Das vergessene Rezept: Der Kaffee vom Wegesrand
Aus Zichorien und Löwenzahnwurzeln braute man in der Jahren der Nachkriegszeit Muckefuck – bio und regional. Ein Geheimtipp.
Mit Motherfuckern hatte das nichts zu tun, was meine Oma nach dem Zweiten Weltkrieg in ihrer Küche aufbrühte. Auch wenn sie diesen Ausdruck, hätte sie ihn gekannt, gerne jenen Engländern und Amerikanern entgegengeschleudert hätte, die sie dafür verantwortlich machte, dass es nach 1945 kein Kaffeepulver mehr zu kaufen gab. Stattdessen gab es Muckefuck – einen Ersatzkaffee aus geröstetem Getreide und Zichorien.
Muckefuck ist eines der schönsten deutschen Wörter. So schön wie ratzfatz, Schabernack oder Kinkerlitzchen. Muckefuck stammt angeblich aus der französischen Besatzungszeit und ist eine lautmalerische Übersetzung von Mocca faux (falscher Mokka). Wir nannten sie „Oma Muckefuck“.
Der falsche Kaffee, den meine Oma nach dem letzten Krieg trinken musste, müsste heute eigentlich ein Trendgetränk sein: regional produziert und dazu noch gesund. Doch wer im Bio-Supermarkt nach Muckefuck sucht, wird sein Wunder erleben. Die Verkäuferin fühlt sich erst von mir angemacht („Haben Sie Muckefuck gesagt?!“), dann führt sie mich schließlich doch noch zu einem abgelegenen Regal und deutet auf ein Glas mit der Aufschrift „Malzkaffee“.
In den Geburtsjahren unseres Vaterlandes machte die Firma Franck in Ludwigsburg kein schlechtes Geschäft mit einem löslichen Pulver, das sie unter dem Namen Caro-Kaffee verkaufte. Andere Firmen wie Darboven nannten ihren Ersatzkaffee „Koff“ oder „Bamf“ und warben: „Solang Idee-Kaffee dir fehlt, / nimm Koff, dann hast du gut gewählt.“
Das Rezept: Eine Handvoll Löwenzahnwurzeln und eine Handvoll Zichorienwurzeln ausgraben, Erde gut abklopfen oder notfalls vorsichtig waschen. In grobe Stücke schneiden und auf einem Backblech im Ofen bei 50 Grad eineinhalb Stunden lang trocknen. Anschließend bei 225 Grad 15 Minuten lang rösten (ohne Fett), dabei mehrmals wenden. Abkühlen lassen und mit einer Mühle zu Pulver zermahlen. Für eine Tasse Muckefuck einen Teelöffel Pulver mit brühendem Wasser übergießen.
Jeder Muckefuck bestand aus gerösteten Wurzeln von Zichorien oder Löwenzahn, oft auch aus Getreide oder geröstetem Malz. Mit echtem Kaffee hatte das Getränk allenfalls die Farbe und den bitteren Geschmack gemeinsam. Koffein fehlte ebenso wie die typische Kaffeenote.
„Bamf“ oder „Koff“
Wer ein Produkt „Bamf“ oder „Koff“ nennt, der glaubt nicht wirklich an seinen Erfolg. Und so war es denn auch. Die Zichorie, auch blaue Wegwarte genannt, wurde schon bald wieder als Unkraut links liegen gelassen und der Löwenzahn aus den Wirtschaftswunder-Vorgärten ausgemerzt und hingerichtet.
Dass junge Löwenzahnblätter einen wunderbaren Salat ergeben, hat sich inzwischen bei Kleingärtnern herumgesprochen. Der eigene „Kaffee“ aus dem Stadtgarten oder vom Rande des Feldwegs ist inzwischen ein heißer Geheimtipp.
„Kommst du heute Nachmittag zum Muckefuck zu mir?“ Die eigentlich harmlose Frage hat eine durchschlagende Wirkung, man muss es nur einmal selbst ausprobieren. Allerdings sollte man darauf gefasst sein, dass Gäste nur einmal kommen. Der Geschmack von Wurzelkaffee ist nämlich gewöhnungsbedürftig. Am ehesten trinkbar ist eine 50/50-Mischung aus echtem Kaffee und Muckefuck.
Oma „Muckefuck“ liegt schon längst unter der Erde. Kürzlich habe ich an ihrem Grab einen Löwenzahn ausgegraben, getrocknet, geröstet und in meinen Kaffee gegeben.
Die Essecke: Philipp Maußhardt schreibt hier jeden Monat über vergessene Rezepte. Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche, und unsere Korrespondenten berichten, was in ihren Ländern auf der Straße gegessen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten