piwik no script img

■ Das indonesische Militär destabilisiert das unabhängige OsttimorFreiheit – aber auch Frieden?

„Der Adler der Freiheit hat heute seine stolzen Flügel über das Volk von Osttimor gebreitet. Und, so Gott will, nichts wird sie dem Volk wieder nehmen können.“ So Jamsheed Marker, persönlicher Gesandter von UN-Generalsekretär Kofi Annan, nach dem Referendum am Montag in Osttimor.

Das erst in ein paar Tagen erwartete Ergebnis des so euphorisch gepriesenen Votums wird aber nicht nur über die Zukunft der 800.000 Bewohner in der winzigen Inselhälfte im Norden Australiens entscheiden. Es wird zugleich zeigen, ob der „Adler der Freiheit“ auch Frieden bringen kann.

Denn die Osttimor-Frage stellt den Präsidenten in Jakarta vor die erste große Machtprobe mit dem Militär. Zu den größten Verdiensten von Präsident B. J. Habibie gehörte sein Versprechen, den Willen der Bevölkerung der 1976 annektierten Region zu respektieren. Damit hat er sich aber in der Armee bittere Gegner geschaffen. Dies ist eine der gefährlichsten Erbschaften des 32-jährigen Suharto-Regimes: Den meisten Offizieren ist der Gedanke – trotz aller Reformbeteuerungen – völlig fremd, dass sie sich einer zivilen Regierung unterordnen sollen.

„Dwifungsi“ nannte der frühere Präsident Suharto die politische und militärische Doppelrolle der Armee, auf die er seine Macht stützte. Das indonesische Militär diente ihm mangels äußerer Feinde vor allem dazu, „Separatisten“, „Kommunisten“ und „Islamisten“ zu bekämpfen. Seine Loyalität belohnte Suharto, indem er ihm freie Hand bei Vernichtungsaktionen ließ. Mord, Folter und Entführung blieben straffrei. Eine Mission in Osttimor förderte die Karriere ehrgeiziger Offiziere ungemein. In dieser Tradition ist die gesamte Militärführung groß geworden.

Nur auf scharfen internationalen Druck hin, vor allem aus Washington und Tokio, hat Armeechef Wiranto nun einige einflussreiche Militärs in Osttimor ausgewechselt, die offenbar alles daran gesetzt hatten, das Referendum zu verhindern.

Schon der erste Blick auf das kleine Dili zeigt, wie die Armee sich in Osttimor eingerichtet hat: In der ganzen Stadt verteilen sich ausgedehnte Kasernen und Wohnanlagen der Streitkräfte. Einige der größten Hotels, die einflussreichste Unternehmensgruppe in Osttimor – alles ist mit dem Militär verbunden.

Ältere Osttimoresen erinnern sich mit Grauen an die Tage im Dezember 1975, als die indonesischen Soldaten in Dili landeten. Sie kamen keineswegs, wie die indonesische Propaganda bis heute berichtet, als „Befreier“. Im Gegenteil: Osttimor mit seiner kleinen linken Unabhängigkeitsbewegung war in ihren Augen eine Brutstätte von „Kommunisten“ und „Separatisten“, die ausgerottet werden mussten. Noch 1991, nach dem Massaker am Friedhof von Santa Cruz, als 200 Menschen unter den Schüssen der Militärs ums Leben kamen, sagte der damalige Armeechef Try Sutrisno: „Ja, sie mussten weggefegt werden. Verbrecher wie diese Agitatoren müssen erschossen werden – und wir werden sie erschießen.“

Wenig verwunderlich ist es bei allem, dass viele Politiker und Militärs in Jakarta höchst allergisch auf die Kritik reagieren, die ihnen plötzlich aus den USA, Australien oder Europa entgegen fliegt: Sie fühlen sich als Opfer großer Heuchelei. Es war der damalige US-Außenminister Kissinger, der den Einmarsch in Osttimor 1975 augenzwinkernd gutgeheißen und nur verlangt hatte, dass es „schnell, wirksam und ohne unsere Ausrüstung“ geschehen sollte. Australien erkannte die Annexion als einziges größeres Land an, weil es sich mit Indonesien die Öl- und Gasreserven im Timorgraben teilen wollte. Auch Deutschland trainierte indonesische Elitesoldaten, die in Osttimor eingesetzt waren.

Der ehemalige Guerillakämpfer Xanana Gusmao, der noch im Hausarrest in Jakarta sitzt und möglicherweise Präsident des neuen kleinen Landes wird, hat allen Grund zur Sorge. Er fürchtet, sagte er kürzlich, dass die Militärs nicht aufgeben, sondern auf ihre alten Methoden zurückgreifen und von der westtimoresischen Grenze aus weiter versuchen werden, Osttimor zu destabilisieren. Ob Präsident B. J. Habibie oder seine mögliche Nachfolgerin Megawati Sukarnoputri das verhindern können, ist mehr als fraglich. Der Friede, den die Osttimoresen sich noch mehr als die Unabhängigkeit ersehnt haben, ist noch nicht in Sicht. Jutta Lietsch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen