Datensammlungen von Neonazis in Berlin: Auf der Feindesliste
Rechtsextreme sammeln seit Jahren Daten über politische Gegner:innen. Viele Betroffene werden derzeit durch das LKA darüber informiert.
Besonders groß ist der Zulauf derzeit, weil viele Personen in Berlin derzeit von der Polizei per Schreiben darüber aufgeklärt werden, dass sie auf einer Liste mit persönlichen Daten von Neonazis gestanden hätten. Die Liste stammt von einem beschlagnahmten Rechner eines der Hauptverdächtigen der extrem rechten Anschlagsserie in Neukölln, dem Neonazi Sebastian T. Sie enthält Adressen, persönliche Daten und Fotos zu über 500 Personen.
Die Polizei hatte T.s Computer zwar bereits Anfang 2018 beschlagnahmt, die Feindesliste darauf aber erst Ende 2019 gefunden. Die für die Aufklärung zuständige Ermittlungsgruppe BAO Fokus hatte dennoch versucht, den Fund als Ermittlungserfolg zu verkaufen. Seit Anfang des Jahres wurde kritisiert, dass das LKA nicht alle Betroffenen auf der Liste informiert hätte.
Zunächst hatte die Polizei nur etwa 30 besonders gefährdete Personen gewarnt – unter anderem die linke Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus, Anne Helm. Mittlerweile informiert das LKA weitere Betroffene. Nach Informationen der taz sind auch einige Mitglieder der Grünen darunter sowie der Linken und der SPD.
Nationaler Widerstand Berlin
Eines dieser Warnschreiben der Polizei liegt der taz vor. In dem Brief von Mitte Juli teilt das hier zuständige Brandenburger LKA allerdings mit, dass von der Liste keine „konkrete Gefährdung abgeleitet werden kann“. Es handele sich lediglich „um eine Datensammlung über Institutionen, Organisationen und Personen, die von den Urhebern als ‚politische Gegner‘ angesehen werden.“ Zudem sei sie seit sieben Jahren nicht mehr angefasst worden, also veraltet.
Dennoch forderte die Polizei im selben Schreiben dazu auf, vorsichtig zu sein: Das LKA weist darauf hin, „dass öffentlich zugängliche Informationen über Sie und ihr privates Umfeld auch zu Ihrem Nachteil genutzt werden können.“
Der Empfänger, Aktivist Tamás Blénessy aus Potsdam, ist nicht überrascht, dass er auf der Liste stand. Ungefährlich sei dies allerdings nie gewesen, wie Blénessy der taz sagte. Im Sommer 2005 wurde er von Neonazis nachts in einer Tram überfallen: „Wir waren zwei gegen 20: Hätte mein Begleiter nicht eingegriffen, wäre das lebensgefährlich für mich geworden.“
Auch hätten bereits Neonazis mit einem Auto vor der Haustür von Blénessy gestanden. In der Datensammlung finden sich sein Name, sein Geburtsdatum, eine alte Adresse und sieben Bilder. Blénessy empfindet es als Verharmlosung, dass sich laut Polizei daraus keine Bedrohung ergebe.
Für Bianca Klose aus der Mobilen Beratung ist diese Art von Datensammlung nichts Neues: „Seit den Neunzigern ist so etwas bekannt.“ Sie glaubt, die Liste mit den 500 Namen stamme aus der Zeit vom Nationalen Widerstand Berlin, einer ehemaligen Website und Gruppe aus dem Umfeld der Lichtenberger Kameradschaft Tor: „Das ist das Material, von dem wir damals schon vermuteten, dass es so umfangreich existieren muss“, sagt Klose.
Dazu passt, dass einer der Verdächtigen der Neuköllner Anschlagsserie, Sebastian T., auch beim Nationalen Widerstand aktiv war. Auf ihrer Website veröffentlichte die Gruppe Anfang der 2010er Jahre bereits eine Datensammlung über 200 vermeintlichen Gegner:innen. Klose sagt dazu: „Bereits damals hat man nicht zum ersten Mal gesehen, dass es eine Professionalisierung von Anti-Antifa-Arbeit in der Neonazi-Szene gibt.“
Verbindungen zwischen Hessen und Berlin?
Neonazis kommen laut Klose an Daten durch Prozessbeobachtungen, Falschanzeigen und Akteneinsicht über Neonazi-Anwälte, Social-Media-Ausspähungen, Post-Diebstahl, Fotografien von Gegenprotesten und Presseausweisen und sogar durch Observationen. „In Berlin gab es sogar mal einen rechtsextremen Postboten. Da hilft Dir dann nicht mal mehr eine Auskunftssperre im Melderegister“, sagt Klose.
Auch hält Klose Datensammlungen wie diese im Gegensatz zum LKA weiter für gefährlich, selbst wenn sie veraltet seien: „Die Menschen, die sich darauf befinden, waren ja auch von Anschlägen betroffen. Und wir wissen auch nicht, was die Nazis seitdem gemacht haben – die haben ja nicht aufgehört zu sammeln.“
Spätestens seit dem NSU wisse man, dass es bundesweite Feindeslisten gebe und auch ein Austausch stattfinde, so Klose. Die bekannten Datensammlungen seien nur die „die Spitze des Eisbergs, wie sich gegenwärtig zeigt“, sagt Klose. Möglich sei auch ein Datenaustausch zwischen Hessen und Berlin.
Tatsächlich gab es Überschneidungen bei den Betroffenen zwischen den älteren Feindeslisten und den jüngst wieder verschickten neonazistischen und häufig misogynen Drohschreiben, die mit NSU 2.0 oder Obersturmbannführer unterzeichnet waren. Mittlerweile gingen diese an über 70 Personen – geschickt von Servern aus dem Darknet, welche die Identität der Verfasser:innen bislang verbergen.
NSU 2.0-Drohschreiben mit Daten von der Polizei
Diese individuellen Drohschreiben und Morddrohungen gingen vielfach an hessische Politiker:innen – mittlerweile sind aber auch Berliner:innen Ziel: etwa Anne Helm und Evrim Sommer von der Linken. Helm und Sommer fanden sich beide auch auf der Liste von Sebastian T. Auf Sommers Auto hatte es auch in der Zeit vom Nationalen Widerstand einen Brandanschlag gegeben.
Besonders beunruhigend bei den NSU 2.0-Drohschreiben waren auch konkrete private Informationen der Betroffenen, die einige der Schreiben enthielten: Zum Teil stammten diese nämlich nachweislich von Polizeicomputern.
Anne Helm geht in ihrem Fall allerdings davon aus, dass eher Observationen durch Neonazis zu Privat-Informationen geführt hätten, wie sie der taz sagte. Sie sei mehrfach verfolgt worden, Neonazis hätten ihren Briefkasten gesprengt, Post geklaut und sogar Bewegungsprofile von ihr erstellt.
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