: Das Experiment
Mit dem Kommunikationskonzept Race Class Narrative (RCN) als praktischer Anleitung können wir über gesellschaftliche Konflikte sprechen, ohne uns weiter spalten zu lassen
Die Feiertage stehen vor der Tür. Der Baum ist geschmückt, die letzten Einkäufe sind erledigt, doch im Hinterkopf schlummert die Erinnerung an die vorigen Jahre: der unvermeidliche Eklat am Essenstisch, sobald es politisch wird und die Stimmung kippt. Statt Besinnlichkeit herrschen dann eine angespannte Stimmung und Streit. Empörung trifft auf Abwehr, am Ende schweigen sich alle an. Aber was, wenn wir dem dieses Jahr einfach mal etwas entgegensetzen?
Hier lohnt sich ein Blick in die Werkzeugkiste der politischen Kommunikationsforschung, genauer: auf das Race Class Narrative (RCN). Das klingt akademisch, ist aber eigentlich eine Anleitung, die zeigt, wie wir über gesellschaftliche Konflikte sprechen können, ohne uns weiter spalten zu lassen. Denn die vielen Debatten und besonders die um Migration sind oft gar keine. Sie sind ein Ablenkungsmanöver.
Bestimmte politische Akteure emotionalisieren Migration gezielt, um uns zu spalten. Sie nutzen die Angst vor dem „anderen“, damit wir nicht merken, dass wir eigentlich im selben Boot sitzen. Denn ob mit oder ohne Migrationsgeschichte, die Sorgen sind meist identisch: Mieten, die keiner mehr zahlen kann, marode Schulen, unsichere Renten.
Heather McGhee, Ian Haney López und Anat Shenker-Osorio haben genau für solche Debatten das RCN entwickelt. Das RCN dreht den Spieß um. Statt moralisch zu predigen oder in Schnappatmung zu verfallen, benennt man das Manöver: Wir werden gegeneinander ausgespielt, damit sich oben niemand bewegen muss. Autoritäre Kräfte profitieren, wenn wir uns spalten, denn eine gespaltene Bevölkerung verteidigt sich schlechter gegen antidemokratische Angriffe. Die Formel ist simpel: verbindende Werte betonen, den Spaltungsversuch entlarven und dann Lösungen fordern, die allen nützen. Wer das versteht, muss sich beim Weihnachtsessen nicht mehr anschreien – er kann den Spieß umdrehen, Polarisierung reduzieren und für alle etwas verändern.
Janka Schubart & Arthur Martin
Disclaimer:
Abwertende oder diskriminierende Sprache sollte nie toleriert werden. Wer von Hass betroffen ist, hat keine Verantwortung, sich mit dem Täter auseinanderzusetzen. Dieses Experiment ist für all die Menschen dazwischen: diejenigen, die Hass eigentlich ablehnen. Denn die Wenigsten hassen wirklich. Es geht darum zu verstehen, dass es autoritären Kräften nützt, wenn wir glauben, dass die meisten Menschen hassen.
Vor dem Gespräch – Check-in mit dir selbst
Frag dich vor dem Gespräch:
Wie geht es mir gerade? Bin ich entspannt genug, habe ich die Geduld, mir andere Standpunkte anzuhören?
Welche Grenzen brauche ich für meinen Selbstschutz? Welche Art von Sprache oder Anmerkungen kann ich nicht tolerieren?
Was mag ich an meinem Gegenüber?
Setze dir ein Ziel:
Das kann zum Beispiel sein, etwas Neues über die Haltung deines Gegenübers zu lernen, zu verstehen, wie die andere Person zu ihrer Überzeugung gekommen ist oder in welchen Punkten ihr euch eigentlich einig seid. Wichtig ist, dass das Ziel nicht ist, die Diskussion „zu gewinnen“, die andere Person bloßzustellen oder in eine Ecke zu drängen.
Für das Gespräch:
Als Leitfaden haben wir die wichtigsten Kernpunkte aus verschiedenen Studien zusammengefasst:
1. Mit gemeinsamen Werten beginnen.
Eine gemeinsame Basis senkt die Abwehr und öffnet das Gespräch.
Wir alle wollen, dass Familien sicher zusammenleben können – egal, wo jemand herkommt.
2. Probleme und Verantwortliche benennen.
So verschieben wir den Fokus.
Wer spart seit Jahren beim Wohnungsbau, im Gesundheitswesen, bei der Infrastruktur? Wieso vereinsamen Menschen, bekommen zu wenig Unterstützung bei psychischen Problemen? Wie können an solchen Defiziten Menschen schuld sein, die gerade erst hier angekommen sind?
3.Gefühle anerkennen, ohne zuzustimmen.
Angst vor Veränderung ist die Grundlage von Abneigung. Es ist beängstigend, in einer sich verändernden Gesellschaft nicht mehr hinterherzukommen. Diese Sorge anzuerkennen und sich gleichzeitig von jeglichen diskriminierenden Aussagen abzugrenzen, eröffnet neue Empathieräume.
Ich verstehe, dass Veränderung Angst macht. Aber statt das abzuwehren, können wir alle ein Teil der Veränderung sein. In einer diverseren Gesellschaft haben wir alle einen Platz.
4.Bei Falschinformationen nicht direkt kontern, sondern die Taktik hinterfragen.
Gefühle und Erzählungen sind stärker als Fakten. Deswegen bringt es mehr, eine Erzählung zu entlarven, als eine Zahl zu korrigieren.
Wer profitiert davon, wenn wir glauben, andere nehmen uns etwas weg?
5.Die Frage nach den Gewinnern der Spaltung stellen.
Wenn Menschen erkennen, dass Spaltung absichtlich geschaffen wird, verliert sie an Wirkung.
Wem bringt es etwas, wenn wir jetzt schon wieder darüber streiten?
6.Das große Wir finden.
Menschen öffnen sich, wenn sie merken, dass sie Teil der Lösung sein können.
Stell dir mal vor, was wir schaffen könnten, wenn alle Menschen in Deutschland miteinander statt gegeneinander arbeiten würden!
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