strübel & passig: Das Dasein und das Sosein
Schnittstellen sind den Menschen seit je ein Greuel. Das belegen „Vorsicht Stufe“-Schilder aus früheren Jahrhunderten ebenso wie die „Scalability, Availability, Compatibility“-Mantren heutiger IT-Anbieter. Oder die Tatsache, dass die erfolgreiche Überwindung von Interface-Problemen schon immer aufwändig für die Nachwelt festgehalten wurde – man denke nur an die beispielhafte Inszenierung der Schnittstelle Gott/Mensch in Michelangelos „Erschaffung Adams“.
Das Internet nun hat unseren Alltag um eine große Anzahl von Schnittstellen bereichert. Da wäre etwa die von Maschine zu Maschine: Sie ist noch die Harmloseste unter den netzrelevanten, und wer über viel Geld und womöglich über einen fixen Hardware-Hausmeister verfügt, wird sie kaum spüren. Tückischer ist da schon das Mensch-Maschine-Interface. Das weiß jeder, der schon einmal eine Tasse Kaffee außerhalb der Ladenöffnungszeiten in eines seiner Eingabegeräte geschüttet hat. „HIOSDLFE!“ jammern die Betroffenen in tragischen SOS-Mails „MNEERIN KEYBOARD ISDTZ KLASPÜPÜUITT!“ Und man kann nichts für sie tun, als künftige Ersatzteilvorrathaltung zu empfehlen.
Am verheerendsten gestalten sich jedoch nach wie vor die Schnittstellen zwischen verschiedenen menschlichen Systemen, etwa Kunde und Verkäufer. So versuchte ich kürzlich, bei einem großen deutschen Versandhaus online bestellte Ware an meine Büroadresse senden zu lassen. Dies sei nicht möglich, mailte man, „da wir gerne beim ersten Mal den Kunden persönlich anliefern möchten“. Ich solle Verständnis haben. „Gerne persönlich!“, dachte ich. „Prima!“, und schrieb zurück, dass man mich zu den Lieferzeiten gerne persönlich im Büro antreffen könne, nicht aber unter meiner Wohnadresse.
Die Antwort kam von einer anderen Dame und war im Ton schon etwas schärfer: „Die Erstlieferung geht aber immer an die polizeilich gemeldete Anschrift.“ Ich solle Verständnis haben. Ich verwies auf die Unternehmenswebsite. Da stehe schließlich: „Wenn Sie selten zu Hause sind, können Sie auch gerne eine andere Adresse als feste Lieferanschrift angeben, z. B. Ihre Arbeitsstelle.“ Das könne ich auch, versicherte mir eine dritte Dame, „sofort bei der zweiten Bestellung“. Eine persönliche Auslieferung sei unter meiner Wohnadresse zu den Lieferzeiten nicht möglich, wiederholte ich, langsam, aber sicher eines Catch22 gewahr werdend. Dafür solle man doch bitte Verständnis haben. Doch auch die vierte Versandhausdame wollte nichts von den Tatsachen meines Lebens hören. Gegenseitige Aufforderungen, sich doch endlich zu kompatibilisieren, ergingen noch mehrere Tage lang. Am Ende stornierte ich entnervt und unter Absingen schmutziger Lieder.
Im Grunde bin ich mir nicht sicher, ob es nun tatsächlich die Mensch-Mensch-Schnittstelle war, an der ich in diesem Fall gescheitert bin, oder nicht doch eine der ganz großen, vielleicht sogar metaphysischen: etwa die zwischen Ortlosigkeit und Bürozeiten. Oder zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Dasein („Ich bin tagsüber da und da“) und Sosein („Nun seien Sie mal nicht so“). Ganz sicher aber bin ich mir, dass bei den Schnittstellen weiterhin vieles im Argen liegt. Und dass ich mich darauf freue, mein Leben eines Tages ganz und gar scalable, available und compatible gestalten zu können. IRA STRÜBEL
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