David Bowie als Gayikone: Ein Model unter Bauerntrampeln
Mit Bowies „I am gay“ war in der Welt, dass Schwules nicht mehr Gegenstand vom Schweigen sein muss. Bowie, ein Dealer mit queeren Rollen.
Das waren hippieske Körperkommentare zu den soldatisch anmutenden Vorstellungen von gutem Aussehen noch bis in die Sechziger. Gegen Bowie, das elegante Model unter so vielen Bauerntrampeln des Pop, wirkten alle andere, als mieden sie Deodorants, Seifen und Kämme.
Und dann kam einer wie er, dieser Mann, der in einem Interview 1972 mit der britischen Popnachrichtenillustrierten Melody Maker sagte: „I am gay.“ Es war für alle Welt als Selbstauskunft wahnsinnig bizarr. Niemand, schon gar nicht der Interviewer Michael Watts wäre auf die Idee gekommen, es nun plötzlich mit dem karrieretödlichen Bekenntnis einer irren Schwuchtel zu tun haben.
Gay - schwul: Das war damals so absolut außerhalb aller Satisfaktionsfähigkeit. Andererseits: Das passte ja zu David Bowie, der, das machte sein zeitgenössisches Genie aus, ja nicht in vorgespurte Karrierebahnen treten, sehr. Einfach in einem Zeitungsgespräch zu sagen, er sei schwul.
Trompeter des eigenen Tons
Das war riskant, hatte, so wusste Bowie natürlich, aber extreme Distinktionskraft. Fortan würde er als Trompeter des eigenen Tons in eigener Liga spielen und nicht daran gemessen werden, ästhetisch den oben genannten Platzhirschen und -kühen genügen zu müssen.
Bowie war einfach „gay“, auch wenn er später nicht expliziter wurde - „schwul“, so oder so, war das Label, das ihm genehm war. Bloß nicht sein wie die anderen. Allein die Haare, die Make-ups: David Bowie schien wie vom Mars zu kommen, grell und schrill, aber akkurat geschmiert und gefönt. Die Farben - ein früher Wake-up-call in Sachen New Wave, ein Prä-Punk, der allerdings mit dem Schmuddeligen dieses Stils nie so recht etwas anfangen konnte.
Der Mann, der vom Himmel fiel
Dieser Mann war aber, unter dem Radar des heterosexuellen Kritikmainstreams, seit diesem Satz ein Juwel der Schwulenbewegung, ein Buddy eigener Ambivalenzen in geschlechtlichen Dinge, ein Dealer mit queeren Rollen, ein Varietékünstler im Musikalischen…
David Bowie, das war der Mann, der uns „Young Americans“ schenkte, weil er, wie sein Freund bei „Walk On A Wild Side“, die Chöre im Hintergrund so liebte, das war Ziggy Stardust, das war der Mann, der Inszenierungen und das Air von Maskeraden liebte - so wie seine Klamotten immer gebügelt aussehen, Falten nur dort, wo sie auch hin sollten. Bowie, das war auch „Let‘s Dance“ in den Achtzigern und der Mann, der auf dem Live Aid Konzert schon wie eine Art stylisher Godfather des geschmackvollen Pop aussah.
Er überwand die Schamgrenze
Unter schwulen Männern ist er seit eben diesem Jahr mit dem coolen - womöglich gar nicht triftigen Bekenntnis, aber weiß das schon? - ein Ikone: Der überwand die Schamgrenze, sich von der Öffentlichkeit drängen zu lassen, das kleine schmutzige Geheimnis nicht ausplaudern zu dürfen. Mit dem „I am gay“ war in der Welt, dass Schwules nicht mehr Gegenstand vom Schweigen sein muss.
Für sein Statement war Bowie in späteren Jahren harsch kritisiert worden, weil das (schwule) Publikum nie den Verdacht los wurde, dass der Brite es gar nicht ernst meinte, sondern dass es nur ein Marketing-, also ein Verpackungstrick war. Gleich wie: Die Kunst der Inszenierung, die bei Dylan, den Beatles und den Stones nicht kenntlich werden durfte, obwohl auch sie ihren Regimen der Darstellungsabsichten folgten, wirkte bei Bowie flamboyant, überfarbig, androgyn.
Letzteres war auch ein Grund zum Übelnehmen: Weshalb performt Bowie das Geschlechtszwiespältiges, obwohl „schwul“ doch das eindeutig Männliche als Begehren meint? Mit Bowie geht ein adorierter Künstler für all jene, die in ihm ein Idol fanden, das als Figur erst erfunden werden musste: Sei etwas dazwischen!
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