Das EU-Vertragsreferendum in Irland: Der Koloss regiert nicht mehr
Sollten die Iren den Lissabon-Vertrag ablehnen, blieben wichtige Politikprojekte für Jahre blockiert. EU-Politiker fordern: Über Verträge muss bald europaweit abgestimmt werden.
Eine Verfassung wollte sich Europa geben. Herausgekommen ist nach zähen Verhandlungen ein Änderungsvertrag ("Vertrag von Lissabon"), den nicht einmal Insider ohne juristische Hilfe lesen können. Das Ziel, ein von
6 auf 27 Mitglieder angewachsenes Europa wieder handlungsfähig zu machen, wurde dennoch erreicht. Nur in wenigen Politikbereichen wie der Außen-, Steuer- und Sozialpolitik müssen alle Staaten zustimmen. Die qualifizierte Mehrheit wird ab 2014 zur Regel. Sie gilt dann als erreicht, wenn 55 Prozent der Staaten zustimmen, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Die nationalen Parlamente können künftig prüfen lassen, ob die EU-Kommission zu sehr in nationale Zuständigkeiten eingreift. Die EU-Bürger können in einem Bürgerentscheid mit einer Million Unterschriften erzwingen, dass die Kommission sich mit einem Thema befasst und einen Gesetzentwurf dazu vorlegt. Das Europaparlament kann ebenfalls Gesetzesvorschläge einbringen. In der Kommission wird nicht länger jedes Mitgliedsland vertreten sein. Ab 2014 werden rotierend jeweils zwei Drittel der Mitglieder einen Kommissar nach Brüssel entsenden. Nach der Europawahl im Juni 2009 wird der Kommissionspräsident erstmals von der Mehrheit des EU-Parlaments gewählt. DPS
BRÜSSEL taz Vorsichtshalber hat das offizielle Europa schon mal begonnen, sich auf ein Scheitern des Vertragsreferendums in Irland einzustellen. Ein "Europa der Resultate" wolle man präsentieren, "mit oder ohne Vertragsänderung", predigt Kommissionschef Manuel Barroso. Er lässt seine Verwaltung ganze Berge von Papier produzieren und seine Kommissare mit Erfolgsstorys vor die Presse treten, die niedrigere Handygebühren im Ausland oder ein Warnsystem gegen gefährliches Kinderspielzeug als großen Schritt für die europäische Einigung verkaufen sollen.
Das wichtigste Resultat für Barroso wäre natürlich seine eigene Wiederwahl im Sommer 2009. Dabei käme ihm ein geplatzter Lissabon-Vertrag gar nicht so ungelegen. Denn nach derzeitiger Vertragslage kann er sich von den Regierungschefs bestätigen lassen. Tritt die Reform jedoch in Kraft, muss ihn das im Juni 2009 neu gewählte Europaparlament mit Mehrheit ernennen. Europas Bürger hätten bei dieser wichtigen Personalie zum ersten Mal ein Mitspracherecht.
Es ist Teil der tragischen Kommunikationsstörung zwischen der EU und ihren Bürgen, dass gerade diejenigen die Vertragsreform ablehnen, die mehr Demokratie für Europa erreichen wollen. Da der neue Vertrag unlesbar ist, lassen sich Ängste und Vorurteile ungeprüft hineinprojizieren. Dringende politische Projekte wie soziale Mindeststandards im europäischen Arbeitsmarkt, der Klimaschutz oder die Entflechtung des Energiemarkts bleiben auf der Strecke, weil die Union der 27 Mitgliedsstaaten unter dem alten Regelwerk zum starren Koloss geworden ist.
Johannes Voggenhuber hat das Debakel schon vor drei Jahren kommen sehen. Nachdem das Referendum in Frankreich geplatzt war, forderte der grüne EU-Abgeordnete aus Österreich die Regierungschefs auf, sich nun nicht wieder in die Hinterzimmer zu verziehen und an der gescheiterten Verfassung herumzubessern. Einen neuen Konvent wollte er, der ein kühneres Konzept vorlegt und sich seine Arbeit am Ende in einem europaweiten Referendum absegnen lässt.
Fragt man Voggenhuber heute, ob es nicht ein schönes Gefühl sei, mit seinen Warnungen recht behalten zu haben, so antwortet er: "Die Genugtuung, ein Prophet zu sein, geht bei Katastrophen gegen null. Kassandra war keine glückliche Frau." Natürlich habe er gewusst, dass es nicht klappen werde, "nach zwei negativen Referenden in Holland und Frankreich das Ganze neu verpackt am Bürger vorbeizuschwindeln." Doch die Lage sei heute noch viel komplizierter als im Mai 2005.
"Es gibt Doppelbotschaften, wohin Sie schauen. Die Franzosen wollten damals mehr Europa, mehr demokratische Entscheidungen auf europäischer Ebene, die Niederländer wollten mehr Nationalstaat und weniger in den Gemeinschaftshaushalt einzahlen", sagt Voggenhuber. Inzwischen hat sich nach seiner Beobachtung eine Allianz gebildet "aus äußerst rechten und äußerst linken Kräften." In Irland warnten die Katholiken vor Abtreibung und Euthanasie, die Grünen vor Militarisierung. Mit einem kleinen Zusatzprotokoll wie 2001, als die Iren zunächst mehrheitlich den Vertrag von Nizza ablehnten und im zweiten Anlauf zustimmten, sei dem Problem nicht mehr beizukommen.
Jo Leinen, der sozialdemokratische Vorsitzende des Verfassungsausschusses, kann sich nicht vorstellen, dass der Lissabon-Vertrag nach einem siebenjährigen Verhandlungsmarathon für tot erklärt wird. "Wir werden die Regierung in Dublin fragen, was sie jetzt vorhat", sagte er der taz. "Ob sie durch ein Protokoll oder eine Erklärung zum Vertrag die Vorbehalte auflösen kann, die in der Nein-Kampagne hochgekommen sind."
Der ehemalige polnische Außenminister Bronislaw Geremek, der heute für die Liberalen im Europaparlament sitzt, glaubt nicht, dass es so einfach wird. "Sie fragen nach einem Plan B? Der Vertrag von Lissabon ist doch bereits der Plan B!", erinnert er. Ein irisches Nein habe für Europa "irreversible Konsequenzen". Er sei nach wie vor gegen ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, doch wenn sich Irland nicht aus der Gemeinschaft ausschließen wolle, müssten die irische Regierung und das irische Parlament eine Antwort auf das Problem finden.
Jo Leinen wird noch deutlicher. Er erinnert an Artikel 59 der Wiener Vertragsrechtskonvention. Danach gilt ein Vertrag als beendet, wenn er durch einen Folgevertrag abgelöst wird. "Die EU-Staaten sind Mitglieder der Wiener Konvention. Der Lissabonner Vertrag begründet die Europäische Union neu. Alle, die ihn akzeptiert haben, können Mitglied werden, die anderen bleiben draußen."
In einem sind sich die drei Verfassungsexperten aus dem grünen, dem sozialistischen und dem liberalen Lager einig: Über europäische Verträge sollte nicht unter innenpolitischem Blickwinkel von nationalen Parlamenten oder in nationalen Volksbefragungen abgestimmt werden. Stattdessen sollte es künftig ein europaweites Referendum geben, das zeitgleich durchgeführt wird. Mit dem Beitrittsvertrag für Kroatien könnten die Regierungen eine entsprechende Klausel in die Europäischen Verträge aufnehmen, regt Leinen an.
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