Datenschutz bei Messenger-Dienst: Möhre vor der Nase
Whatsapp will Kund:innen halten – auch wenn sie die neuen Nutzungsbedingungen nicht schlucken. Der Messenger-Dienst versucht das mit einem Trick.
L iebe Nutzerinnen und Nutzer von Whatsapp und natürlich auch liebe Nichtnutzer:innen, wir starten heute mit einem Quiz. Im Folgenden finden Sie vier Aussagen zu Whatsapp.
Welche sind erfunden?
▶ Wer Whatsapp nutzt, sendet die eigenen Kontakte aus dem Adressbuch an Whatsapp, und zwar auch von Kontakten, die den Dienst nicht nutzen.
▶ Whatsapp kann sehen, wer wann mit wem gechattet hat.
▶ Whatsapp gibt diverse Daten an den Mutterkonzern Facebook weiter, etwa Telefonnummer und Nutzungsverhalten.
▶ Facebook hält sich offen, diese Daten eines Tages auch in der EU zum Personalisieren von Werbung auf Instagram oder Facebook zu nutzen.
Und: was stimmt, was nicht? Gar nicht so leicht zu sagen. Und das erklärt, warum Whatsapp gerade ein richtiges Problem hat. Denn egal, was das Unternehmen mit seiner kryptischen Änderung der Nutzungsbedingungen, die eigentlich im Februar in Kraft treten sollte, gemeint hatte – zuzutrauen ist ihm fast alles. Das sehen wohl viele Nutzer:innen so.
Denn seit dieser Änderung, die sich so las, als würden mehr Daten an den Mutterkonzern Facebook fließen, wandern die Nutzer:innen zu Konkurrenten wie Signal und Threema. Daraufhin verschob Whatsapp das Inkrafttreten der neuen Regeln auf Mai, und spätestens damit wurde klar: Die haben Schiss. Und zwar richtig.
Denn für eine Onlineplattform wie Whatsapp sind eigentlich nur steigende Nutzerzahlen akzeptabel. Am besten natürlich exponentiell, ganz notfalls auch linear. Stagnation ist ein Problem. Sinkenden Zahlen sind eine Katastrophe. Sie würden heißen: Das Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit wird greifbar. Denn wenn die Freunde, die Arbeitskolleginnnen, der Fußballverein auf einmal auf andere Dienste ausweichen, dann bricht für Whatsapp der Netzwerkeffekt ab. Der Effekt, dass alle dahin gehen, wo alle sind.
Druck und freundliche Drohung
Das will die Facebook-Tochter mit allen Mitteln verhindern. Neuester Move: eine Kombination aus Druck und freundlicher Drohung. Das Unternehmen kündigte an, Nutzer:innen, die die neuen Bedingungen nicht rechtzeitig akzeptieren, trotzdem nicht komplett zu deaktivieren, wie es eigentlich folgerichtig wäre. Vielmehr sollen sie „für kurze Zeit Anrufe und Benachrichtigungen erhalten, aber in der App weder Nachrichten lesen noch welche senden können“. Es wird also die Möhre vor der Nase des Esels sein: Hier, direkt vor dir, liegen diese appetitlichen Nachrichten, Anrufe, Bilder, Sprach-Memos. Und du kannst auch ran – nach dem Bestätigen der neuen Nutzungsbedingungen.
Das Vorgehen von Whatsapp ist für Nutzer:innen ein gutes Zeichen. Nicht, weil sie sich davon um den Finger wickeln lassen sollten, auf keinen Fall. Sondern, weil es zeigt: Der Wechsel zu Alternativen wirkt. Und diese Aussage ist keineswegs selbstverständlich. Im Klimaschutz etwa dominiert ja gerade das Narrativ, dass der:die einzelne Konsument:in ohnehin praktisch nichts ändern könne, die Politik müsse es richten. Diese These kann man natürlich in Sachen Datenschutz genauso vertreten.
Aber dort ist sie noch wackliger. Denn die Politik hat schon Gesetze auf diversen Ebenen dazu geschaffen, ein Teil davon ist sogar ganz passabel. Aber das Vollzugsdefizit ist enorm (Grüße an dieser Stelle beispielsweise an die irische Datenschutznichtaufsichtsbehörde). Und so gilt für die meisten Anbieter, zumal die großen, die sich eine schlagkräftige Rechtsabteilung leisten können: Wir machen einfach mal. Und wenn sich doch jemand beschwert und es ein Bußgeld gibt, dann gehen wir halt vor Gericht. Und wenn wir da verlieren, haben wir in der Zeit immerhin ordentlich Geld verdient mit dem illegalen Datensammeln.
In diesem Setting bedeutet eine kritische Masse abwandernder Nutzer:innen für ein Unternehmen eine größere Bedrohung als das Schreiben einer Aufsichtsbehörde oder Verbraucherschutzorganisation. Denn die Nutzer:innen, ihre Daten sind der Kern des Geschäftsmodells. Sie gilt es zwar so weitgehend wie möglich auszupressen. Aber gleichzeitig zu halten.
Ach so, die Aussagen vom Anfang. Alle treffen zu.
Und, Whatsapp schon gelöscht? Es gibt Alternativen…
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Schuldenbremsen-Dogma bröckelt
Auch Merz braucht Geld
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“