Datenfreihafen in Island: Die Schweiz der Bits

Island soll das beste Presse- und Informationsrecht der Welt erhalten. Und will so Rechtssicherheit im Netz gewähren. Die taz erklärt seine Vor- und Nachteile.

Wird Island zum Vorkämpfer für Transparenz und Pressefreiheit? Bild: reuters

Freie Presse ist nicht immer frei. Diese leidvolle Erfahrung machen Journalisten nicht nur in China, sondern auch in Ländern wie Großbritannien, Deutschland oder den USA. Wer heute schmutzige Machenschaften, Korruption oder Politskandale enthüllen will, stößt schnell an Grenzen und wird durch staatliche Repression oder durch immense Gerichtskosten von der Berichterstattung abgehalten.

Eine Möglichkeit, unethisches Verhalten der eigenen Regierung und Unternehmen publik zu machen, ist die Internetplattform Wikileaks, auf der jeder anonym Dokumente veröffentlichen kann. Die geheimen Richtlinien für das Gefangenenlager Guantanamo, der Feldjägerbericht über den umstrittenen Luftangriff der Bundeswehr in Kundus oder die korrupten Machenschaften der isländischen Kaupthing-Bank gelangten so an die Öffentlichkeit.

Was Wikileaks kann, will Island künftig auch können – und noch ein bisschen mehr. Der Inselstaat im Nordatlantik will die weltweit pressefreundlichsten Gesetze zu einem neuen Medienrecht zusammenführen und so vor allem Rechtssicherheit und Planbarkeit im Netz gewährleisten. Island soll also zum Ort mit dem besten Presse- und Informationsrecht der Welt werden.

Was steckt hinter dieser Idee?

Im Sommer 2009 publizierte das Internetprojekt Wikileaks interne Berichte darüber, wer von der damals größten isländischen Bank, der Kaupthing-Bank, ohne ausreichende Sicherheiten Kredite zugeschoben bekam und wer dank Insider-Informationen noch vor dem Finanzkollaps insgesamt rund fünf Milliarden Dollar außer Landes geschafft hatte.

Am Tag der Veröffentlichung auf Wikileaks verhinderte die Kaupthing-Bank per Einstweiliger Verfügung die Berichterstattung. Ein klarer Zensurversuch der freien Presse. Doch die Hauptnachrichtensendung des nationalen isländischen Fernsehens wehrte die auferlegte Zensur geschickt ab und blendete minutenlang die Internetadresse von Wikileaks ein. „Es ist Zeit, derartigem Missbrauch ein Ende zu setzen und eine verbindliche rechtliche Grundlage für den Umgang mit Daten und Informationen zu schaffen“, sagt Daniel Schmitt, einer der Sprecher von Wikileaks.

Die Lösung: Island soll eine „Schweiz der Bits“ werden – eine Schutzzone mit gesicherter Rechtsgrundlage für Datenverkehr, Journalisten und ihre Informanten. In dieser Schutzzone könnten solch enthüllende Informationen wie die über die Kaupthing-Bank gespeichert werden, ohne Angst vor Sperren oder Löschung und einer freien und investigativen Berichterstattung stünde nichts mehr im Weg.

Was soll konkret passieren?

Ein weiteres Beispiel für Repressalien gegen Journalisten ist Judith Miller. Am 6. Juli 2005 wurde die ehemalige Reporterin der New York Times für 85 Tage in Beugehaft genommen. Sie wollte einen Informanten nicht preisgeben, der in der Plame-Affäre Valerie Plame als Geheimagentin der CIA enttarnt hatte. Erst als der Informant, Lewis Libby, Stabschef des damaligen Vizepräsidenten Dick Cheney, sie von ihrer Verschwiegenheitspflicht entband, wurde sie aus der Haft entlassen und sagte vor Gericht aus.

Solche Szenarien soll es künftig nicht mehr geben, wenn Island sein Presserecht reformiert. Auf der weltweiten Suche nach den pressefreundlichsten Gesetzen ist man in zum Beispiel in Schweden fündig geworden. Der schwedische „Press Freedom Act“ garantiert die Anonymität vertraulicher Quellen und geht sogar noch einen Schritt weiter. Gibt ein Journalist seine Quelle preis, drohen ihm bis zu sechs Monate Haft.

So genannte Whistleblower, die Missstände, Korruption oder illegalen Handel publik machen, sollen sich absoluter Anonymität und vor allem ihrer Rechte sicher sein können. „Die derzeitigen Rechtssysteme passen in vielen Fällen nicht zum Medium Internet, es gibt viele rechtliche Grauzonen und weder Rechtssicherheit noch Planbarkeit“, so Schmitt von Wikileaks.

Auch Berlins Datenschutzbeauftragter, Alexander Dix, sieht die Chance, dass Daten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, an denen diese ein legitimes Interesse hat. „Was ein solches Interesse ist und wann der Datenschutz demgegenüber zurückzutreten hat, muss aber in einem überprüfbaren Verfahren nach rationalen Kriterien abgewogen werden. Es darf nicht der Entscheidung von Betreibern überlassen bleiben, die niemandem verantwortlich sind. Insofern ist es zu begrüßen, dass in Island dieses Vorhaben auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden soll.“

Wer ist der Initiator?

Die „Icelandic Modern Media Initiative“ (IMMI) und Wikileaks. Die IMMI ist eine unabhängige und parteienübergreifende politische Bewegung in Island mit drei Sitzen im Parlament. Am 16. Februar hat die Initiative ihren Gesetzesentwurf eingereicht und Zustimmung aus allen politischen Lagern bekommen. Die Anti-Korruptions-Aktivistin und EU-Abgeordnete Eva Joly beispielsweise sieht die Chance, mit wirksamen Mechanismen gegen Korruption zu kämpfen und globale Transparenz und Gerechtigkeit schaffen zu können. Unterstützt wird IMMI von der Enthüllungsplattform Wikileaks und 19 der 63 isländischen Parlamentsmitglieder.

Was spricht dagegen?

Es gibt kritische Stimmen, die gravierende Fragen des Persönlichkeitsschutzes und der Verantwortung für Falschmeldungen berührt sehen. Berlins Datenschützer Dix sieht das Risiko, dass „Menschen diffamiert oder intimste Informationen, an deren Kenntnis kein vernünftiges öffentliches Interesse besteht, bekannt gegeben werden, ohne dass die Urheber zur Rechenschaft gezogen werden können“. Nur durch verantwortliches Handeln der Betreiber und durch vollständige Transparenz des Verfahrens könnten diese Risiken sinnvoll begrenzt werden. „Es geht bei dem neuen Recht auch um Quellenschutz, um den Schutz von Whistleblowern und um Pressefreiheit“, sagt Schmitt. „Ungerechtfertigte Diffamierung oder beispielsweise pädophile Inhalte werden in Island auch weiter illegal sein.“

Weshalb hat die Idee jetzt eine Chance?

Die Idee von einem rechtssicheren Raum ist keine ganz neue, aber jetzt hat sie zum ersten Mal die Chance, in die Tat umgesetzt zu werden. Die Finanzkrise und die weltweite Sorge um den Umgang mit Datenschutz könnten es möglich machen. Das Renommee von Wikileaks ist durch die jüngsten Erfolgsgeschichten weiter gestiegen und die Öffentlichkeit nach Kundus-Affäre, Guantanamo-Bericht und Kaupthing-Skandal für Sinn und Aufgabe einer freien Presse sensibilisiert. „In der Tat hat die Intransparenz des Finanzsystems und das Gefühl der Ohnmacht unter den Geschädigten ein Ausmaß angenommen, das die Forderung nach schonungsloser Aufklärung unterstreicht“, sagt Dix.

Hinzu kommt, dass Island pleite ist, die Banken, einst die wichtigste Branche im Land, bedeutungslos geworden sind und viele Isländer ihre Insel verlassen haben, um im Ausland Arbeit zu finden. Nun werden sich Medienunternehmen, Menschenrechtsgruppen, Archive, Provider, Rechenzentren, Blogs im Land ansiedeln bzw. registrieren und wieder Leben und Geld ins Land bringen, so die Hoffnung der Initiatoren. „Und Island kann sein negatives Image, das es seit dem Staatsbankrott besitzt wieder etwas aufpolieren. Das stärkt auch die Wirtschaft“, sagt Schmitt. Bis zum 26. Februar soll der Resolutionsentwurf von den Volksvertretern beraten und verabschiedet werden. Die Chancen für eine „Schweiz der Bits“ in Island stehen gut.

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