gefahr aussetzen“, sagte der ehemalige stellvertretende Generalstaatsanwalt John Demers zum Zeitpunkt der Anklageerhebung.

Im Jahr 2019 entzog die ecuadorianische Regierung Assange den Flüchtlingsstatus, nachdem er mehr als sieben Jahre in der Botschaft des südamerikanischen Landes in London Unterschlupf gefunden hatte. Kurz darauf wurde er von den britischen Behörden verhaftet. Die US-­Regierung unter Präsident Donald Trump erhob im Mai 2019 dann Anklage gegen Assange. Das US-Justizministerium warf ihm vor, maßgeblich an „einem der größten Missbrauchsfälle von Geheiminformationen in der Geschichte der Vereinigten Staaten“ beteiligt gewesen zu sein.

Nicht nur Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbände beäugen den Fall seit Jahren kritisch. Entsprechend positiv fielen nun die Reaktionen aus: „Der jahrelange Kampf seiner Angehörigen und vieler internationaler Journalisten- und Menschenrechtsorganisationen war erfolgreich“, erklärte etwa der Deutsche Journalisten-Verband. Wikileaks teilte auf X mit, es habe lange Verhandlungen mit dem US-Justizministerium gegeben. Nach mehr als fünf Jahren „in einer zwei mal drei Meter großen Zelle, in der er 23 Stunden am Tag isoliert war“, werde Assange aber bald wieder mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Kindern vereint sein, „die ihren Vater bislang nur hinter Gittern kennen“.

Er wird ein freier Mann sein“

Stella Assange, Ehefrau
Australien begrüßt ­Freilassung

In seiner Heimat Australien wurde Assanges baldige Freilassung begrüßt. „Wir wollen, dass er nach Australien zurückgebracht wird“, erklärte Premierminister Anthony Albanese am Dienstag, mit einer Spur von Ungeduld in der Stimme. Seine Reaktion spiegelt die Meinung des Großteils der australischen Bevölkerung wieder. In Internetforen und in den sozialen Medien herrschte teilweise sogar Jubelstimmung. „Es ist mal Zeit geworden“, schrieb eine Kommentatorin auf Facebook. Die bekannte Journalismus-Dozentin Wendy Bacon meinte, sie habe geweint, als sie von der bevorstehenden Freilassung gehört habe.

Und in Europa? In Brüssel blieben Reaktionen am Dienstag zunächst aus. Weder die für Medienpolitik zuständige EU-Kommissarin Věra Jourová noch Behördenchefin Ursula von der Leyen hielten es für nötig, den Deal zwischen Assange und den USA zu kommentieren. Anders Bundesaußenministerin Annalena Baerbock: Sie sagte am Rande einer Nahostreise, „sehr froh“ zu sein, dass in der Causa eine Lösung gefunden wurde.