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Das Wunder der Wende

Vielleicht brachte das Wetter die Rettung: Die Hubschrauber konnten nicht starten, und Israelis und Palästinenser redeten einfach weiter

aus Camp David PETER TAUTFEST

„Der Gipfel ist zu einem Ende ohne Ergebnis gekommen.“ So lautete das lakonische Statement des Weißen Hauses kurz vor 23 Uhr am Mittwoch. Der Präsident werde ins Weiße Haus zurückkehren und eine Erklärung abgeben. CNN meldete das Scheitern der Nahost-Friedensverhandlungen in Camp David.

In Washington und den nahe gelegenen Catoctin Mountains goss es in Strömen. Eine Abreise der Delegationen per Hubschrauber schied aus. Die Wagenkolonne von US-Präsident Bill wurde in Camp David zusammengestellt. PLO-Chef Jassir Arafat sollte direkt zum Luftwaffenstützpunkt Andrews fahren, um nach Gaza zu fliegen, der israelische Ministerpräsident Ehud Barak wollte im Hampton Hotel im nahe gelegenen Frederick eine Pressekonferenz abhalten. Nachträglich kann darüber spekuliert werden, was geschehen wäre, wenn die Delegationen einfach in ihre Hubschrauber hätten steigen und entschweben können. So aber zog sich die Abreise hin. Nach den Worten von Clintons Sprecher Joe Lockhart spielte sich das so ab, dass „zum Zeitpunkt, da die Entscheidung getroffen war, in die Autos zu steigen, da waren noch Gespräche im Gang, die nicht einfach plötzlich aufhörten. Die Leute haben nicht einfach gesagt, so, jetzt steigen wir ein, wir fahren ab. Nein, die Gespräche gingen weiter.“

Glaubt man Lockhart, war es die Eigendynamik dieser Gespräche, die die überraschende Wende brachten. Während also um Mitternacht Ortszeit israelische Reporter im Keller des Hampton Hotels vom Scheitern der Verhandlungen in Camp David berichteten, und Barak nur darauf zu warten schien, dass Clinton seine Erklärung im Weißen Haus abgab, damit er dann vor die Presse treten konnte, während arabische Journalisten schon unterwegs nach Andrews waren, um ein Wort von Arafat zu erhaschen, hieß es um halb eins plötzlich, der Präsident sei noch in Camp David und werde im Pressezentrum im nahe gelegenen Thurmont eine Erklärung abgeben. Zehn Minuten später trat Clinton vor die eilig von Frederick nach Thurmont gerasten Reporter und verkündete: „Nach einer Runde intensiver Konsultationen haben die Parteien entschieden, hier zu bleiben, während ich nach Okinawa zum G-8-Gipfel fahre.“

Baraks Brief

Der Tag in Camp David hatte nicht gut begonnen und war noch schlechter verlaufen. Kaum hatte Clinton in der Nacht zum Mittwoch erklärt, dass er seine Reise nach Japan um 24 Stunden verschieben würde, kursierten – von Lockhart allerdings dementierte – Gerüchte, Barak wolle abreisen. Barak habe Clinton einen Brief geschrieben, hieß es im israelischen Fernsehen, in dem er der palästinensischen Delegation mangelnde Ernsthaftigkeit und fehlenden guten Willen vorwarf. Arafat seinerseits hatte schon am Dienstag an Clinton geschrieben, berichtete Lockhart, ohne allerdings auf den Inhalt einzugehen.

Im Laufe des Nachmittags hatte Clinton sich an mehrere arabische Führer gewandt. Sie sollten auf Arafat einwirken, einen Deal über Jerusalem anzunehmen. „Wir sind an eine entscheidende Wende gekommen,“ hieß es um 18 Uhr abends. „Der Präsident arbeitet so hart er kann, um sicher zu sein, dass auch wirklich jeder Weg zu einem Agreement erkundet wird. Die Arbeit geht weiter, bis wir wissen, dass kein Weg dahin führt.“ Letzte Anstrengungen im Angesicht des Scheiterns.

Was die Wende gebracht hatte? „Der Präsident hat jede Unze der Überzeugungskraft, die er hat, eingesetzt und dann noch Überzeugungskraft, von der er nicht wusste, dass er sie hatte,“ versuchte Joe Lockhart nach Mitternacht das Wunder der Wende zu erklären. Unweigerlich gerät Clintons Drahtseilakt auch unter kritischen Beschuss in Amerika. „Der macht das nur, um seine politische Statur zu verbessern,“ mosert eine Anruferin bei einer Talkshow von National Public Radio, „und wir Steuerzahler müssen dann die Milliardenzeche für die Entschädigung der Palästinenser zahlen. Was haben wir damit zu tun?“ – „Das dürfte Mehrheitsmeinung in Amerika sein,“ sagt Rashid Khalidi vom Center Of International Studies an der University of Chicago. Auch der Mehrheitsführer im Senat, Trent Lott, hat schon angekündigt, dass der Kongress kaum die Milliarden genehmigen dürfte, die jetzt als amerikanischer Beitrag zur Finanzierung des Friedens gehandelt werden.

„Das Risiko eines Scheiterns ist enorm, aber die Verhandlungen sind dennoch eine gute Idee, denn nicht zu verhandeln birgt eher noch größere Risiken“, sagt Richard Haas vom Brookings Institut und ehemals außenpolitischer Berater Bushs, der eigentlich für Clinton selten gute Worte übrig hat: „Letztlich können Amerikaner den Willen der Parteien nicht ersetzen und liefern, was die Verhandlungspartner nicht einzubringen bereit sind – was die Amerikaner zum Einigungsprozess beisteuern können sind vielleicht zwei Prozent.“

Wenn das, was Clinton an Durchhaltevermögen, Wissen und Überzeugungskraft einbringt, zwei Prozent ausmacht, will man nicht wissen, wieviel Prozent sein Nachfolger beitragen könnte. Vor Montag kommt Clinton nicht aus Japan zurück, nun leitet Außenministerin Madeleine Albright die Verhandlungen.

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