Das Flughafengebäude Berlin-Tempelhof: Ein Projekt für Generationen
Auch 14 Jahre nach der Schließung des Berliner Flughafens Tempelhof gibt es kein Konzept für das Gebäude. Das verfällt nur und wird täglich teurer.
B ei seiner Errichtung galt der Tempelhofer Flughafen als das größte Gebäude der Welt. Er verfügte über eine autonome Energieversorgung, unterirdische Straßen und Schienenwege. Hinter der monumentalen Muschelkalk-Fassade aus der NS-Zeit sollen sich mehr als 7.200 Räume verbergen. Heute residieren hier etwa 80 Mieter. Mit Abstand die größte Fläche belegt die Polizei, gefolgt von öffentlicher Verwaltung. Über 70.000 Quadratmeter aber stehen leer, 50.000 Quadratmeter werden nur ab und zu genutzt, weitere Flächen sind im Rohbauzustand geblieben.
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So viel Platz mitten in der Stadt beflügelt seit Langem die Fantasie vieler Initiativen. Einige wollen hier einen gemeinwohlorientierten Experimentier- und Demokratieort schaffen, andere das Gebäude vor allem in Ateliers, Ausstellungs-, Proben- und Bühnenräume umfunktionieren. Doch einen Großteil des ehemaligen Flughafens hat die Öffentlichkeit noch nie zu Gesicht bekommen. Nicht einmal die Pläne oder aus Steuergeldern finanzierte Gutachten sind zugänglich.
Seit Jahren versucht Heike Aghte von der Initiative THF.VISION Einsicht zu nehmen. Schließlich haben Bürger*innen im Prinzip das Recht, von staatlichen Stellen Auskunft über sie interessierende Fragen zu erhalten. Doch die zuständige Tempelhof Projekt GmbH (TP) rückt Informationen nur sehr spärlich heraus. Obwohl Gebäude und Unternehmen vollständig dem Land Berlin gehören und auch das Personal komplett aus öffentlichen Kassen bezahlt wird, ist das Ganze eine Blackbox.
Ein Schlupfloch im Gesetz
Grund dafür ist ein Schlupfloch im Berliner Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Das nutzt auch die Berliner Immobilien Management GmbH (BIM) ständig, die für über 5.000 landeseigene Immobilien zuständig ist. Nur Behörden sowie Organisationen mit hoheitlichen Aufgaben wie Krankenhäuser sind demnach auskunftspflichtig. „Die Flucht ins Privatrecht führt dazu, dass – ausgerechnet in Bezug auf kostenträchtige öffentliche Aufgaben – die Informationspflicht des Staates zulasten der Steuerzahlenden eingeschränkt wird“, kritisierte die Berliner Beauftragte für Datenschutz bereits 2017. „Wir hoffen auf eine Änderung der Rechtslage in einem künftigen Transparenzgesetz, das laut Koalitionsvertrag noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll“, schreibt Pressesprecher Simon Rebiger.
Der Tempelhofer Flughafen steht unter Denkmalschutz. Somit darf er nicht abgerissen werden. Absehbar wird er also auch im kommenden Jahrhundert noch den Platz der Luftbrücke und die nach Süden abzweigenden Magistralen dominieren. Ohne Zweifel – die Sanierung wird teuer. Das wissen alle, die sich jemals mit dem Gebäude beschäftigt haben.
2013 war von Kosten in Höhe von knapp 500 Millionen Euro die Rede, inzwischen kalkuliert die Senatsverwaltung mit 1,5 Milliarden Euro innerhalb der kommenden 30 Jahre. Nicht wenige Fachleute rechnen sogar mit dem Doppelten. Doch klar ist: Je länger der Prozess dauert, desto teurer wird alles.
Seit Jahren lässt TP auch die vielen leeren Räume beheizen, damit die Bausubstanz nicht weiter verfällt. Über 25.000 Megawattstunden wurden dafür im vergangenen Jahr benötigt, wie Aghte mit Hilfe des Umweltinformationsgesetzes nach mehrmaligem Nachfragen herausgefunden hat.
Das ist mehr, als 1.000 durchschnittliche Einfamilienhäuser oder 10.000 Zweipersonenhaushalte verbrauchen. Und aufgrund fehlender Thermostate und schlecht isolierter Rohre ist es in manchen Räumen so heiß, dass Nutzer*innen ständig die Fenster aufreißen müssen. Schon ohne die aktuellen Preissprünge kostete das die Allgemeinheit jedes Jahr Millionen.
TP berichtet von 5.000 Havarien im Jahr: Wasser tropft durch die Decke, Leitungen platzen. In diesem Sommer sollten eigentlich Flughafentower und eine Terrasse für Besucher*innen zugänglich werden, nun ist der Start für kommendes Jahr angekündigt. Dass das Alliiertenmuseum von Dahlem nach Tempelhof umziehen wird, ist inzwischen ein Evergreen. Bereits 2015 hat der Bundestag Geld bereitgestellt, 2021 sollte die Eröffnung am neuen Standort gefeiert werden.
Jetzt rechnet der Trägerverein damit, dass es wohl noch acht bis zehn Jahre dauern wird. Auch die 1,2 Kilometer lange Geschichtsgalerie auf dem Flughafendach wird noch lange auf sich warten lassen. Offiziell haben sich die Kosten bereits um 70 Prozent erhöht – und solange es keine neuen Räume für eine Abteilung der Umweltverwaltung gibt, stocken die baulichen Vorbereitungsarbeiten.
Es gibt keinen Plan
Diese punktuellen „Leuchtturm“-Vorhaben können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es keinen Plan für das Gesamtgebäude gibt. Gerade einmal vier magere Zeilen hat der 149 Seiten umfassende Koalitionsvertrag für das ehemalige Flughafen-Gebäude übrig. Sie besagen vor allem, dass die Räume für die vorhandenen Mieter zu sichern sind. Zwischennutzungen seien zulässig, soweit sie „anderweitig finanziert und verantwortet werden“ und „einer Zielstruktur“ nicht vorgreifen. Genau eine solche „Zielstruktur“ aber existiert auch 14 Jahre nach Schließung des Flughafens nicht.
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„Für dieses riesige Gebäude kann es keine Klein-Klein-Lösung geben. Es braucht eine langfristige, klare Formulierung, was man mit dem Gebäude will“, fordert Landeskonservator Christoph Rauhut und verweist auf die vielschichtige historische Bedeutung des Areals. Erbaut wurde es als Machtdemonstration einer totalitären Herrschaft; während der Kriegsjahre schufteten dort Zwangsarbeiter*innen für die Rüstungsindustrie. Nachdem die Sowjetunion Berlin abgeriegelt hatte, landeten hier die Rosinenbomber und brachten Lebensmittel, Medikamente und Briketts. So retteten die einstigen Kriegsgegner die Freiheit der West-Berliner*innen.
Fast 50 Jahre blieb die U.S. Air Force im Ostflügel des Gebäudes, baute neben einem Spionagezentrum auch Bowlingbahn, Squash- und Basketballhallen, Kantinen und Casinos ein, während der Zivilflughafen auf der gegenüberliegenden Seite seine Räume hatte. Seit 2008 startet und landet hier kein Jet mehr. Der Bund, dem 83 Prozent des Gebäudes und ungefähr die Hälfte der Freiflächen gehörten, verkaufte seine Anteile für 35 Millionen Euro ans Land Berlin, das seither allein Herr im Haus ist.
Die SPD-geführte Landesregierung hatte vor allem Interesse an dem über 350 Hektar großen Flugfeld: Die zentral gelegene Freifläche sollte internationale Investoren anlocken und Geld in die leere Landeskasse spülen. Zuständig war der damalige Stadtentwicklungssenator und später Regierende Bürgermeister Michael Müller. Er träumte von einem neuen Stadtteil mit Technologieunternehmen, Büros und Wohnungen direkt neben seinem Wahlkreis. Das Flughafengebäude selbst interessierte weit weniger und sollte als „Adresse für Kultur-, Medien- und Kreativwirtschaft“ international vermarktet werden.
Dann aber entschied das Volk im Mai 2014, dass das gesamte Tempelhofer Feld eine unbebaute Freifläche zum Radeln, Skaten, Picknicken, Drachen-steigen-Lassen und Vogelbeobachten bleibt – ein Gemeingut, auf dem sich die Stadtgesellschaft in ihrer Vielfalt begegnet, ohne dass jemand dabei etwas konsumieren muss. Die SPD reagierte geschockt – und beleidigt. „Das Filetstück war weg“, fasst die Präsidentin der Berliner Architektenkammer Theresa Keilhacker zusammen, die das Ergebnis des Volksentscheids persönlich befürwortet.
Während die Umweltverwaltung nun fürs Feld zuständig wurde, blieb die Verantwortung für das Gebäude bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und der ihr unterstehenden TP. Deren Handlungsspielraum ist laut Managementvertrag stark eingeschränkt. Einmal im Jahr muss sie dem Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses einen Fortschrittsbericht vorlegen, der aber kaum wahrgenommen, geschweige denn intensiv diskutiert wird. Verantwortlich für die inhaltlichen Entscheidungen sind Stadtentwickungssenator und Aufsichtsrat.
Verantwortlich fühlt sich keiner
„In den vergangenen Jahrzehnten wurden keine Investitionen in den baulichen und zukunftsfähigen Erhalt des Gebäudes getätigt. Der Sanierungsstau ist gewaltig“, sagt TP-Geschäftsführerin Jutta Heim-Wenzler kürzlich in einem Interview und beklagte ungeklärte Finanzierung und fehlende politische Unterstützung. Kurz bevor sie sich in die Rente verabschiedet, kann sie so offen sprechen. Tatsächlich interessiert sich gegenwärtig niemand in der Regierung für die Entwicklung des Gebäudes: Das Denken in Wahlperioden verhindert das Angehen des Großprojekts, dessen Erfolg sich politisch erst in Zukunft auszahlen kann.
In der vergangenen Legislatur gab es noch mehr Aufmerksamkeit. Im Koalitionsvertrag stand damals: „Das Nutzungskonzept wird partizipativ entwickelt und soll bereits parallel zu den notwendigen Sanierungsmaßnahmen Nutzungen und einen Gedenkort ermöglichen.“ Die Linke hatte das Stadtentwicklungsressort ergattert und Katrin Lompscher gab 2018 das Motto aus: öffnen, experimentieren.
Für kurze Zeit sah es so aus, als ob die Stadtgesellschaft tatsächlich mitgestalten könnte: TP sollte ein Partizipationsverfahren organisieren. Allerdings gab es kaum echte Mitwirkungsformate, Ziel und Fragestellung waren unklar. Das stellte die beauftragte Firma Slapa nach neun Monaten dann auch fest. Da hatten sich Bürger*innen schon viele Tage lang ehrenamtlich engagiert und mussten erleben, dass sie für den Papierkorb gearbeitet hatten.
Ein anderes Projekt verlief ebenfalls im Sande. Für einen Gebäudeteil, in dem es fünf Küchen, Kantinenräume und Zugang zu einem grünen Innenhof gibt, fand mit Unterstützung des Senats ein Workshop für einen Ernährungscampus statt. Doch schon kurz nachdem die Ergebnisse vorlagen, teilte TP den Initiator*innen von THF.VISION und Ernährungsrat Berlin mit, dass mindestens zehn Jahre rein gar nichts gehen werde: Ein neues Gutachten habe ergeben, dass zunächst die Statik des Gesamtgebäudes untersucht werden müsse.
Jahrelang werde man nur damit beschäftigt sein, die Räume von Polizei und anderen Mietern zu sichern – erst danach sei an neue Nutzungen zu denken. Nur für ein einziges Projekt waren zuvor noch Räume hergerichtet worden: CityLAB. Dahinter steht die Technologie-Stiftung Berlin, bei der neben Vertretern aus Politik und Wissenschaft auch Siemens, Deutsche Bank und Pfizer den Kurs bestimmen.
Irgendwann mal Bürger*innen fragen
Ohne lästige Bürger*innenbeteiligung brachte TP sogar noch vor dem offiziellen Aus fürs Partizipationsverfahren eine „Vision 2030+“ zu Papier, mit blumigen Sätzen wie: „Sich Vielfalt trauen: Raum für Experimente von, mit und für alle Nutzergruppen“. Allerdings soll das erst irgendwann in einer fernen Zukunft stattfinden. Bis dahin will die wachsende, inzwischen über 100 Vollzeitstellen umfassende TP-Belegschaft allein vor sich hinbröseln.
Sie hat ein Ver- und Entsorgungskonzept in Auftrag gegeben und will sich da nicht reinreden lassen. Als der Ingenieur Peter Schrage-Aden vom „Aktionskreis Energie“ in einem Klimaworkshop daraus zitierte, war ein TP-Mitarbeiter erstaunt und verärgert: „Das dürfen Sie doch gar nicht haben.“ Dort beleuchteten mehrere Fachleute kritikwürdige Aspekte des Konzepts und empfahlen dringend, weitere Expert*innen einzubeziehen, bevor Fakten geschaffen werden.
Immerhin scheint der Denkmalschutz mit im Boot zu sein. „Man muss angesichts der Klimakrise neue und intelligente Lösungen finden“, sagt Landeskonservator Christoph Rauhut und berichtet über einen internationalen Workshop von Fachkolleg*innen, der sich auch mit der nachhaltigen Energieversorgung des Gebäudes beschäftigt hat. Fotovoltaik auf Dächern, Abwärme aus U-Bahnschächten, Platz für Batterien in fensterlosen Kellerräumen: Im Prinzip sei das Gebäude durch seine zentralistisch angelegten Versorgungsstrukturen geeigneter als viele andere für eine rasche Umsetzung, so Rauhut. „Aber natürlich setzt das das klare Bekenntnis voraus, dass solche Investitionen nötig sind.“
Doch Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel will nun alles wieder auf Start setzen und das Gebäude an reiche Investoren verscherbeln. „Das Konzept schön machen und dann suchen wir uns einen Nutzer, funktioniert nicht“, sagte Geisel Ende September in der BZ.
In der vorigen Legislatur hatte die SPD stets dafür plädiert, den Flughafen mit Verwaltung zu füllen. Auch der sozialdemokratisch dominierte Aufsichtsrat steht für Abwarten. Die ehemalige Kultursenatorin Adrienne Göhler, die fünf Jahre lang in dem Gremium mitgearbeitet hatte, gab im Juni entnervt auf. Sie hatte immer wieder versucht, eine fundierte Diskussion über die Zukunft des Gebäudes anzustoßen, fand dafür aber keine Mitstreiter.
„Da die Zukunft von THF in keinem anderen regierungspolitischen Gremium der Stadt inhaltlich diskutiert wird, es keine artikulierte Vorstellung davon gibt, wie das größte Gebäude Europas zum öffentlichen und kulturellen Nutzen der Stadt zu transformieren wäre, war und ist es fahrlässig, auch im Aufsichtsrat eine inhaltliche Haltung und Parteinahme für den Ort zu verweigern,“ schrieb sie in ihrer Rücktrittsbegründung. Und weiter: „Es ist der ganz alte, überkommene Politikstil.“
Kritik kommt auch von Architektin Keilhacker: „Man drückt sich um die Wahrheit: Die Politik schiebt seit Jahren die Kosten weiter in die Zukunft.“ Was es statt „Koalitionsgeschacher“ bräuchte, wäre ein politisches Bekenntnis, dass es sich um ein Generationenprojekt handelt. Gerade weil die Kosten für das Land Berlin hoch sein werden, müsse das Nutzungskonzept der Allgemeinheit zugutekommen und der „Bevölkerung etwas zurückgeben“.
Inzwischen haben verschiedene Initativen und Organisationen ein „Transformationsbündnis THF“ gegründet, das dem Land vielfältige Expertise anbietet. „Wir wollen dazu beitragen, unsere Stadt zukunftsfest zu machen.“ Schon länger vor Ort ist die Torhausgruppe, die das 52 Quadratmeter große Pförtnerhäuschen am Columbiadamm bespielt und selbst Fördertöpfe für die ökologische und denkmalgerechte Sanierung aufgetrieben hat.
„Berlin könnte so viel gewinnen, wenn es endlich ein ernstgemeintes Miteinander von Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik gäbe“, sagt Jule Hanske von Mehrwertvoll. Seit Jahren versucht sie den Kulturwandel durch regelmäßige Netzwerk-Lunchs zu befördern, um Anwohner*innen, Mieter*innen, Aktivist*innen, Verwaltung und TP-Mitarbeiter*innen miteinander ins Gespräch zu bringen. Viele sind gutwillig. Die Umsetzung auch kleiner Vorhaben aber bleibt extrem zäh.
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