Das „Stonehenge“ in Oberfranken: Das Wunder von Wunhenge
In Wunsiedel möchte ein Designer ein deutsches Stonehenge bauen. Wie der künstliche Steinhaufen eines „spinnerten Kerls“ eine Region aufwerten soll.
Hier sollen sie stehen, 65 Steine, über 6 Meter hoch, angeordnet in einem Kreis von 35 Meter Durchmesser. „Wunhenge“, sagt Kai Hammerschmidt, „ich finde den Namen eigentlich ganz schön.“
Klar, er hat ihn sich ja auch ausgedacht. Die Symbiose aus Stonehenge und Wunsiedel, der Kleinstadt im Fichtelgebirge, die deutschlandweit vielleicht für die Theaterfestspiele auf der spektakulären Luisenburg bekannt ist. Und für die Pilgerfahrten von Neonazis zum mittlerweile aufgelösten Grab von Rudolf Heß (dem ehemaligen NS-Reichsminister, Anm. d. Red.).
Das Fichtelgebirge im nordöstlichsten Eck Oberfrankens bekommt sein eigenes, maßstabsgetreues Stonehenge. Das beschloss der Stadtrat im Dezember. Das Projekt soll einer abgehängten Region vor allem eines bescheren: Touristen. Daraus macht niemand einen Hehl, nicht der Bürgermeister und nicht Kai Hammerschmidt, Geschäftsführer der Kunstfelsen KaGo & Hammerschmidt GmbH. „Das zu bauen“, sagt der, „ist mein Lebenstraum.“
Die Geschichte dieses Traums ist eigentlich auch die Geschichte einer Region. Hammerschmidt, Bart, karierte Weste, selbstbewusster Auftritt, stammt aus dem benachbarten Selb. Selb nun kennt man, wenn man es kennt, nicht wegen Nazis oder Felsen, sondern wegen der Porzellanindustrie.
Der wirtschaftliche Niedergang
Kai Hammerschmidt hat bei der Firma Hutschenreuther Modelleur gelernt. Ende der 80er Jahre modelliert er Tierfiguren, hängt dann noch ein Designstudium dran. „Der technische Vorstand hat zu mir gesagt: Das ist eine der besten Ausbildungen, die ein Modelleur je hatte. Blöde Nachricht: Deinen Job gibt es nicht mehr.“ Es ist 1990 und dem wohlgenährten Fichtelgebirge steht eine Talfahrt bevor.
Der Zusammenbruch der Porzellan- und Textilindustrie kostet der Region Zehntausende Arbeitsplätze. Viele Menschen wandern ab, die Region überaltert. „Wir haben in Selb“, erinnert sich Hammerschmidt, „jahrelang Häuser weggerissen, ganze Wohnzeilen. Das war deprimierend.“ Auch er hätte damals weggehen können. Stattdessen baut er seine eigene, kleine Porzellanmanufaktur auf. Bei einer Party lernt er Klaus Gohl kennen, einen ehemaligen Polizisten, der in Heimarbeit damit begonnen hat, Zimmerbrunnen zu bauen und sich damit selbstständig macht.
1993 steigt Hammerschmidt in Gohls Firma ein. Seit etwa 15 Jahren seien sie Marktführer in Deutschland, sagt er und lässt Bilder über den Flatscreen laufen: ein Schloss in Disneyland, eine Pyramide im Legoland, jede Menge Zoolandschaften – alles eingefärbter Beton aus Wunsiedel. Wenn die Leute kein Porzellan mehr haben wollen, sollen sie halt Beton kaufen. Und das tun sie, weltweit.
2003 fliegt Hammerschmidt wegen eines Kunstpalmen-Deals nach Dubai. Das Emirat finde er seltsam. Aber: „Geile Sachen bauen sie schon.“ Im Flugzeug nach Hause liest er, dass bei neuesten Ausgrabungen in Stonehenge menschliche Überreste gefunden wurden. Die Forscher*innen erkannten am Zahnschmelz des Skeletts, dass der „König von Stonehenge“ aus dem Alpenraum kam. „Da dachte ich mir: krass. Wir haben quasi Stonehenge gebaut. Dann hol ich mir das Ding zurück.“
In Süddeutschland nennt man einen Menschen, der auf solche Ideen kommt, einen spinnerten Kerl, und meint das nicht unbedingt abwertend. Hammerschmidt spinnt, weil er sofort fragt: Warum nicht? Warum nicht Stonehenge ins Fichtelgebirge bauen? Denn das Monument hat ihn im England-Urlaub nachhaltig fasziniert.
Der erhoffte Aufschwung
Nachdem Hammerschmidt eine Nacht über seiner Idee geschlafen hat, kommt er zu dem Schluss: Neun kopierte Bauwerke sind besser als eines. Und wenn neun Gemeinden ihre Attraktion aus seiner Fertigung vorweisen können, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Touristen über Nacht bleiben. Dass sie hier schlafen, essen, einkaufen. Hammerschmidt will die Sphinx von Gizeh, die Ruinen von Chichén Itzá und 200 Meter der chinesischen Mauer.
Alles in Beton. „Das Ganze aber auf Bildung. Dass du da reingehst und extrem viele Informationen mitnimmst. Das war für die Fichtelgebirgler damals etwas viel.“ Die Idee vom Wunhenge aber lebt weiter. Und taucht über die Jahre immer wieder auf der Tagesordnung des Stadtrats auf. Zuletzt, 2009, hatte der Landesjagdverband das Monument verhindert. Es dauert elf Jahre und eine neue Wahl.
Wunhenge ist wieder da. Das hat Kai Hammerschmidt Bürgermeister Nicolas Lahovnik und Landrat Peter Berek zu verdanken. Von ihnen, nicht von ihm sei diesmal die Initiative ausgegangen. Eine Machbarkeitsstudie bescheinigt dem Projekt das Potenzial, etwa 100.000 Besucher pro Jahr anzulocken.
Hammerschmidt blättert durch Zielgruppenanalysen: die Esoterikszene, die Mittelalterfreaks, Schulklassen, Familien, sie alle sollen kommen und schauen und lernen. 2023 wäre es so weit. Wenn es ihm gelingt, die notwendigen Gelder, also fünf bis fünfeinhalb Millionen Euro zu akquirieren.
Nicht mehr als 10 Euro soll der Eintritt kosten. Mit einem Steinkreis allein ist es nicht getan. Hammerschmidt will Gastronomie, Seminarräume, Wohnmobil-Stellplätze, einen 500-Quadratmeter-Spielplatz, eine Bühne, die gleichzeitig eine Kletterwand ist, er will eine Beleuchtung und Rauch, aber: „kein Rambazamba, sondern Flair!“ Die Stadt stellt ihm dafür 40 Hektar zur Verfügung.
Man mag die Idee absurd oder kitschig finden – Wunhenge wird einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Original aufweisen: Es ist nicht eingezäunt. Man kann sich, wenn man unmittelbar davor steht, selbst von der monumentalen Wucht der Steine überzeugen. Hammerschmidt will seiner Heimat mit dieser Idee etwas hinterlassen.„Schweinereich“, sagt er, „wird damit niemand, ob man mir das glaubt oder nicht. Aber ich will, dass es der Region etwas bringt und da drin sitzen, ein Bier trinken und stolz sein, dass ich das schaffen durfte.“
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