■ Das quotierte Klassenzimmer: Bei Azubis: Ja!
Seitdem sich allgemein die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß „Ausländer“ wohl doch in Deutschland seßhaft geworden sind, wird wieder über Integration geredet. Dabei hat man sich in Politik und Medien schnell darauf geeinigt, woran es denn am meisten hapert: an der Sprache. Das ist praktisch, denn selbstverständlich ist die Haupthürde der Integration ein Defizit der Migranten. Nun werden Experten von der Leine gelassen: Sozialarbeiter, Lehrer, Wissenschaftler kümmern sich um das „Problem“. Sollte es immer noch nicht klappen mit der Integration, findet man bestimmt einen neuen Mangel bei den Einwanderern, der „geheilt“ werden muß, damit es endlich funktioniert.
Nun mag es Untersuchungen von Erstkläßlern in Berlin geben, die dramatische Lücken bei deren Deutschkenntnissen erkennen lassen. Aber sind Kinder nicht eigentlich in der ersten Klasse, um korrekt Deutsch zu lernen? Ansonsten gibt es keinerlei empirische Daten darüber, ob mangelnde Sprachbeherrschung tatsächlich ein so immenses Problem darstellt, wie suggeriert wird. Nimmt man den Schulerfolg als Gradmesser, so gibt es eigentlich einen durchaus positiven Trend: 1980 verließ jeder zweite Jugendliche mit Migrationshintergrund die Hauptschule vorzeitig – mittlerweile aber machen 80 Prozent dort einen Abschluß. Auch mittlere und höhere Bildungsabschlüsse haben zugenommen.
Sprechen also diese erfolgreichen Schulabgänger massenhaft schlechtes Deutsch? Dann würde tatsächlich mit der deutschen Schule etwas nicht stimmen. Allerdings ist es richtig, daß die hiesige Schule davon ausgeht, bei der Einschulung ein deutsches Normkind vorzufinden – Marke 50er Jahre. Das hat ganz sicher diskriminierende Effekte, auch bezüglich der Sprachaneignung. Aber diese Effekte lassen sich bestimmt nicht mit einer Quote beseitigen, sondern damit, daß das deutsche Bildungssystem sich den Gegebenheiten der Jetztzeit anpaßt. Selbst die Mehrheit der Kinder deutscher Abstammung entspricht dieser Norm ja längst nicht mehr. Zieht man die Veränderungen an den Universitäten als Gradmesser heran, dann wird es wohl noch lange dauern, bis man sich auf Unterschiede einstellt: Mittlerweile studieren ja selbst die Eingeborenen lieber im Ausland.
Ein Nachdenken über Quoten würde viel mehr Sinn machen, wenn es um den Übergang von der Schule zum Arbeitsleben ginge: Hier bleiben nämlich die meisten auf der Strecke. Das liegt sicher auch an der strukturell schlechteren Qualifizierung (gegen die etwas unternommen werden muß!): Während die meisten Migrantenkinder auf der Hauptschule waren, besuchen Kinder deutscher Abstammung mittlerweile überwiegend das Gymnasium. Aber darüber hinaus stellen viele mittelständische Betriebe – und die bieten in Deutschland immer noch fast 80 Prozent der Ausbildungsplätze an – Jugendliche mit Migrationshintergrund oft einfach nicht ein, weil sie nicht das nötige „VitaminB“ besitzen. Oder weil sie denken, „ausländische“ Jugendliche würden ihnen mehr Ärger machen oder von den Kunden nicht akzeptiert. Und schließlich bleibt vor allem der öffentliche Dienst in seiner Ausbildungsbilanz weit zurück. Also: Wenn schon Quotendiskussionen – dann bei den Ausbildungsplätzen! Mark Terkessidis
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