Athener Ausstellung über Tier und Mensch: Arme Seelen
Fuchskadaver auf der Straße: Die große Schau „Why Look at Animals“ im Athener Museum für Gegenwartskunst fokussiert auf unseren Umgang mit Tieren.

Warum schauen wir uns Tiere gerne an? Nicht nur unsere Haustiere, sondern auch all jene, die uns – besonders im Kindesalter – in Büchern, als Spielzeug sowie in Zeichentrick-Filmen begegnen. Tiger, Pandabären und Elefanten, so scheint es, existieren in allen Kinderzimmern, obwohl ihre Lebensgrundlagen immer schlechter werden und sie durch unser Verhalten sogar vollkommen zu verschwinden drohen und aussterben.
Dieses Paradox und Zeugnis menschlicher Entfremdung zur Natur hatte John Berger bereits 1977 in seinem Essay „Why Look at Animals“ diskutiert. Bergers einflussreicher Text dient nun auch als Grundlage für eine umfangreiche Ausstellung im Museum für zeitgenössische Kunst in Athen (EMST).
Unter dem Bergers Essay erweiternden Titel „Why Look at Animals. A Case for the Rights of Non-Human Lives“ werden hier als Weltpremiere in über 200 Werken Tierrechte, Tierwohl und das menschliche Verhältnis zur Natur diskutiert. Kuratorin der bisher größten Gruppenausstellung im EMST, die alle vier Etagen sowie das Untergeschoss umfasst und über 60 Künstler:innen zeigt, ist die griechische Kunsthistorikerin Katerina Gregos.
Politische Vision
Gregos, seit 2021 auch künstlerische Direktorin des EMST, setzt mit „Why Look at Animals“ ein Zeichen und macht nach ihrer vierteiligen, all-female Schau „What If Women Rules the Wold“ ihre politische Vision für das Museum deutlich.
„Why Look at Animals? A Case for the Rights of Non-Human Lives“. EMST – Nationalmuseum für Zeitgenössische Kunst, Athen/Griechenland, bis 15. Februar 2026
Das Verhältnis von Tieren und Kunst ist heutzutage nämlich so beschädigt, dass man davon höchstens Notiz nimmt, wenn nichtmenschliche Lebewesen für Kunst benutzt und misshandelt werden. Wie im prominentesten Fall bei Damien Hirst.
In seiner Laufbahn hat der britische Starkünstler laut Online-Kunstmagazin artnet den Tod von bis zu einer Millionen Tiere zu verantworten, deren Körper er für seine auf dem Kunstmarkt sehr erfolgreichen Installationen nutzte – man denke etwa an seine eingelegten Haie. Gemessen an Hirsts death count ist die öffentliche Reaktion zahm. Erst in der letzten Dekade hatten Proteste dazu geführt, dass Arbeiten von Hirst aus Ausstellungen entfernt werden mussten.
Dokumentierte Qual
Auch im EMST sieht man in vielen Videoarbeiten echte Tiere. Allein die Dokumentation über ihre Qualen reicht aus, um ein Statement zu machen, anders als bei Damien Hirst, der sie erst einmal zu künstlerischen Objekten verarbeiten muss. Oft sind es Nutztiere, die in der Ausstellung auf der Leinwand erscheinen.
Wie Mastschweine in Ang Siew Chings Video „High-Rise Pigs“. Die singapurische Künstlerin thematisiert deren kurzes Leben im Zhongxin Kaiwei Pig Building, der mit 26 Etagen größte Massentierhaltungsstall der Welt. Er wurde Ende 2022 in der chinesischen Provinz Hubei fertiggestellt und überschattet mit seinem Gestank und der architektonischen Größe das Dorf, in das er platziert wurde.
Dass man dabei neben Eindrücken der beklemmenden Innenarchitektur auch von der Züchtung zusätzlicher Brustwarzenpaare für die Säue erfährt, lässt erschaudern. Der traurigste Moment ihres Videos ist, als zwei Schweine versuchen aus dem Maststall zu fliehen und über die Absperrung hängend miteinander zu kommunizieren scheinen. Vergebens. Man ahnt, dass sie zu den 1,2 Millionen Exemplaren gehören, die hier jährlich geschlachtet werden.
Leere Augen von Streunern
In der zweikanaligen Videoarbeit „Today I am, Tomorrow I’m not“ von Menelaos Karamaghiolis sieht man hingegen Tiere in Griechenland, die zwar frei sind, doch in den menschlichen Umgebungen nicht überleben können. Man blickt in leere Augen streunender Hunde, die im Müll wühlen, und sieht eine angefahrene Schildkröte auf der Straße hoppeln.
Parallel zu diesen realistischen Bildern lässt Karamaghiolis Szenen religiöser Riten in Griechenland ablaufen: Ikonen werden geküsst, eine orthodoxe Beerdigung findet statt – Menschen weichen offenbar lieber ins Jenseits aus, anstatt die anderen Lebewesen um sie herum zu sehen.
Der Tod von Tieren spielt in dieser Ausstellung häufig eine Rolle, ist er doch oft eng an menschliches Leben gekoppelt. In der Videoarbeit „The Roadkill Coat“ aus dem Jahr 2000 sammelt das französische Duo Art orienté objet durch Autos verunglückte Tiere von der Straße auf, dokumentiert die Kadaver und näht Tierfelle zum pompösen Pelzmantel zusammen.
Leichen im Innenfutter
Der hängt jetzt im Original neben der Videoinstallation, in seinem Innenfutter sieht man die Fotos der toten Tiere, viele Hasen und Vögel, aber auch größere Wildtiere. Wird dann im Video der Pelzmantel in der Öffentlichkeit getragen, hat das einige lange Blicke zur Folge.
Direktorin Gregos hat auch neue Arbeiten in Auftrag geben lassen. Das ist zunächst löblich, vor ihrer Zeit hatte man im Museum gar kein Budget für Auftragswerke. Doch dass sie eine Künstlerin wie Emma Talbot dafür auswählte, läuft dem ethischen Ansinnen ihrer Ausstellung etwas zuwider.
Die britische Künstlerin Talbot ist auch für ihre Malereien auf Seide bekannt, in Athen steuert sie eine riesige Installation aus der tierischen Faser bei, für die jährlich Billionen Seidenraupen sterben müssen. Das Bewusstsein für Tierleid scheint selbst bei solch einer engagierten Kunst noch nicht ausgereift.
Visuell zumindest betonen Emma Talbots zu beeindruckender Ornamentik zusammengefügte Vögel, Spinnen und Hunde auf dem monumentalen Seidenstoff die Tragweite und die dringliche Message der Ausstellung: Wie John Berger es in seinem Essay feststellte, existiert das parallele Leben zwischen Mensch und Tier, gefüllt von Geheimnissen und Respekt, nicht mehr. Was Tiere uns heute zeigen, wenn wir sie beobachten, ist vielmehr, was wir schon verloren haben.
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