: Das Gift, das wir atmen
In Venezuela arbeiten Tausende prekär in Minen. Bericht eines Goldgräbers
Aus Mérida Liliana Rivas
José Agosto wurde in El Callao geboren, Südvenezuela, im Herzen des Orinoco-Bergbaugebiets. Legaler und illegaler Bergbau gehen im „Arco Minero“ Hand in Hand. Der Staat tritt eher als Zuschauer denn als Regulierer auf. Der Goldbergbau ist überall zu spüren: im roten Staub, der die Straßen bedeckt, in der mit Quecksilberdampf belasteten Luft und in der Hektik, mit der die Menschen ihren Alltag bewältigen.
„Ich bin José, 31 Jahre alt, habe eine schwangere Frau und zwei kleine Kinder. Seit meiner Jugend arbeite ich im Bergbau, wie fast alle hier. Um mich herum gibt es mehr als 2.000 Mühlen, die fast das ganze Jahr über in Betrieb sind. Jede Mühle benötigt mit Quecksilber behandelte Kupferplatten, die Haut und Lunge angreifen.“
Das goldhaltige Material wird in Säcke gefüllt und mit Wasser und Quecksilber in einem sich ununterbrochen drehenden Metallzylinder gemahlen. Anschließend wird die Mischung über mit Quecksilber imprägnierte Platten geleitet, die das Gold auffangen. Diese Amalgammasse wird mit Spachteln abgekratzt und verbrannt, um das Edelmetall abzutrennen. Die Hitze verdampft das Quecksilber, das in einer dichten schweren Wolke aufsteigt, die alle einatmen. Toxikologen wie Yolangel Hernández vom Krankenhaus in Ciudad Guayana warnen, dass Quecksilber keine Gnade kenne: Es verursacht neurologische und Nierenschäden, extreme Müdigkeit, Zittern, kognitive Probleme und Parkinson.
„Jahrelang habe ich mir bei der Arbeit den Mund nur mit einem alten Lappen bedeckt. Bis zu 60 Platten pro Tag habe ich bearbeitet, viermal pro Woche. Mit der Zeit habe ich mir eine industrielle Atemschutzmaske besorgt. Aber trotzdem bekam ich Zittern, kalten Schweiß, Schlaflosigkeit und Gedächtnislücken.“
Zur Entfernung des im Körper angesammelten Quecksilbers dient die medizinische Chelattherapie. Dabei werden Substanzen eingesetzt, die sich mit den im Körper vorhandenen Schwermetallen verbinden und deren Ausscheidung über den Urin erleichtern – ein komplexes und kostspieliges Verfahren, zu dem nur wenige in diesen Gemeinden Zugang haben. Die lokalen Gesundheitszentren verfügen seit Jahren nicht über die Mittel, um Vergiftungen zu diagnostizieren. Und um eine geeignete öffentliche Einrichtung in Anspruch zu nehmen, muss man mehr als sieben Stunden mit dem Auto fahren.
„Das Quecksilber ist überall: im Wasser, das wir trinken, in den Fischen, die wir essen, in den Böden, die wir bepflanzen.“
Um den Bergbausektor zu organisieren, hat der Staat die Corporación Venezolana de Minería, die Venezolanische Bergbaugesellschaft, gegründet und bereits vor zehn Jahren auch Umweltmanagementpläne versprochen.
Liliana Rivas ist eine Journalistin aus Mérida, Venezuela. Sie arbeitet als Dokumentarfilmproduzentin und schreibt unter anderem für das Onlinemagazin Mongabay.
„In der Praxis haben aber die Besitzer der Mühlen weiter das Sagen. Sie legen Preise und Bedingungen fest, verteilen die Gewinne oder lassen einen mit leeren Händen zurück, wenn es keine Produktion gibt. Nach Jahren der Hyperinflation, ständiger Abwertung, zusammengebrochener öffentlicher Dienste und Mindestlöhnen von knapp 2 Dollar ist der Bergbau der einzige Ausweg, auch wenn man weiß, dass er einen umbringt.“
José hat einmal wegzugehen versucht und sich dafür weit weg ein Haus gekauft. Er träumte von einem festen Job und von ruhigen Wochenenden, die er mit seinen Kindern verbringen wollte. Doch es kam anders.
„Ich habe das nur drei Jahre ausgehalten, die Liebe zur Heimat und die Not haben mich zurückgebracht. Dieses Dorf ist meine Heimat. Hier bin ich geboren, hier bin ich aufgewachsen, und hier werde ich bleiben, solange ich kann.“
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