vorlauf: Das eine und das andere Glück
„Geraubtes Glück“
(Fr., Arte, 20.45 Uhr)
„Es ist doch bloß Geld“, versuchen sich die Eheleute Morris und Val Price einzureden. Sie und ihre drei Kinder führen ein sorgloses Leben in Edinburgh. Bis Tochter Hannah entführt wird. Die Polizei wollen sie nicht einschalten; der horrenden Forderung nach 500.000 Pfund Lösegeld kommen sie fast ohne mit der Wimper zu zucken nach.
Dann ist Hannah frei und nichts mehr so, wie es einmal war. Denn Morris Price musste sich hoch verschulden, um die Summe zusammenzubekommen – der Auszug der Familie aus ihrem Anwesen und der Einzug in eine enge, schäbige Mietwohnung sind die Folge. Parallel zum Schicksal der Price’ erzählt die schottische Produktion „Geraubtes Gück“ vom plötzlichen Reichtum der Kidnapper Jon und Eva. Während die einstmals glückliche Familie die soziale Treppe herunterpurzelt, leben die beiden Unterprivilegierten ihre Vorstellung von „dolce vita“ mit schickem Loft und schnellem Sportauto.
Doch schon bald zeigen sich auch hier Friktionen. Wie auf einer Wippe wird so das eine und das andere (vermeintliche) Glück gewogen und eben für zu leicht oder zu schwer befunden. „Es ist doch bloß Geld“, diesen Glauben führt der Film auf kunstvolle Art ad absurdum. Die Familie zerbricht an ihrem neuen, aufs Eigentliche reduzierten Leben: Mutter Val wird zur Familienglucke, Vater Morris tröstet sich mit einer 25-Jährigen, Hannah ist von ihrem Entführer Jon schwanger; der seinerseits Gewissensbisse ob des plötzlichen Reichtums bekommt. Dass die Geschichte nicht zum platten Lehrstück wird, liegt an den hervorragenden Darstellern. Die Entdeckung des Films ist Joanna Potts als Hannah. Beeindruckend ist ihre Wandlung vom pubertierenden, ahnungslosen Teenager zur selbstbewussten jungen Frau. Bemerkenswert auch der tiefschwarze Humor. So fällt Hannahs jüngerer Schwester zur Entführung nur ein: „Sie sieht bestimmt schrecklich aus; sie hat ihre Pickelcreme vergessen.“ Am Ende haben alle ihre Lektion gelernt. Geld hin oder her.
THORSTEN PILZ
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