Darstellung der Midlife-Crisis in Filmen: Alte Klischees mit neuer Heiterkeit
Das Kino hat schon von der Midlife-Crisis erzählt, bevor es den Begriff gab. Auf Veränderung kommt es an, das zeigen viele der Filme.
Die Midlife-Crisis im Kino ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Und wie um die meisten Dinge, die rituell mit dieser Phrase betrauert werden, ist es bei genauerer Betrachtung nicht so sehr schade drum. Was die Filme zum Thema umso interessanter macht: Aussagekräftiger als die Krise selbst ist das, was sich an ihr über die Jahrzehnte hinweg verändert.
Da wären zum Beispiel die Filme von Federico Fellini, die oft als Erstes in den Sinn kommen: „La dolce vita“ von 1960 und „8 1/2“ von 1963 – beide sind entstanden, noch bevor der kanadische Psychoanalytiker Elliott Jaques mit seinem Aufsatz „Death and the Midlife Crisis“ 1965 den Begriff prägte. Dinge wie das Infragestellen der eigenen Existenz, das einsetzende Bedauern angesichts des Erreichten, Rastlosigkeit und die Melancholie über den Verlust der eigenen Jugend finden sich noch ohne Etikett bei Fellini in Szene gesetzt, und zwar mit einer modernen Präzision, die bei jedem Wiedersehen erstaunt.
Kein Wunder, dass das Vorbild dieser Filme als Echo heute noch nachhallt, nicht nur in italienischen Filmen, wie Paolo Sorrentinos „La grande bellezza“ (2013), der sich auf „La dolce vita“ bezog, sondern auch zum Beispiel im Oscar-Gewinner von 2015, Alejandro G. Iñárritus „Birdman“, dessen phantasmagorische Besichtigung einer Schaffens- und Lebenskrise seine innere Verwandtschaft mit „8 1/2“ vor allem im Strukturellen belegt.
Jeans und Turnschuhe
Der offensichtlichste Unterschied bei den genannten Filmen von damals und heute ist das Alter der Protagonisten: die Mitte des Lebens, vom Midlife-Crisis-Erfinder Elliott Jaques noch arglos mit Mitte bis Ende 30 konzipiert, hat sich inzwischen in ein schwammiges „45+“ verschoben, das Anfang 60-Jährige mit einschließt, zumindest solange sie Jeans und Turnschuhe tragen. Das Bild der „Mitte“ hat sich in eines der Grenze verwandelt: die zwischen dem Alter, in dem man sich noch jung fühlt, und dem, in dem das endgültig aufhört.
Was die bisherige Titelauswahl ebenso verrät, ist die vorwiegend männliche (und weiße) Prägung des Konzepts. Selbst in Ensemble-Filmen wie Alan Aldas „The Four Seasons“ (1981) oder Lawrence Kasdans „The Big Chill“ (1983), in dem die Existenzkrisen ganzer Freundeskreise beschrieben werden, sind es trotz alledem die männlichen Egos, die als beispielhaft herausgestellt werden. Er sei nicht auf der Welt, um glücklich zu sein, bekam Marcello Mastroianni an einer Stelle in „La dolce vita“ noch gesagt.
Das Leben optimieren
Den Männern der 80er, eine große Zeit der filmischen Midlife-Crisis, könnte ein solches Konzept des Sich-Abfindens kaum fremder sein. Ihnen geht es am Ende stets darum, das Leben zu optimieren, wie man heute sagt. Also mit der Bewältigung der Krise einen neuen Job, eine neue Frau oder zumindest einen neuen Sinn im Leben zu entdecken.
Für den wenig angekratzten Glauben an die erfolgreiche Bewältigung der Krise steht etwa die Westernkomödie „City Slickers – Die Großstadthelden“ von 1991. Heute scheint so ziemlich alles an Ron Underwoods Film mit Billy Crystal in der Hauptrolle weit altmodischer und angestaubter als noch die katholische Existenzialisten-Künstlichkeit von Fellini. Angefangen von der duldsamen Ehefrau, die freiwillig die eigenen Interessen zurückstellt, damit der Mann in den Western-Urlaub ziehen kann, über die Vorstellung, beim Viehtreiben zu männlichen Tugenden zurückzufinden, bis hin zu den Lebensratschlägen eines sonnengegerbten, ledigen, dem Kino und eben nicht der Realität entlehnten Cowboy-Vorbilds (Jack Palance).
Der damalige Erfolg des Films lässt sich mit dem Hinweis entschuldigen, dass es sich um eine Komödie handelt, die die Unzulänglichkeit und das Veraltete seiner Konzepte der Lächerlichkeit preisgibt – und damit auch ein bisschen zerstört.
Klischee vom mittelalten Mann
„City Slickers“ genießt zumindest in den USA noch den Ruf eines populären Oldtimers. Anders als „American Beauty“ (1999), seinerzeit ein auch von der Kritik gefeierter Film über die Midlife-Crisis. Und das nicht nur wegen seines „gecancelten“ Hauptdarstellers Kevin Spacey. Zwar versteht sich auch hier die Darstellung der Klischees vom mittelalten Mann, der ein Angeberauto und Sex mit einer Jüngeren begehrt, als Satire.
Trotzdem hinterlässt die Inszenierung der Schulfreundin der Tochter des Helden als Lolita-Variante heute einen schlechten Geschmack, genauso wie die undankbare Rolle, in die Annette Bening hier als ehrgeizige und für den Mann frustrierende Ehefrau schlüpfen muss. Mehr als Beschreibung einer Midlife-Crisis taugt „American Beauty“ als Porträt von „American creepiness“.
Zugleich markiert der Film von Sam Mendes einen Schlusspunkt. Kaum drei Jahre später schlug Sofia Coppola in ihrem „Lost in Translation“ (2003) einen anderen Ton an. Zwar kann auch Coppolas Film vor dem in Bezug auf die Darstellung von Geschlechtern und anderen Kulturen sensibilisierten Blick von heute nicht ganz bestehen. Aber er bietet die willkommene Verabschiedung einer bestimmten Sorte von Krisenbewältigung: Bill Murray muss hier nicht zu einer verlorenen Männlichkeit zurückzufinden, sondern er darf resignieren.
In der melancholischen Resignation aber lässt sich ein anderer Weg raus aus der Krise entdecken: Einsicht in die eigene Verletzlichkeit und damit eine größere Offenheit für das Außen, für das Fremde, für die anderen.
Befreiung vom Narzissmus
Von der Midlife-Crisis als Befreiung aus dem Narzissmus, aus der Selbstbezogenheit erzählt auch Alexander Paynes „Sideways“ (2004), in dem für Paul Giamatti als Möchtegern-Schriftsteller erst alles schiefgehen muss, bevor etwas anderes gut gehen kann. Die Krise hat ihren Höhe- beziehungsweise Tiefpunkt erreicht, wenn Giamatti als vom Leben und der Männerfreundschaft tief enttäuschter Weinliebhaber seinen lang aufgesparten, hochpreisigen Lieblingswein schließlich versteckt aus einem Plastikbecher in einem Fastfood-Restaurant in sich hineinschüttet. Nicht nur, dass die besten Pläne sämtlich gescheitert sind, auch die eigene Würde scheint verloren.
Noch einmal eine neue Sicht machte der Däne Thomas Vinterberg in seinem Midlife-Krisen-Film „Der Rausch“ (2020). Mads Mikkelsen experimentiert darin in einem Kreis von Freunden mit Alkohol, der hier als offene Frage nach Sinn und Unsinn von Exzess abgehandelt wird. Lässt sich Schmerz damit bewältigen? Einsamkeit? Ehrgeiz? Depression? Eine Antwort bleibt der Film schuldig, aber der stolpernden Suche seines Helden verleiht er eine neue, sehr menschliche Würde.
Die Frau, die sich selbst neu erfinden muss
Und was ist mit den Frauen? Einen der schönsten und bis heute kaum übertroffenen Filme über eine Frau in der Midlife-Krise stammt aus dem Jahr 1978 und von einem Mann: Paul Mazurskys „Eine entheiratete Frau“. Jill Clayburgh spielt die Frau, die von ihrem Mann für eine Jüngere verlassen wird und sich selbst neu finden muss. Nicht nur der 70er-Jahre-Realismus macht den Film besonders, sondern auch die Tatsache, dass es am Ende doch nicht einfach ein neuer Mann (Alan Bates) ist, der ihr neues Glück beschert, sondern im Gegenteil, ihr Bestehen auf Selbstständigkeit.
Jüngere Filme wie „Unter der Sonne der Toskana“ (2003) oder „Eat Pray Love“ (2010) folgen da immer noch dem alten Klischee, dass das Glück nur mit neuer Liebe für komplett erklärt.
Ein charmantes Beispiel für den Wert der Offenheit, sowohl was die neue Lebensform als auch das Filmende angeht, lieferte der italienische Regisseur Silvio Soldini mit „Brot und Tulpen“ (2000). In den deutschen Kinos wurde der „kleine“ Film zum Sleeper-Hit.
Die Heldin, eine brave Familienmama aus Pescara, findet sich bei einem Ausflug von der eigenen Familie an einer Raststätte stehen gelassen. Statt zu warten, macht sie sich in ihre Traumstadt Venedig auf und versucht dort in bescheidenem, aber selbstgewähltem Rahmen neue Dinge. Es ist eine völlig unspektakuläre Midlife-Crisis, deren Durchleben von einer letztlich zuversichtlichen Heiterkeit geprägt ist, die ungeheuer ansteckend wirkt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mehr Zugverkehr wagen
Holt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Vorteile von physischen Spielen
Für mehr Plastik unterm Weihnachtsbaum
Stromspeicher für Erneuerbare Energien
Deutschland sucht die neue Superbatterie