Das war: Gorch-Fock-Fall neu aufgerollt
Die Kieler Staatsanwaltschaft hat das Todesermittlungsverfahren im Fall der 2008 verstorbenen Bundeswehr-Kadettin Jenny Böken wieder aufgenommen. Grund dafür ist die Aussage einer im April vernommenen Zeugin, teilte die Staatsanwaltschaft Kiel am Dienstag mit.
Vor über zehn Jahren war die damals 18-jährige Böken bei einer Nachtwache auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ nördlich von Norderney über Bord gegangen. Elf Tage später wurde ihre Leiche bei Helgoland geborgen. Die Kieler Staatsanwaltschaft beendete die Untersuchung wenige Monate später und schloss trotz Ungereimtheiten eine Straftat und Suizid aus.
Die neue Zeugin war 2008, damals ein Mann, Soldat der Bundeswehr, aber kein Mitglied der Marine. Sie lernte Böken vor dem Beginn der Ausbildungsfahrt kennen und begleitete sie auf eine Feier, sagte Rainer Dietz, Anwalt der Familie Böken, als die Zeugin im vergangenen Herbst aufgetaucht war. Auf der Feier soll es zu sexuellen Handlungen zwischen Böken und dem Soldaten gekommen sein – ob einvernehmlich oder nicht, sei ungeklärt. Der Soldat, also die Zeugin, erinnert sich nicht mehr, Bökens Vater geht hingegen von einer Vergewaltigung aus. Die Kadettin habe gedroht, den Übergriff anzuzeigen, berichtete die Zeugin gegenüber dem Familienanwalt im September. Der Geschlechtsverkehr sei gefilmt worden, so Dietz weiter, das Video kursierte daraufhin an Bord. Nach ihrem Tod sei der Soldat in seiner Kaserne von drei Personen aufgesucht worden, berichtete der Anwalt. Die Personen hätten gesagt, das Thema sei „erledigt“.
Die Angaben der Zeugin werden jetzt geprüft, sagte Oberstaatsanwalt Axel Bieler am gestrigen Freitag. „Viele weitere Angaben der Zeugin beruhen auf Hörensagen“, so Bieler. Dennoch werden nun „alle Möglichkeiten ausgelotet“, um herauszufinden, was geschehen ist. Dafür sollen alte und eventuell auch neue Zeug*innen vernommen werden. Zum genauen Inhalt der Aussage äußerte sich Bieler nicht.
Bökens Eltern, die vergeblich versucht hatten, die Ermittlungen einer anderen Staatsanwaltschaft zu übertragen, halten die Wiederaufnahme des Verfahrens für „längst überfällig“. In den letzten zehn Jahren hätten sie immer wieder auf Widersprüche hingewiesen, so Uwe Böken gegenüber der dpa. Er sei erst erleichtert, wenn er den Eindruck objektiver Ermittlungen habe.
Laut Oberstaatsanwalt Bieler werde es „geraume Zeit“ in Anspruch nehmen, zu einem Ergebnis zu kommen. Alina Götz
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