Datentracking bei Wissenschaftsverlagen: Warnung vor den Wissensspionen
Forscher wehren sich gegen Datentracking von Verlagen. Sie sehen die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr und fordern klare Regeln.
Die Wissenschaftsorganisationen, wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), sind alarmiert und warnen vor „Datenmissbrauch“ und „Wissenschaftsspionage“. Internationale Verlagskonzerne entwickelten sich, so heißt es in einer aktuellen Stellungnahme der DFG, „immer stärker zu Datenanalysefirmen, die oftmals auch ohne Zustimmung oder ausreichende Information der Betroffenen Daten dazu sammeln, von wem Zugriffe auf Publikationen erfolgen“. Die Folgen seien unabsehbar.
„Diese digitalen Nutzungsspuren können durch Verbindung mit anderen Daten zum Profiling führen und im Rahmen von Weitergaben an Behörden gegen Forschende eingesetzt werden“, befürchtet die DFG.
Dies müsse durch die „Anpassung von einschlägigen Gesetzen“ insbesondere auf europäischer Ebene ausgeschlossen werden, so die Forderung, die auch an die Forschungspolitik der künftigen Bundesregierung gerichtet wird. „Die informationelle Selbstbestimmung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern muss im digitalen Raum oberste Priorität haben“, betont die DFG.
Verletzung der Wissenschaftsfreiheit
Wenn datenbasierte Forschung in Onlinequellen und -datenbanken sowie in Portalen von Wissenschaftsverlagen überwacht und ausgewertet wird, dann öffne dies „der Kommerzialisierung der Wissenschaft Tür und Tor“, warnten jetzt auch die Regensburger Verwaltungsrichterin Kristin Benedikt und der Kölner Rechtsprofessor Rolf Schwartmann in der FAZ.
Denn die Verlage nutzen die Informationen nicht allein zur Anpassung ihrer kommerziellen Angebote. Vielmehr sei „über Datenauswertungen auch eine Steuerung der Forschung und Wissenschaft im Sinne der Interessen privater Unternehmen möglich“, urteilen die Rechtsexperten. Eine flagrante Verletzung der Wissenschaftsfreiheit.
Mit dem Datentracking erreicht das angespannte Verhältnis zwischen den kommerziellen Wissenschaftsverlagen und der Forschungswelt eine neue Dimension. Jahrelang nutzten die Verlage die aus öffentlichen Geldern entstandenen Forschungsaufsätze dazu, sie in Fachjournalen zu formatieren und diese den Hochschulbibliotheken wieder für teures Geld zu verkaufen. Nun entdecken sie die Forscher-Daten als neue Erlösquelle.
Trackingdaten werden verkauft
In einem Informationspapier hat der Ausschuss für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme (AWBI) der Deutschen Forschungsgemeinschaft die „Transformation von Wissenschaftsverlagen hin zu Data Analytics Businesses“ näher untersucht und auf die Konsequenzen für die Wissenschaft und deren Einrichtungen verwiesen.
So werden Onlineleser des Wissenschaftsmagazin Nature von mehr als 70 Instrumenten nachverfolgt. Konkret erwähnt wird der Fall des Unternehmens „LexisNexis“, eines internationalen Anbieters von Informationslösungen und Tochterunternehmens der RELX Group, zu der auch Elsevier gehört, seinerseits der weltgrößte Verlag für Wissenschaftspublizistik. Danach habe LexisNexis einen Vertrag unterzeichnet, durch den für 16,8 Millionen US-Dollar persönliche Forscher-Daten an ICE, die amerikanische Behörde für Immigration und Customs Enforcement, übergeben werden sollen.
Mit seinem Papier will der DFG-Ausschuss eine Diskussion anstoßen, die „die Praxis des Trackings, dessen Rechtmäßigkeit, Maßnahmen zur Einhaltung des Datenschutzes und Konsequenzen der Aggregation von Nutzungsdaten“ thematisiert, um geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Es brauche jetzt „klare rechtliche Regulierungen, mit hoher Transparenz und unter Mitbestimmung der Wissenschaft“, so die DFG-Forscher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland