Altern im Krimi: Das lange Leben der Detektive
Wie alt sollten eigentlich ErmittlerInnen im Kriminalroman werden dürfen? Ein paar Gedanken aus Anlass der neuen Romane von Kate Atkinson und Sara Paretsky.

Wahrscheinlich geht es vielen Krimiautoren so, dass sie ihre Detektive am Anfang zu alt machen“, sinnierte kürzlich die Autorin Kate Atkinson im Interview. Die vielseitige Britin ist aktuell mit einem historischen Unterhaltungsroman auf dem deutschen Markt vertreten, in dem Polizisten, Leichen und Verbrechen vorkommen, aber daneben noch vieles andere.
„Nacht über Soho“ spielt im London der 1920er Jahre. Im Zentrum des facettenreichen Romans stehen zwei starke Frauenfiguren, eine davon hat ein reales Vorbild: Die aus Irland stammende Kate Meyrick brachte es in den 1920er Jahren zur bekannten Betreiberin zahlreicher Nachtclubs und verschaffte ihren Kindern Zutritt zu höchsten Gesellschaftskreisen.
Dieses Lektürebad in der rauschhaften Atmosphäre der Golden Twenties dürfte die deutschsprachige LeserInnenschaft darüber hinwegtrösten, dass von Atkinsons Krimireihe um den Detektiv Jackson Brodie, mit der die Autorin hierzulande wohl am bekanntesten wurde, in Übersetzung noch der sechste Band fehlt (im Original 2024 erschienen).
Der fühle sich fast ein bisschen an wie ein Schwanengesang, sagt Atkinson, denn immerhin sei Jackson Brodie gar nicht so viel jünger als sie selbst. Er müsse inzwischen Mitte sechzig sein, bei seinem ersten Fall im Jahr 2004 sei er 43 gewesen. Aber mal sehen, vielleicht dürfe er ja auch zusammen mit seiner Autorin alt werden.
Kate Atkinson: „Nacht über Soho“. Aus dem Englischen von Anette Grube. DuMont Buchverlag, Köln 2025, 529 Seiten, 25 Euro
Sara Paretsky: „Wunder Punkt“. Aus dem Englischen von Else Laudan. Ariadne Verlag/Argument, Hamburg 2025, 500 Seiten, 25 Euro
Neues Rollenmodell
So viel realitätsnahe Altersgelassenheit ist im Genrebereich nicht immer selbstverständlich – vielleicht ist sie auch eher ein europäisches Ding. Ein Gegenbeispiel ist gerade mit Sara Paretskys Roman „Wunder Punkt“ auf Deutsch erschienen. Paretsky schickte ihre Chicagoer Privatdetektivin V. I. Warshawski erstmals im Jahr 1982 auf Ermittlungstour. Damals hatte V. I. eine abgebrochene Karriere als Anwältin hinter sich und wird etwa im Alter ihrer Autorin gewesen sein, Mitte dreißig.
Sie stellte ein wichtiges neues Rollenmodell dar: das der auch körperlich wehrhaften, sich in den Kampf werfenden Frau, die in einer ungerechten Drecks-Männerwelt für Aufklärung politischer und sozialer Missstände sorgt. Seitdem kommt V. I. alle zwei Jahre mit einem neuen Abenteuer auf den Markt – und sie scheint, wie auch der neue, im ländlichen Kansas spielende Roman zeigt, verdammt zu einer Existenz in ewigem mittleren Alter sowie physischer Fitness.
Dreiundvierzig Jahre nach V. I.s erstem Fall ist zwar Sara Paretsky zum stolzen Alter von 78 Jahren herangereift, doch ihre Heldin darf, obwohl in den Romanen durchaus die äußere Zeit analog zu unserer fortschreitet, längst nicht im selben Maße am Alterungsprozess teilhaben. Sie sei „alt genug, um seine Mutter zu sein“, heißt es in „Wunder Punkt“ im Zusammenhang mit einem dealenden Studenten – eine Bemerkung, die das Bild einer Frau von höchstens Mitte vierzig evoziert.
Auch die Stunts, die V. I. absolvieren muss, erfordern eine eiserne Konstitution: Verfolgungsjagd durchs Unterholz, Erklimmen einer Feuerleiter, stoisches Ertragen von Schlägen in die Fresse. Paretsky-Standards, die, fast comicartig Folge für Folge wiederholt, beim x-ten, stets nach gleichem Schema erstellten Roman nur noch zum Weiterblättern sind. Auch V. I.s Hündin Peppy ist übrigens, mehrere Jahrzehnte nach ihrem ersten Auftritt, immer noch am Leben.
Schon schade, irgendwie, denn Paretsky packt immer wieder gesellschaftspolitisch relevante Themen an (in diesem Roman geht es um Land, dessen afroamerikanische Besitzer einst illegal enteignet wurden), vergibt aber durch die unrealistische Behandlung ihrer actiongetriggerten Hauptfigur viele Glaubwürdigkeitspunkte.
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