piwik no script img

Das faule akademische Biotop

■ Sönke Wortmann verfilmt Dietrich Schwanitz' Roman „Der Campus“in Hamburg

Zu so viel Trubel kommt das Hamburger Universitätsgelände in den Semesterferien selten: Unter der Regie von Sönke Wortmann begannen gestern rund um den Allendeplatz die Dreharbeiten für die Kinoverfilmung des Bestseller-Romans Der Campus von Dietrich Schwanitz. Vor dem sogenannten „Pferdestall“, dem Institut für Soziologie und Politologie, nahm ein Filmteam mit Transparenten bewaffnete Statisten als demonstrierende Studies auf: „Frau sein - frei sein“tönte ihr lautstarkes Geschrei gegen die vermeintliche Vergewaltigung einer Kommilitonin durch einen Professor.

Bis September wird das hitzig diskutierte Buch, in dem ein ungeschickter Hamburger Soziologie-Professor zum Spielball aller denkbaren universitären und publizistischen Kräfte wird, am Allendeplatz, Audimax, Phil-Turm und im Uni-Hauptgebäude leinwandkompatibel aufbereitet. Die dramatische Zuspitzung beruflicher und ideologischer Interessenkonflikte sicherte dem Roman 1995 den Einzug in die Diskussion von Studenten, Professoren und Bildungspolitikern. Sensationslüsternde Journalisten, verblendete Studentenvertreter, karrieregeile Akademiker und sogar ein mobbender Universitätspräsident – sie alle bekommen im Rundumschlag Der Campus ihr Fett weg: ein grelles, aber scharfes Bild des Uni-Alltags, dessen Quintessenz teils unerträglich bieder daherkommt, dessen klischeeübergreifende Übertreibungen aber unübertrefflichen Unterhaltungswert besitzen.

Die Dreherlaubnis für die Originalschauplätze des Campus läßt sich die Universität mit einem fünfstelligen Geldbetrag von der Constatin Filmgesellschaft bezahlen. „Für unsere Verhältnisse ungewöhnlich viel“, so eine Sprecherin der Uni. Für die Filmgesellschaft wohl nur Peanuts: Mindestens zwei Millionen Kinobesucher erhofft sich das Unternehmen von der Verfilmung. Im März kommenden Jahres soll die Visualisierung des 400-Seiten Schmökers in die Kinos kommen.

Das Drehbuch hat der Campus-Autor und Professor für englische Literatur, Dietrich Schwanitz mit dem deutschen Star-Regisseur Sönke Wortmann (Der bewegte Mann, Alleine unter Frauen) zusammen geschrieben – nah an der Romanvorgabe, versichert Annette Stoffe, Pressesprecherin der Neuen Constantin.

Und ein weiterer zugkräftiger Name soll das knapp 400.00mal verkaufte Buch auch zum Kino-Knüller machen: Heiner Lauterbach wird die Rolle des unglückseligen Professors Hanno Hackmann spielen, der sich durch die Affäre mit einer Studentin in einen Sog aus Medienhetze und Machtintrigen manövriert. Weitere Rollen werden von Sandra Spechert, Axel Milberg und Armin Rohne besetzt.

Für das benötigte Heer von 2000 Statisten werden für die bis zu 13 Stunden dauernden Drehtage noch geduldige Menschen gesucht. Studenten und solche, die es für einen Drehtag lang sein wollen, können sich an die Castin-Agentur „Michael Damm“(Tel.: 6681424) wenden.

Daß ab Frühjahr 1998 die Bilder der Hamburger Universität den Hintergrund zu der intrigenbeladenen Hochschul-Story liefern, sieht man in der Edmund-Siemers-Allee gelassen: „An einer Hofberichterstattung sind wir nicht interessiert.“Auch Schwanitz will sein Werk nicht als reine Darstellung der Hamburger Verhältnisse verstanden wissen: „Es geht nur darum, ein Biotop zu zeigen, daß überall gleich ist. Als der Roman erschien, riefen mich Kollegen aus anderen Städten an und fragten: Woher wissen Sie, was in unserem Institut vorgeht?“Weniger verständnisvoll waren die Reaktionen der Hamburger Professoren. Sie argumentierten, die Uni-Satire nutze nur dem politischen Gegner.

Schwanitz, derzeit nicht im akademischen Dienst, grübelt noch über eine Hitchcock-ähnliche Mini-Rolle für sich selbst. Auch darüber, was er nach Abschluß der Verfilmung machen wird, ist er noch unsicher. Durch den Erfolg des Campus geriet der Leiter der Uni-Theaterwerkstatt zum Bildungsexperten wider Willen. Für den Spiegel und den Stern formulierte Schwanitz zwar seine Thesen wie: „Unser Bildungssystem ist verrottet“. Viel lieber würde er aber weitere Bücher schreiben oder einen Writer-Workshop nach amerikanischem Vorbild organisieren. Auch das kann der Prof mit der spitzen Feder ganz akademisch begründen: „Die Literaturwissenschaft trägt meines Erachtens noch viel zu wenig zur Produktion der Literatur bei“.

Timo Hoffmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen