Datenaffäre in Berlin: Polizei späht Liebig-Nachbarn aus
Die Polizei hat tagelang die Häuser rund ums Ex-Alternativhaus Liebigstraße 14 überwacht - mittels einer in einer Grundschule versteckter Kameras. Bezirkspolitiker sind empört.
Dass die einst besetzte "Liebig 14" im Friedrichshain weiter im Visier von Linken und Polizei ist, war bekannt. Zuletzt aber hatten die Beamten einen besonderen Blick für das im Februar geräumte Haus: Sie überwachten tagelang mit versteckten Kameras umliegende Häuser - von einer öffentlichen Grundschule aus. Bis die taz nachhakte.
"Rein zufällig" habe man am Montag vier Kameras und einen Scheinwerfer in den Dachfenstern der benachbarten Justus-von-Liebig Grundschule entdeckt, erzählt ein Bewohner der Rigaer 94, eines alternativen Hausprojekts. Diese seien auf die Dächer des eigenen wie des Nachbarhauses gerichtet gewesen, "eindeutig" aber auch auf Wohnungen in den oberen Etagen. "Keine Ahnung, wie lange die Kameras da schon waren", so der Mann. Es sei "inakzeptabel", derart die Privatsphäre zu verletzen. "Hier werden alternative Lebensweisen mal wieder unter Generalverdacht gestellt."
Nach der Räumung der "Liebig 14" hatte es wiederholt Anschläge auf das Haus gegeben, das momentan grundsaniert wird. Steine und Farbflaschen flogen. Im Mai deckten Unbekannte Teile des Dachs ab, verwüsteten den Dachstuhl, sägten Balken an und beschädigten Heizungsrohre. Vor vier Wochen wurde auf dem Dach sogar Feuer gelegt.
Daraufhin plante die Polizei die Überwachungsmaßnahme von der benachbarten Justus-von-Liebig Grundschule aus. Laut Mitarbeitern des Bezirksschulamts ist die Polizei an sie herangetreten. Der Installation der Kameras wurde zugestimmt - solange keine Schüler oder Lehrer gefilmt würden. Als die taz am Donnerstag bei der Polizei nachfragt, die Wende: Die Kameras verschwinden. "Am Freitag waren sie plötzlich nicht mehr zu sehen", so der Anwohner.
Die Polizei räumt die Videoüberwachung ein. "Nach einer Reihe von schweren Straftaten und weil weitere Straftaten zu befürchten waren, wurde der Einsatz angeordnet", so Sprecher Frank Millert. "Die Erfassung von Wohnbereichen war ausgeschlossen." Es befinde sich keine Polizeikamera mehr auf einem Gebäude in der Liebigstraße.
Im Bezirk herrscht dennoch Empörung. Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) bezeichnet die Maßnahme als "datenschutzproblematische Überwachung des öffentlichen Raumes". Er sei darüber nicht informiert worden.
Auch Bildungsstadträtin Monika Herrmann (Grüne) verneint eine Kenntnis. "Offenbar wurde die Polizeianfrage nicht bis zu mir durchgereicht." Dies aber wäre notwendig gewesen. "Natürlich ist der Fall ein Politikum. Die politische Leitung des Bezirks hätte von der Polizei informiert werden müssen." Auch wenn die Brandstiftungen an der Liebig 14 nicht zu rechtfertigen seien, dürfe man "nicht einfach so Kameras im öffentlichen Raum installieren".
Die Schule war wegen der Ferien nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Grünen-Abgeordnete Canan Bayram, Elternvertreterin an der Schule, bezeichnete die Vorgänge als "ungeheuerlichen Umgang mit unserer Schule" und "unerhörten Eingriff in Persönlichkeitsrechte". Sie werde bei Polizei und Innenverwaltung auf "volle Aufklärung drängen".
Auch in der Rigaer 94 sind noch Fragen offen. "Einfach abbauen reicht nicht", so der Bewohner. "Wir wollen wissen, was da wirklich auf Band ist."
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