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Das gleiche Stück immer wieder anders

Kindertheaterstück „Der verrückte Stiefel“ feiert 20jähriges Jubiläum. Nach 500 Vorstellungen ist der Familienbetrieb noch so euphorisch wie am Anfang. Mietpreisbindung läuft bald aus  ■ Von Ute Sander

Knurps wirft seinen Stiefel weg, weil er drückt. Durch plötzlich einsetzenden Regen wird das Schuhwerk so groß, daß sich fünf kleine Leute darin wohnlich einrichten. Knurps ändert jedoch aufgrund der feuchten Wetterlage seine Meinung und will den Stiefel wiederhaben. Wem gehört jetzt der Stiefel? Knurps, dem der Schuh sowieso nicht mehr paßt, oder den „Besetzern“? „Schmeiß 'ne Bombe rein!“ ruft einer der kleinen Zuschauer Knurps zu. „Neiiin“, hallt es von dem Großteil der übrigen Zuschauer, „laß die doch da wohnen!“

Aufführung des Kindertheaterstücks „Der verrückte Stiefel“, das in diesem Jahr 20jähriges Bühnenjubiläum feiert. Etwa 500 Vorstellungen wurden bisher gegeben, von 1976 bis 1978 im „Kleinen Theater“ am Südwestkorso, seit 1988 im „Narrenspiegel“ an der Hauptstraße in Schöneberg.

Die Idee zu dem Stück „Der verrückte Stiefel“ kam von Barbara Offik, der Geschäftsführerin des „Narrenspiegels“, die auch das Bühnenbild entwickelt hat. Ihr Mann, Georg Offik, schrieb das Stück und baute die Puppen. „Wir haben uns bei der Arbeit kennengelernt“, erinnert sich Georg Offik, „und bemerkten schnell gleiche Interessen.“ Wichtiges Ziel des Ehepaares, und damit ihres Theaters „Narrenspiegel“, ist das Einbringen der Kinder in die Aufführung. „Wenn man die Kinder nicht am Geschehen teilnehmen läßt, ist nicht sicher, was diese am Ende mit nach Hause nehmen“, erklärt Barbara Offik. „Uns war der emanzipatorische Effekt unserer Stücke immer wichtig, ohne dabei zu manipulieren“, fügt sie hinzu.

Das Theaterstück „Der verrückte Stiefel“ ist eine Mischform aus Puppen- und Kindertheater, das heißt reale Personen agieren zusammen mit Puppen. „Durch den Schauspieler werden die Kinder direkter angesprochen, die Puppen hingegen bringen eine gewisse Distanz“, erklärt Barbara Offik. Trotz der Begeisterung der Kinder für Puppen würden diese auch immer die direkte Ansprache vom Menschen suchen.

Die Rollenverteilung ergibt sich laut Georg Offik aus rein dramaturgischen Überlegungen heraus. „Mit der Hilfe von Puppen kann über die Dimensionen verfügt werden“, erklärt er. Im „Verrückten Stiefel“ wird der Stiefelbesitzer Knurps von einem menschlichen Darsteller gespielt, der damit riesengroß und übermächtig ist gegenüber den Mietern, die durch wesentlich kleinere Puppen verkörpert werden.

„Die Erfahrung zeigte, daß die Kinder damit nicht überfordert sind, sondern daß die Vielschichtigkeit für das Verständnis der Vorgänge förderlich ist“, sagt Barbara Offik. Aus dieser Einsicht heraus entstand eine eigene Stilform, die der „Narrenspiegel“ bis heute konsequent in seinen Stücken verfolgt, ob es sich nun um das Thema Verkehrserziehung oder um die Angst vor der Dunkelheit handelt. Derzeit hat der „Narrenspiegel“ fünf Theaterstücke für Kinder im Programm.

„Beim ,Verrückten Stiefel‘ war für mich immer der soziale Anspruch besonders wichtig“, erzählt Barbara Offik. „Die Verantwortung der Mieter gegenüber den Vermietern ist ein wichtiges Gut, das leider allzu oft mißachtet wird.“ Das erfährt die Familie Offik derzeit am eigenen Leibe: In die Etage über dem Theater ließ der Vermieter ohne Lärmschutzmaßnahmen ein Sportstudio einziehen, das durch seine Geräuschkulisse den Theaterbetrieb behindert. Zudem läuft im nächsten Jahr der auf zehn Jahre festgelegte Mietpreis aus. „Wie es danach weitergeht, weiß keiner“, sagt Barbara Offik. Denn das Theater „Narrenspiegel“ muß sich ausschließlich aus Einnahmen finanzieren.

Trotzdem hat die Familie die Begeisterung für das Theater ebenso wie den Spaß am „Urstück“ nie verloren. „Zu Anfang war ,Der verrückte Stiefel‘ noch rotziger, so wurde zu Beginn beispielsweise ein schmissiger Song gespielt“, erinnert sich Georg Offik. „Im Laufe der Jahre hat es sich verändert und wurde natürlich auch von den wechselnden Schauspielergenerationen geprägt.“ Das Stück sei durch die Veränderungen dramaturgisch logischer und sinnvoller geworden.

Tochter Franziska Offik, die seit einigen Jahren Puppen und Kostüme für die Kindertheaterstücke näht, spielt seit 10 Jahren beim „Verrückten Stiefel“ mit. „In den ganzen Aufführungen, die ich hinter mir habe, war es nie gleich“, sagt sie. Die Kinder würden das Stück jedes Mal verändern. „Für mich ist ,Der verrückte Stiefel‘ immer noch das schönste Stück“, strahlt sie.

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