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Das PortraitEin Filmemacher von stiller Subversivität

■ Heiner Carow

Es gehört zur Ironie der DEFA-Geschichte, daß ihre Regisseure von dem Publikum ignoriert wurden, dem sie doch so gern gefallen wollten. Beseelt von Brechts Vorstellungen einer eingreifenden Kunst, wollten die Filmemacher ran an die Massen, die sich ihrerseits ungern so nah auf den Pelz rücken ließen.

Heiner Carow war da eine Ausnahme. Seine Filme zogen die Leute ins Kino, sie erregten Debatten und Zorn und – im Falle von „Paul und Paula“ – fast kultische Verehrung. Sein Thema hat Carow früh gefunden: die Liebe. Und hierin liegt auch die stille Subversivität von Carow, der trotz aller Schwierigkeiten immer loyal zur DDR stand: Seine Paula war eine erotische Rebellin, eine naive Normbrecherin, die deshalb so revolutionär wirkte, weil sie sich um die Gesellschaft nicht scherte. In einem Land, das von Langeweile und Lauheit beherrscht wurde, wirkte Paulas Glücksanspruch radikal und ermutigend. Von gezielten Schlägen gegen die Obrigkeit hielt Carow nichts. Doch während die Dogmatiker weismachen wollten, daß viele Neubauwohnungen schon glückselig machen, erzählte er in seinem Film „Bis daß der Tod euch scheidet“ von einem jungen Paar, das trotz günstiger äußerer Bedingungen am Alkoholismus des Mannes scheitert.

Carows große Stärke, sein Mut zum Gefühl und zu großer Wirkung, ließ ihn dramaturgische Bedenken oft beiseite wischen. „Coming out“ etwa, den ersten Schwulenfilm der DEFA (1989), hat er mit guten Absichten und übersteigerten Gefühlsausbrüchen eindeutig überladen. Merkwürdigerweise haben diese stilistischen Mängel die Wirkung des Films noch erhöht.

Er war ein müder Mann in seinen letzten Lebensmonaten. Das Laufen fiel ihm schwer, und auch seine Sprache wurde immer bedächtiger. Manchmal drehte er noch etwas fürs Fernsehen, aber an einen Kinofilm war nicht mehr zu denken. Sein Lieblingsprojekt, eine Verfilmung des Simplicissimus, hatte schon zu DDR-Zeiten keine Chance. Damals hielt man ihn jahrelang mit den Vorarbeiten hin, einfach um ihn von brisanten Stoffen abzulenken.

So viel Mühe mit Verhinderungen gibt sich heute niemand mehr. Wie viele DEFA-Regisseure seiner Generation hat Carow den Wandel nie ganz verkraftet. Knut Elstermann

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