Das andere Sotschi: Borschtsch ohne Biathlon
Außerhalb des Olympia-Areals ist von den Spielen nur wenig zu merken. Sportübertragungen in Cafés? Fehlanzeige. Auch die Protestzone ist tot.
SOTSCHI taz | Olympia ist eine Stadt für sich. Hier gibt es eigentlich alles. Man muss die olympische Zone nicht verlassen. Wir haben es trotzdem getan. Denn es gibt ein russisches Leben außerhalb des eingezäunten Bereichs. Da ist das Örtchen Khosta, das zwischen Adler, also dem Olympiazentrum, und dem eigentlichen Sotschi liegt.
Hier hat Wladimir Putin mehr wider- als freiwillig eine Demo-Zone eingerichtet, damit nicht der Eindruck entsteht, der russische Präsident würde so etwas generell verbieten. Man darf hier nach Anmeldung bei der Stadtverwaltung aufmarschieren, allerdings darf die Demo keinen Bezug zu den Olympischen Winterspielen haben.
Die Demo-Zone in Khosta liegt ab vom Schuss, unter einer Hochstraße in einem kleinen Park, wo der Opfer von Tschernobyl und der Veteranen des Zweiten Weltkriegs gedacht wird. Die Blumenrabatten sind gepflegt. Ein Fluss rauscht. Die schneebedeckten Berge des Kaukasus bilden den Hintergrund für diese unbespielte Bühne.
Ein Polizist sieht etwas weiter entfernt nach dem Rechten. Aber er hat nicht viel zu tun, denn in der Demo-Zone hat es erst eine kleine Kundgebung von ein paar Altkommunisten gegeben. Das war noch vor der Eröffnung. Seitdem ist nicht viel los. Ab und zu kommen Journalisten vorbei oder Einheimische aus Khosta mit Hund oder Kind.
Die taz-Zweierdemo
Jetzt spielt eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter, und außer uns ist noch ein Kollege von der Süddeutschen Zeitung in der Demo-Zone. Niemand in der Stadtverwaltung gebe ihm Antwort auf seine Anfragen, ob hier noch mal demomäßig was los sei in den olympischen Tagen, sagt er.
An diesem viel zu ruhigen Ort organisieren wir spontan eine kleine taz-Zweierdemo, halten einen Zettel hoch. Darauf: Putin, durchgestrichen. Als Alternative bieten wir „Niers(Bach)“ an. Niemanden stört unsere kleine Aktion. Kein Polizist ist zu sehen. Die Demo löst sich so schnell auf wie sie entstanden ist.
Etwas enttäuscht ziehen wir weiter nach Sotschi, passieren den obligatorischen Sicherheitscheck am Eingang der Bahnstation und zuckeln mit der Eisenbahn in die subtropische Stadt der Sanatorien. An der Uferpromenade ist der Bereich fürs Public Viewing. Eine Band spielt Balalaika-Rock. Auf einer Leinwand läuft der Teamwettbewerb im Eiskunstlauf. Vielleicht 200 Olympiafans sind auf dem Gelände. Es ist nicht mal zu einem Drittel gefüllt. Länger ist die Schlange vorm offiziellen Olympiashop, wo es die ornamentalen Bosco-Klamotten gibt.
Ist Russland nicht auch eine Biathlon-Nation, fragen wir uns und machen uns auf die Suche nach einer Kneipe, um Einheimische beim Skijägerschauen beobachten zu können. Empfohlen wird uns ein französisches Lokal im Yachthafen. Das Bild, das den Maître mit Russlands Ministerpräsident Dimitri Medwedjew zeigt, wirkt wenig anziehend. Sind hier alle Lokale so stinkig? Passantinnen bestätigen das. Sie empfehlen ein Lokal, in dem es russische Spezialitäten gibt. Biathlon mit Borschtsch.
Räuberische Taxifahrer
Wir halten ein Taxi an, um zum Café Derewnja zu fahren. Mehr als 100 Rubel darf das nicht kosten, sagen die Frauen, die uns das Lokal empfohlen haben. Der Taxifahrer muss lachen, als wir ihm das sagen. „100 Rubel? Warum nehmt ihr nicht den Bus? Kommt, ich fahre euch zur nächsten Haltestelle.“
Geschichten von räuberischen Taxifahrern kursieren viele in Sotschi. Die Olympiagäste aus dem Westen haben es nicht leicht mit den Schlawinern hinterm Steuer. „1.400 Rubel“, sagt der Fahrer. Aussteigen? „Gut, 700 für jeden, einer darf umsonst fahren.“ Am Ende zahlen wir nach harten Verhandlungen 350 Rubel.
Biathlon läuft nicht in dem Lokal. Eiskunstlauf auch nicht. Wenn nicht noch ein älteres Paar im Mitarbeitertrainingsanzug des Organisationskomitees auf ein Süppchen eingekehrt wäre, nichts hätte in der folkloristisch eingerichteten Bude auf Olympia hingedeutet. Eine Mini-Band spielt schmalzige Schnulzen oder russische Karambamusik. Wenn den Gästen ein Lied gefällt, tanzen sie. Mehr Sport ist nicht an diesem Abend.
An einem Tisch wird Geburtstag gefeiert. Alles, was die Speisekarte bietet, seht auf der Tafel: kiloweise Fleisch, Piroggen, Salate, Räucherfisch, Essiggurken, Obst und Zungenwurst. Die Trinksprüche sind lang und die Wodka- und Kognakflaschen schon lange nicht mehr voll. „Wo kommt ihr her?“ Bald sitzen wir inmitten der Geburtstagsgesellschaft und trinken immer wieder auf die Völkerfreundschaft. „Danken wir Olympia, sonst hätten wir uns nie getroffen!“, sagt einer immer wieder.
Neue Hotels als Kunden
Er ist ein typischer Sotschinjez sagt er. Kein Russe, weil er georgische Vorfahren hat, und kein Georgier, weil er in Russland lebt. „So ist Sotschi, hier gibt es Armenier, Georgier, Juden, alles.“ Und der Krieg mit Georgien 2008? „Damit haben wir doch nichts zu tun?“ Was sagt eigentlich ein Sotschinjez über all die Veränderungen der vergangenen Jahre. „Für mich als Autofahrer ist das super“, sagt der, der uns angesprochen hat.
Und die neuen Hotels findet er auch nicht schlecht. Die Firma, für die er arbeitet, vertreibt Wodka. Die neuen Hotels sind seine Kunden. „Und die haben gut gezahlt“, sagt er. Über Sport sprechen wir nicht. Am Ende eines langen Abends hilft er uns, ein Taxi zurück in unser Hotel zu organisieren. Mindestens dreimal fragt er den Fahrer, ob der Taxameter auch läuft. Es gibt also reguläre Taxis. Allein wären wir darauf nie gekommen. Das Auto das uns nach Hause bringt, ist als Taxi nicht zu erkennen. Es bringt uns zurück in unser Olympia.
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