Das Ding, das kommt: Immer diese Ostausländer
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Staubig sind sie, sind ja Akten, fast 100 Jahre alt, und doch Anlass für hochaktuelle Inszenierungen: Kommende Woche zeigt das Bremer Projekt „Von den Akten auf die Bühne“ bei einer weiteren Premiere, was sich aus vergilbtem Papier machen lässt: Zum Beispiel Szenische Lesungen über große Fluchtbewegungen.
Seit 2007 bringt Eva Schöck-Quinteros, mittlerweile emeritierte Geschichts-Professorin der Universität Bremen, zusammen mit Studierenden historisches Aktenmaterial auf die Bühne. Dafür arbeiten sie eng mit der Bremer Shakespeare Company.
Unter dem Titel „Geflüchtet, unerwünscht, abgeschoben“ geht es diesmal um die erzwungenen Wanderbewegungen im Gefolge des Ersten Weltkrieges, im Fokus steht der Umgang mit „Ostjuden“ und anderen „fremdstämmigen Ostausländern“. Millionen von EuropäerInnen verließen damals ihre Heimat, sie flüchten von Ost nach West vor Krieg und Armut und hofften auf ein besseres Leben.
Parallel dazu werden in Deutschland Forderungen nach Grenzschließungen und Abschiebungen laut, Warnungen vor „Ausländerflut“ und „Überfremdung“ machen sich breit. Zeitungen fragen: „Sind wir schutzlos gegen Ausländer?“, „Wird endlich durchgegriffen?“ – und das alles nicht im AfD-gesättigten Dunkeldeutschland, sondern in den 1920er-Jahren.
„Recherchiert man in alten Zeitungsartikeln, Dokumenten und Briefen, zeigen sich deutliche Parallelen zu heute “, sagt Schöck-Quinteros – vor allem in der Art und Weise „wie zum Teil über Geflüchtete gesprochen“ worden sei. Als Auswandererhafen war Bremen (mit Bremerhaven) ein Nukleus der Wanderbewegungen: Viele wollten von hier aus weiter nach Amerika. „Was heute die Grenzen im Süden sind, waren damals die Grenzen im Osten“, betont die Wissenschaftlerin.
Doch natürlich gebe es auch gravierende Unterschiede: Deutschland war damals vom Krieg gezeichnet und es herrschte große Wohnungsnot. Vor allem „ostjüdische“ Flüchtlinge seien auf Ablehnung gestoßen. Wer war „nützlich“ und durfte bleiben? Wer war „lästig“ und musste gehen? Diese Formulierungen seien damals gang und gäbe gewesen. Die Quellen werden für die Inszenierung zwar gekürzt, aber nicht verändert. „Dass wir die Quellen in dieser authentischen Form auf die Bühne bringen“, sagt Peter Lüchinger von der Shakespeare Company, sei „deutschlandweit einzigartig“. Hörenswert ist es in jedem Fall. HB
Premiere: Do, 26. Mai, um 19.30 Uhr Premiere im Theater am Bremer Leibnizplatz
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