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Dave Eggers neuer Roman „Circle“Des Internetkritikers neue Kleider

Groß angekündigt war eine brillante Analyse der Kehrseiten der digitalisierten Welt. Herausgekommen ist ein flacher Roman über simple Menschen.

Simple Reiz-Reaktions-Maschinen. Sie sind glücklich, wenn ihnen jemand ein Like gibt. Bild: dpa

Wer die taz-Redaktion durchstreift, kann an manchen Wänden die zweit- und drittplatzierten Entwürfe für das Gebäude sehen, das die taz bekanntlich bald bauen wird. Junge, lässig angezogene Menschen sieht man auf diesen Entwürfen, sie schauen auf Bildschirme, bedienen Tablets, halten Smartphones ans Ohr, man sieht sie einzeln, in Gruppen, auf Sofas lümmeln und an Schreibtischen arbeiten.

Toll sieht das aus, aber ein bisschen auch nach Starbucks. So wie sich Architekten halt vorstellen, wie sich moderne Kommunikationsmenschen Leben und Arbeit vorstellen.

Es sind solche Bilder, bei denen der Schriftsteller Dave Eggers den Leser in seinem neuen Roman abholen möchte. „Circle“ setzt mit ihnen ein. Das Buch beschreibt den Schritt eines fiktiven großen kalifornischen Onlinedienstes von der marktbeherrschenden Stellung zum Monopol. Und zunächst einmal begleitet man die ersten Arbeitstage der Zentralfigur Mae Holland bei diesem Arbeitgeber.

Dave Eggers gibt sich viel Mühe zu vermitteln, wie schön das alles ist. Flache Hierarchien, gläserne Wände, hippe Gebäude, eine ambitionierte Kantine und – in den USA ist das echt ein Punkt – eine gute Krankenversicherung. Das liest sich im Roman zunächst genauso, wie die Entwürfe der Architekten auf den taz-Fluren aussehen. Doch dann kommt in dem Roman peu à peu das dicke Ende. Immer noch eine Kommunikationsaufgabe mehr wird Mae zugeteilt. Immer noch ein bisschen weniger Privatsphäre soll sie sich selbst zugestehen. Bis sie außerhalb ihrer Arbeit gar nicht mehr richtig existiert.

Das Buch

Dave Eggers: „Der Circle“. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014, 560 Seiten, 22,99 Euro.

Man konnte sehr gespannt sein auf diesen Roman. Dave Eggers, sowieso eine quirlige Gestalt in der US-amerikanischen Literaturszene, beschrieb in „Weit gegangen“ die anstrengende, teilweise schreckliche Flucht einer Gruppe von Kindern durch den Sudan ins rettende Äthiopien. Im Tatsachenbericht „Zeitoun“ schilderte er, was sich in New Orleans nach dem Wirbelsturm „Katrina“ abspielte.

Tiefpunkt Sexszene

Engagierte Gegenwartsbegleitung, intelligente Verknüpfungen von Tatsachenschilderungen und Literarisierungen – dafür steht dieser Autor. Und die mediale Bugwelle, die „Circle“ zuletzt vor sich hergeschoben hat, hat zusätzlich neugierig gemacht. Von einem „1984“ des Internetzeitalters ist die Rede.

Beim Lesen hat man allerdings schnell mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Denn nicht nur sind die Figuren zu flach. Der Roman ist auch unglaublich schlecht und klischeehaft geschrieben. Da gibt es schlichte Bilder zuhauf wie „ihr Magen schlug einen Purzelbaum“ oder unanschauliche Behauptungen wie „Mae genoss es, spürte jeden Tag die Zuneigung von Millionen durch sich hindurchströmen“. Und der zentrale Satz, der von der Handlung im Grunde nur verifiziert wird, wird literarisch unelegant einfach ausgesprochen. Ihr Exfreund sagt ihn zu Mae, und im Grunde genommen ist das alles, was man sich aus dem Roman merken muss: „Ich meine, wie alles, was ihr so pusht, klingt es perfekt, progressiv, aber es bringt auch mehr Kontrolle mit sich, mehr zentrale Überwachung von allem, was wir machen.“ Stimmt. Nur dass man es auch schon vorher wusste.

Es geht hier keineswegs darum, die überzeitliche Gültigkeit des psychologischen Realismus zu behaupten. Aber mehr Mühe bei seinen Figurenkonstruktionen hätte sich Dave Eggers geben müssen. Zumal bei einer Dramaturgie, die so funktioniert wie bei dem Frosch, der erst im warmem Wasser sitzt und dann zu spät realisiert, dass die Temperatur allmählich immer weiter erhöht wird, bis er gekocht ist. Wenn man sich mit dem Frosch, hier also Mae, von vornherein nicht identifizieren kann, klappt die ganze Dramaturgie nicht.

Und die Szene, die Dave Eggers präsentiert, um einen intensiven sexuellen Akt zu beschreiben, stellt sowieso einen historischen Tiefpunkt dar. „ ’Mae‘, sagte er, als […] sie ihn so tief aufnahm, dass sie seine geschwollene Spitze irgendwo nah ihrem Herzen spüren konnte.“ So geht das doch nicht.

Schlichte Welt

Stellt sich die Frage, ob man bei „Circle“ Abstriche an literarischer Qualität in Kauf nehmen kann, um dafür durch eine profunde Analyse der gesellschaftlichen Gefahren der digitalen Welt entschädigt zu werden. Antwort: Nein, so geht das nicht auf. In Wirklichkeit sind literarische und analytische Qualität nicht zu trennen.

In so einer schlichten Romanwelt, wie Dave Eggers sie konstruiert, ist es tatsächlich möglich, dass „alle“ den Präsentationen der Konzernleitung zujubeln, dass das politische System sich innerhalb von Wochen von so einem Konzern aushebeln lässt und dass die Masterpläne der Manager – natürlich steckt bei „Circle“ ein machtgieriger Manager hinter den Weltmachtplänen, der den brillanten, aber naiven Internet-Gründertyp mit Kapuzenpulli kaltgestellt hat – tatsächlich aufgehen.

Aber wenn man sie gegen die wirkliche Welt da draußen hält, erklärt diese Romanwelt so wenig und wirkt so arm. Überhaupt nicht vorkommen in ihr könnte zum Beispiel, was mit der deutschen Piratenpartei passiert ist, die mit ihren Ideen einer Liquid Democracy manches verwirklichen wollte, was in diesem Roman beschrieben wird. Dass aber Echtzeitabstimmungen und ständiges Vernetztsein auch immer gute Plattformen für Wichtigtuer und Spinner darstellen, dass auf diese Weise ein tragfähiger gemeinsamer Wille oft gar nicht herzustellen ist, das kommt gar nicht vor. In „Circle“ fehlen zum Beispiel ernst zu nehmende Gegenspieler. Die, die es gibt, stellen sich mit ihrem Widerstand tollpatschig an. Und was auch nicht vorkommt, sind die vielfältigen alltäglichen Erfahrungen, die man mit sozialen Medien, Computern und Mobiltelefonen derzeit real macht.

Dave Eggers erzählt von diesem Bereich als große, weltumfassende Verhängnisgeschichte. Interessant sind doch aber die vielen kleinen Geschichten: das, was einen wirklich so antriggert an den Gadgets von Apple und Co; die Verschiebungen in der Selbstwahrnehmung, die sich mit Selfies ergeben; der alltägliche Kleinkampf zwischen dem Wunsch nach Erreichbarkeit und den kleinen Tricks, mit denen man sich der Erreichbarkeit wieder entzieht. Für Ambivalenzen ist in der schlichten Romanwelt von „Circle“ kein Platz.

Ein flacher Menschentypus

Vielleicht wird mancher gegen diese Besprechung den Einwand erheben, dass sie naiv sei, weil genau dieser flache, nur im ständigen Vernetztsein sich selbst spürende Menschentypus, den Mae Holland schließlich im Buch verkörpert, ja von den sozialen Medien produziert würde. Aber ich weiß nicht. Bei Dave Eggers sind die Menschen simple Reiz-Reaktions-Maschinen. Sie sind glücklich, wenn ihnen jemand ein Like gibt. Sie haben, bevor er sie ereilt, noch nie etwas von einem Burn-out gehört. Sie haben nie eigene Interessen, quatschen nicht durcheinander, spotten nicht. Und sie funktionieren immer ganz genau so, wie es dem Autor gerade in den Kram passt. Wer ist hier naiv?

Manches funktionierte bei den hymnischen Vorbesprechungen von „Circle“ offenbar so wie bei dem Märchen um des Kaisers neue Kleider. Man wünscht sich so unbedingt einen tiefgreifenden analytischen Roman über die Gefahren der digitalen Welt – er wäre auch tatsächlich wünschenswert –, dass man gar nicht sehen kann, dass dieser Roman jedenfalls es nicht ist.

Vielleicht ist alles aber auch nur eine Frage der Einordnung. „Circle“ bietet gutes Material, um mit Kids darüber zu diskutieren, dass sie nicht alle Werbesprüche glauben sollen. Es ist auch ein okayes Buch, um sich selbst zu bestätigen, dass eine ausgewogene Work-Life-Balance wichtig ist. Aber eine zeitgemäße Analyse des digitalen Zeitalters ist es nicht. Und langweilig ist es auch.

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5 Kommentare

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  • "Und die Szene, die Dave Eggers präsentiert, um einen intensiven sexuellen Akt zu beschreiben, stellt sowieso einen historischen Tiefpunkt dar. „ ’Mae‘, sagte er, als […] sie ihn so tief aufnahm, dass sie seine geschwollene Spitze irgendwo nah ihrem Herzen spüren konnte.“ So geht das doch nicht."

    So geht das doch nicht? Dem Rezensent ist aber schon klar, dass die zitierte Szene ironisch gemeint ist? Die geschwollene Spitze am Herzen, ironischer geht's glaube ich nimmer. Zu befürchten ist aber, dass der Rezensent das ernst genommen und deshalb drei Viertel des Romans, die nicht weniger ironisch gemeint sind, schlicht nicht verstanden hat. Anders ist der empörte Ausruf des offenbar ganz der Hochliteratur verpflichteten Rezensenten kaum zu erklären: So geht das doch nicht. Doch!

  • Plausible Rezension, soweit ich das beurteilen kann, ohne den Roman gelesen zu haben. Aber. Wenn man, wie es in dieser Rezension mehrfach passiert, den Stil eines aus einer anderen Sprache übersetzten Romans kritisiert, sollte man sich, finde ich, die Mühe machen, herauszufinden, ob das Problem beim Original liegt oder bei der Übersetzung. Bei einem im Original englischsprachigen Buch kann es nicht so schwer sein, jemanden aufzutreiben, der das beurteilen kann. Denn so steht hier die Möglichkeit im Raum, dass die unanschaulichen oder schiefen Bilder vom Übersetzungsteam stammen könnten - oder eben auch nicht, weil es (in meiner Welt jedenfalls) nicht ÜbersetzerInnenaufgabe ist, einen im Original schon schlimmen Stil besser zu machen. Darum wäre es bei einem solchen Kritikpunkt gut, dazuzusagen, wer für das Problem eigentlich verantwortlich ist und nicht komplett zu ignorieren, dass man es mit einer Übersetzung zu tun hat.

  • Dem Werk den literarischen Wert mit der Bemerkung, es sei ein "okayes Buch", absprechen, entlockt mir ein knallhartes "Uups".

    • @Stechpalme:

      Geht mir genauso. Das ist unterbezahlte Praktikantensprache.

  • Es ist eben alles Geschmackssache sagte der taz-Redakteur und biss in die Seife.