Dauerkonflikt in Somalia: Islamisten auf dem Vormarsch
Herber Rückschlag für die moderaten Kräfte in Somalia: Islamisten haben eine Stadt nahe Mogadischu eingenommen - problemlos und innerhalb weniger Stunden.
NAIROBI taz Das Gefecht begann im Morgengrauen und war nach wenigen Stunden entschieden. Dann kontrollierten die Truppen der "Union Islamischer Gerichtshöfe" die Stadt Jowhar, nur 90 Kilometer von Somalias Hauptstadt Mogadischu entfernt. Sieben Menschen kamen bei den Kämpfen ums Leben, danach stürmten die Islamisten das Gefängnis und ließen alle Gefangenen frei. Vorsorglich entsandte die mit Äthiopien verbündete Regierung Somalias Truppen nach Merka im Süden Mogadischus, wo Gerüchte einen weiteren Angriff vorhersagten.
Der scheinbar mühelose Vorstoß der Islamisten in Somalia zeigt, wie wenig Kontrolle die Übergangsregierung tatsächlich hat. Zugleich ist er eine Niederlage für die wenigen Moderaten auf beiden Seiten. Somalias Übergangspremier, der auch von Anhängern der Islamisten respektierte Nur Adde, hatte sich erst am Montag mit Ältesten des in Mogadischu starken Hawiye-Clans getroffen, um über Friedensgespräche zu verhandeln. Die Hawiye hatten einst die Islamischen Gerichtshöfe mit aufgebaut, die in Mogadischu bis zum Einmarsch äthiopischer Truppen regierten, und stehen hinter deren Führern wie Sharif Sheikh Ahmed, der von Eritrea aus die vergleichsweise gemäßigte "Allianz zur Wiederbefreiung Somalias" führt. Angeblich soll Ahmed Gespräche mit Nur Adde zuletzt nicht ausgeschlossen haben.
Doch wie der Angriff auf Jowhar beweist, ist Ahmed längst nicht mehr der starke Mann in Somalia. Der heißt Mukhtar Robow und ist einer der Anführer von al-Shabaab, einem militanten Flügel der Gerichtshöfe, der sich von allen Gemäßigten mittlerweile distanziert. Als die USA al-Shabaab kürzlich als ausländische Terrorgruppe mit Verbindungen zu al-Qaida einstufte, gab Rabow sich geschmeichelt: "Wir fühlen uns geehrt, auf der Terrorliste zu stehen. Wir sind gute Muslime, die Amerikaner sind Ungläubige."
Unter diesem neuerlichen Kampf leiden vor allem normale Somalier. "Meine Mutter verkauft kaum noch Gemüse auf dem Markt", berichtet der 14-jährige Abdulrahim vom Leben der wenigen, die noch nicht aus Mogadischu geflohen sind. "Früher haben wir dreimal am Tag gegessen, inzwischen muss eine Mahlzeit am Tag reichen." Nirgendwo auf der Welt, so teilte das UN-Kinderhilfswerk Unicef am Mittwoch mit, geht es Kindern schlechter als in Somalia. Jedes siebte Kind ist laut Unicef schwer mangelernährt. In einem gemeinsamen Aufruf wandten sich 40 Hilfsorganisationen an den UN-Sicherheitsrat, der sich am heutigen Donnerstag mit der Lage in Somalia befassen soll: Es drohe eine Katastrophe. Die Zahl der Binnenvertriebenen sei inzwischen auf mehr als eine Million gestiegen, monatlich kommen 20.000 hinzu, sagt Verity Johnson von Oxfam, einem der Mitunterzeichner der Erklärung, aber viele Ecken des Landes können selbst von einheimischen Helfern kaum mehr versorgt werden. "Es gibt gezielte Angriffe auf Hilfsorganisationen", so Johnson. "Einige unserer Kollegen sind in diesem Jahr entführt oder getötet worden." Helfer befürchten, dass die Welt Somalia nach 17 Jahren Dauerkonflikt abgeschrieben hat.
In einem Bericht an den Sicherheitsrat räumte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon vergangene Woche erstmals ein, die UN könnten gezwungen sein, Blauhelme nach Somalia zu entsenden. Die von Ban genannten Bedingungen, unter anderem ein Ende aller Kämpfe, gelten derzeit aber als vollkommen unerreichbar. MARC ENGELHARDT
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