Das alltägliche Verbrechen: Gauner und Gangster am Hacken

Wenn man auffallend häufig Opfer von Verbrechen oder Gaunereien wird, kann einem das schon zu denken geben. Am Ende fühlt man sich fast selbst wie ein Krimineller.

Der Freund und Helfer ist nicht immer schnell genug zur Stelle. Bild: dpa

"Der Verbrecher unterbricht die Monotonie und Alltagssicherheit des bürgerlichen Lebens. Er bewahrt es damit vor Stagnation und ruft jene unruhige Spannung und Beweglichkeit hervor, ohne die selbst der Stachel der Konkurrenz abstumpfen würde."

(Karl Marx)

Anfang der Achtzigerjahre zerbrach die Solidarität zwischen amerikanischen Juden und Schwarzen, als Drogen und Verbrechen den wohlhabenden Vierteln der linksliberalen New Yorker Juden immer näher rückten, so dass auch sie dann die neoliberale "Zero Tolerance"-Politik unterstützten. Es gab schon einmal eine solche Politik: zu Beginn des alten Liberalismus, als in England das Gemeindeeigentum privatisiert und eingehegt wurde und die vom Land Vertriebenen zu zigtausenden gehängt oder in die Kolonien deportiert wurden. Vielleicht ist es bald wieder so weit. Schon jetzt wird es immer ungemütlicher:

Zwei Spekulanten kaufen das Haus, in dem ich wohne - und schicken mir als Erstes eine fette Mieterhöhung, wobei sie sich auf den Mietspiegel berufen. Als ich ablehne, verklagen sie mich. Nachdem ich mühsam ausgerechnet habe, dass sie bloß Anspruch auf 2,74 Euro mehr haben, ziehen sie die Klage zurück.

Als Nächstes bekomme ich beim Einkauf einen falschen Fuffziger als Wechselgeld. Ich stecke ihn unkontrolliert ein. Als ich damit einen Leihwagen zahlen will, wird er entdeckt. Ich muss warten, bis das BKA kommt, und werde verhört. Irgendwann teilt man mir mit, dass das Verfahren eingestellt wurde.

An einem Sonntag stecke ich zwei Überweisungen in den dafür vorgesehenen Briefkasten der Sparkasse. Der war neu, weil irgendwelche Gangster aus dem alten wiederholt die Überweisungen rausgefischt hatten. Sie veränderten die Kontonummer das Empfängers und leiteten das Geld auf ihr Konto um. Nun hängt da schon wieder ein anderer Briefkasten. Er ist schlechter als der letzte, weil die Überweisungen nicht nach unten fallen: Ich kann sie durch den Schlitz sehen. Beunruhigt gehe ich am nächsten Tag zum Filialleiter. Der weiß nichts von einem neuen Briefkasten. Dann entdecken wir Klebestreifen auf dem alten: Da haben diese Gauner also einfach ihren Briefkasten angebracht - und alle Überweisungen vom Wochenende eingesackt. Ich muss mein Konto sperren lassen. Die Polizei kommt und nimmt Fingerabdrücke.

Spätabends gehe ich am Mariannenplatz in Berlin-Kreuzberg vorbei. Drei Männer lösen sich aus dem Schatten der Kirche, sie unterhalten sich lachend auf Albanisch. Ein Geräusch lässt mich umdrehen. Einer der drei holt gerade mit einem Totschläger aus, um mir den Schädel einzuschlagen. Ich laufe weg, aber einer der Verbrecher ist schneller. Ich werde meine Brieftasche los. Für fünf Euro hätten diese Herzchen mich glatt umgebracht. Die Polizei kurvt fünf Minuten um den Mariannenplatz und gibt dann auf. Später erfahre ich, dass schon einige Leuten dort sowie am Görlitzer Park von (den?) drei Männern überfallen wurden. Ich muss mein Konto sperren und neue Ausweise beantragen. Das kostet mich 200 Euro. Auf der Damentoilette des Ku'damm-Karrés entdecke ich später an der linken Wand in Rot den Spruch: "Albaner sind süß!", rechts steht - in schwarzer Schrift: "Vorsicht Schwestern, Albaner können tödlich sein!"

Das BKA bestellt mich zu sich, damit ich einen Blick in seine Verbrecherkartei werfe. Diese wird von einer stattlichen Blondine geführt. Ihr Büro sieht mit neun behördengrauen Bildschirmabteilen aus wie ein Internetcafé oder Pornoshop. Aber die bis in die Fingerspitzen äußerst gepflegt aussehende BKA-Angestellte hat diesem Eindruck entgegengearbeitet, indem sie überall blauweiße Griechenland-Urlaubsplakate hingehängt hat. An einem der Monitore soll ich 426 Porträtfotos von Verbrechern durchgucken, um die Täter zu identifizieren. Bei Nummer 112 angekommen, registriere ich, dass die BKA-Angestellte hinter mir eines ihrer Griechenlandposter, das sich von der Wand gelöst hat, mit einem Stück Tesafilm wieder anklebt. Ich drehe mich um und schaue ihr verstohlen dabei zu.

Mein Blick fällt auf ein himmelblaues Meer, ein Fischerboot und eine weiße berankte Hauswand, die von der Sonne beschienen wird … Nachdem ich alle Fotos zügig durchgesehen habe, stellt sich Erleichterung ein. Ich ziehe meinen Mantel an und verabschiede mich von der freundlichen Angestellten mit einem schlechten Gewissen: so als sei ich für nichts und wieder nichts in ihre griechische Privatsphäre eingedrungen - selber fast ein Verbrecher.

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