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Daniel Cohn-Bendit über Frankreich-Wahl„Sie werden sich bewegen müssen“

Der deutsch-französische Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit über alte Linke, neue Rechte, Didier Eribon und Emmanuel Macron.

Daniel Cohn-Bendit im April bei einer Wahlkampfveranstaltung Emmanuel Macrons in Saint-Herblain, in der Nähe von Nantes Foto: reuters
Andreas Fanizadeh
Interview von Andreas Fanizadeh

taz: Herr Cohn-Bendit, wie konnte der linksliberale Emmanuel Macron ohne traditionelle Partei im Rücken die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden?

Daniel Cohn-Bendit: Er hat sehr früh gespürt, dass die traditionellen Parteien, vor allen die Sozialistische Partei, außer Atem sind. Sie erreicht die Gesellschaft nicht mehr, ist total zerstritten. Er hat im richtigen Moment seine Bewegung En Marche! ins Leben gerufen. Ist als Wirtschaftsminister Hollandes zurückgetreten und hat mit ungeheuerlicher Chuzpe die politische Landschaft Frankreichs durcheinandergewirbelt.

Macron gilt als weltoffen und proeuropäisch. Seine Konkurrentin in der Stichwahl, Marine Le Pen, vom Front National (FN) verkörpert das Gegenteil. Wie sind Macrons Chancen beim zweiten Wahlgang am 7. Mai?

Ich bin überzeugt, dass er mit um die 60 Prozent der Stimmen gewinnen kann. Den regressiven, fremdenfeindlichen Pro-Putin-Kurs Le Pens lehnt die Mehrheit der Franzosen ab. Das heißt aber nicht, dass diejenigen, die dann Macron wählen, vollkommen mit ihm übereinstimmen.

Nicht nur die französische Rechte ist EU-feindlich. Auch die orthodoxe Linke ist es. Wie werden sich jene 20 Prozent verhalten, die den Sozialisten Jean-Luc Mélenchon gewählt haben?

Das ist der eigentliche Skandal. Die unterlegenen Kandidaten der Sozialisten und der bürgerlichen Rechten haben sich ohne Wenn und Aber für Macron in der Stichwahl ausgesprochen. Die Ideale von Demokratie und Republik sind unvereinbar mit dem FN. Doch Jean-Luc Mélenchon und seine Sprecher weigern sich, Position zu beziehen. In unterschiedlichen sozialen Medien werden sie nun mit einer Erklärung konfrontiert, in der Mélanchon 2002 dazu aufgerufen hatte, Marine Le Pens Vater als Präsident zu verhindern. Damals meinte er, ein Linker darf sich nicht der Stimme enthalten, wenn es um Demokratie und Republik gehe.

Im Interview: Daniel Cohn-Bendit

geboren 1945 in Montauban, Frankreich. Publizist und Politiker der Grünen in Frankreich und Deutschland. Von 1994 bis 2014 war er Mitglied im Europäischen Parlament in Brüssel.

„Entscheidung in Frankreich“: Daniel Cohn-Bendit diskutiert am Mittwoch, 26. 4., um 19.30 Uhr in der Berliner Schaubühne

Auch Linksintellektuelle wie Didier Eribon sagen, sie würden lieber nicht wählen, als Macron ihre Stimme zu geben.

In Frankreich kursiert eine Neuauflage der These vom Sozialfaschismus aus den 30er Jahren: Der Liberalismus sei der Steigbügelhalter des Kapitalismus und des Faschismus. Das war 1930 unsinnig und ist es heute. Intellektueller Hochmut macht manchmal blind. Wir hören hier nicht Eribons „Rückkehr nach Reims“, sondern eine Rückkehr ins Berlin der 1930er Jahre. Mich entsetzt, wie Linke, die ich gut kenne, leichtfertig Macron denunzieren. Als Banker, als Büttel des Finanzkapitals, oft mit einem gewissen Unterton, Macron hat schließlich drei Jahre bei der Rothschild-Bank gearbeitet. Was hat denn Jean-Luc Mélenchon getan? Er hat sein ganzes Leben in den Parteistrukturen der Sozialistischen Partei überlebt. Fast dreißig Jahre lang war er im französischen Senat, einer der unwichtigsten parlamentarischen Institutionen, aber sehr gut bezahlt. Acht Jahre genoss er die Tantiemen eines Europa-Abgeordneten, obwohl ihn Europa nicht interessiert und er sich so gut wie nie an Ausschuss- oder Gruppenarbeit beteiligt hat.

Der offizielle Kandidat der sozialistischen Partei, Benoît Hamon, die Grünen sowie der ebenfalls unterlegene Konservative Franç ois Fillon rufen dazu auf, jetzt Macron zu unterstützen. Wird das reichen, um Le Pen zu schlagen?

Ja. Ja. Ja. Man sollte aufhören, sich von Horrorvisionen faszinieren zu lassen. Um ein Bild von der Tour de France zu nehmen: Macron hat die Pyrenäen-Etappe am Gipfel des Tourmalet mit zwei Minuten Vorsprung gewonnen. Die nächste in den Mittelgebirgen wird nicht mehr so schwer sein. Dann kommen allerdings die Parlamentswahlen. Sie werden die Reifeprüfung des jungen Präsidenten Macron sein.

Wie will Macron ohne starke eigene Partei regieren?

Er betreibt mit seiner Bewegung bereits den Parteiaufbau. En Marche! wird bei den kommenden Parlamentswahlen Kandidaten in allen Wahlkreisen haben. Im Gegensatz zu ihm glaube ich aber nicht, dass er die absolute Mehrheit erringen wird.

Und das bedeutet?

Frankreich kommt in eine neue Ära der Politik. Die Franzosen werden sich daran gewöhnen müssen, Koalitionen zu bilden. Sie werden lernen müssen, dass ein Kompromiss nicht gleichbedeutend mit Selbstaufgabe ist. Das würde einer Art Kulturrevolution gleichkommen.

Und die alten Parteien?

Sie werden sich bewegen müssen. Es kann auch gut sein, dass in den nächsten Jahren ein neues Wahlrecht eingeführt wird. Modell Bundesrepublik, mit Fünfprozentklausel, weg vom absoluten Mehrheitswahlrecht. Dies würde eine Reparlamentisierung der politischen Auseinandersetzung mit sich bringen.

Nach Umfragen sehen über drei Viertel der Franzosen ihr Land in der Krise. Woher rührt das? Sehen Sie reale Gründe?

Klar, die hohe Arbeitslosigkeit, sie liegt bei etwa 10 Prozent. Das Ausbildungssystem funktioniert schlecht. Es ist nicht auf der Höhe der Zeit. Es gibt auch kein duales System wie in Deutschland. Frankreich ist auch eine Stimmungsgeschichte. Viele haben Angst vor der Zukunft. Mac­ron versucht eine positive Perspektive zu öffnen. Le Pen argumentiert mit Ängsten. Das ist nun auch eine Abstimmung über Offenheit oder Regression, Solidarität oder Ausgrenzung. Ja, Macron ist liberal in seinen Vorstellungen, aber auch sozialdemokratisch, wenn es um den Schutz der Schwächsten geht.

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15 Kommentare

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  • Schlagworte ohne Inhalt:

    Was bedeutet EU-freundlich? Weiter so unter Unterdrückung des Volkswillens nur die Unternehmen päppeln, oder für ein soziales Europa eintreten? Wo ist also Macron EU-freundlicher als Le Pen? Wo sind die Linken EU-feindlich? Ich würde mir wünschen dass die TAZ wieder mehr linke Stellung bezieht, und solche Worthülsen ohne Inhalt mal hinterfragt. Die andere Sache ist die Unterstellung, dass Frau Le Pen Putinhörig wäre. Das ist schon ein starkes Stück, und auch noch ohne irgendwelche Belege. Ich weeiß auch nicht, warum es eine Empfehlung für entweder einen oder zwei Löffel Cyankali geben soll. Auch wenn es nicht mehr als zwei Kandidaten gibt braucht man keine Empfehlung auszusprechen. Die Menschen werden selber entscheiden, und mit den Folgen leben müssen.

  • Zuerst unterwerfen wir uns freiwillig der Knechtschaft und laufen dann den Faschisten hinterher, die uns „befreien“ wollen.

  • Todd und Eribon – was für ein Kontrast zu den deutschen Denkabstinenzlern

    Schade, dass die WELT ihr Interview mit dem linken französischen Historiker Emmanuel Todd hinter einer Paywall versteckt hat. Wenn Sie heute noch am Kiosk vorbei kommen, kaufen Sie sich ruhig ausnahmsweise mal die WELT. Was Sie auf Seite 6 zu lesen bekommen, ist äußerst interessant. Für Todd sind sowohl der Macronismus als auch der Lepenismus „das Schlimmste, was Frankreich in den letzten zwei Jahrzehnten hervorgebracht hat.“ Beide seien jedoch zwei Seiten ein und derselben Medaille. Lepenismus heißt – so Todd – „sich für den Rassismus zu entscheiden“. Und Macronismus bedeutet für ihn, „die freiwillige Knechtschaft zu akzeptieren, zu resignieren“, sich „unter die Banken, unter Deutschland [und] unter Europa“ zu unterwerfen. „Wir haben“, so Todd, „nur die Wahl zwischen Knechtschaft und Rassismus. Aber man kann sich nicht freiwillig für die Knechtschaft entscheiden“. Macron würde als Präsident dafür sorgen, dass Frankreich „durch die eigene Elite zerstört“ wird. Quelle Nachdenkseiten

  • Und was soll an dem Neoliberalismus, welcher in einem Jahr mehr Menschen tötet, als es die NS in 6 Jahren, nämlich 56 Mio. besser sein?

     

    Kam nicht auch, weil schon die Austerität unter Brüning scheiterte, welche die "Sozialisten" damals wie heute als alternativlos darstellen, die NS an die Macht?

  • Macron schützt vor Le Pen nicht: wird er gewählt, wird er für jedes neue Gesetz neu lavieren müssen, also zurück zur guten alten 4.Republik, ein völlig unstabiles und unregierbares Frankreich, und danach Marion Maréchal-Le Pen, die noch viel faschistoïder ist als Marine. Ich kann (selbst mir) noch keinen Rat geben für den 2. Wahlgang, aber 5 Jahre Marine, mit der niemend (ausser Orban und dergleichen) sich einlassen wird, un dann ein neuer Beginn, ist das wirklich das Schlimmste? Cohn-Bendit, der liberal gewordene alt-68er, der all seine Ideale über Bord geworfen hat (das hat in Frankreich Tradition, man denke an gewisse Pseudo-Intellektuelle à la Levi oder Sollers), will nicht verstehen, dass Marine eben kein Adolf ist, dass die Lage völlig verschieden ist von der der 30er Jahre: sie hat keien Kampfgruppen hinter sich, eine Verfassungsänderung wird sie nie erreichen, und ein Staatsstreich bleibt doch wohl undenkbar.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @mémoirecourte:

      Bravo. Les Insoumis sind die einzigen, die in Frankreich die Menschen innerhalb von fünf Jahren davon überzeugen können, dass ein Neuanfang notwendig ist, eine sixième République vom Volk erarbeitet und vom Volk verabschiedet. Nach fünf Jahren Le Pen, da bin ich mir sicher, wird es in Frankreich danach ein grosses Verlangen geben. Es stehen uns spannende und aufregende Zeiten bevor. Spanien mit Podemos wird folgen und dann ganz Europa, das Europa der Völker und nicht das Europa der Banker.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Es gibt einen Zusammenhang zwischen Faschismus und Liberalismus. Ich will hier nur einige Namen nennen: Alfredo Stroessner, Augusto Pinochet, Hugo Banzer, Rafael Videla. Sie haben ihre Länder von den lästigen Gewerkschaften befreit, um ungestört neoliberale Experiente durchzuführen. Die Gegner wurden gefoltert, hingerichtet und teilweise lebend von Flugzeugen in den Rio de la Plata geworfen. Davon hört man von d'en Verfechtern der Liberalen nichts oder nichts mehr wie in dem Fall des Opportunisten Cohn Bendit. Stattdessen wird über Chavez geschwafelt...

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Keiner redet von Sozialfaschisten. Macron ist ein Liberaler und in Deutschland wäre er in der FDP. Dany le rouge, weiss nicht, wo der gearbeitet hat. Aber seine politische Karriere ist ja bekannt, er ist sich seiner Linie immer treu geblieben, indem er sein Fähnchen nach den Wind gerichtet hat, warum ist er bei En Marche? Weil die FDP ihn nicht wollte. Mélenchon jedenfalls hat als Lehrer gearbeitet wie Danys Bruder Gabriel, bevor er in die Politik gegangen ist, aber für Liberale arbeiten Lehrer ja nicht.

    • @82236 (Profil gelöscht):

      Ich bin mit dir einverstanden, doch stimmt deine letzte Behauptunf nicht. Macrons Gattin ist lebenslang Lehrerin gewesen. Zwar für Elitehochschule, doch hat es damit nichts zu tun. Glaub mir, als Lehrer höre ich viele Kollegen, die die FDP besonders lieb haben.

      • 8G
        82236 (Profil gelöscht)
        @Nohk :

        Klar ich habe in Frankreich auch Lehrerkollegen, die liberal, konservativ sind oder sogar Marine Le Pen wählen. Aber ich meinte damit, dass man von den liberalen Bourgeois bohème immer wieder zu hören bekommt " Ach schon wieder Ferien, wann arbeitet ihr denn?Und die Stunden, die ihr in der Woche unterrichtet, machen wir an einem Tag." Übrigens ist Macron gerade dabei mit seiner Arroganz und Überheblichkeit, seinen Wahlkampf gegen Marine Le Pen in den Sand zu setzen. Die einfachen Leute, zu denen er keinen Draht hat, hat er bereitet verloren. Die Leute, die am 10. des Monats kein Geld mehr haben, lassen sich nicht von leeren Antifaschismusgeschwafel überzeugen, da muss der Macron schon mal konkret werden, aber das kann er nicht, weil er seine liberalen Freunde nicht vergraulen will. Die sind aber in der Minderheit. MLP macht einen sozialen Wahlkampf und ködert so die Massen.

        Und bei allen Breitseiten, die er gegen Mèlenchon abgefeuert hat, muss er sich nicht wundern, dass der ihn nicht unterstützt. Und wie heisst es so schön, die Wähler sind nicht Eigentum der Kandidaten.

  • Man solle aufhören, sich von Horrorvisionen faszinieren zu lassen, sagte Dany le Rouge an einer Stelle des Interviews.

     

    Bleibt die Frage, weshalb er dann genau damit weiter "spielt", in dem er beschreibt, dass Macron sozialdemokratisch sei, wenn es um den Schutz der Schwächsten gehe.

    • @Der Allgäuer:

      Ooch - Ich mein. Wenn einer " Selbst bei ´Labialen` den Mund nicht geschlossen kriegt"* -

      Ja. Dann. Rutscht sowas - Hartziges -

      Altbacken-Geschrödertes - Schonn mal raus - gell!"

      Klassisches Peter-Prinzip - 4. Grad - wa!

       

      (* H.R. - der noch ergänzt "... hab nix gegen lange Zähne -

      Aber gepflegt müssen sie sein!;)

  • Glauben ?

    Wer's glaubt, wird selig.

    Glauben sollte man sonntags in der Kirche. Und Religion ist heilbar.

    Die EU muss sich neu justieren.

  • Ah - Dany le Rouge - der Odenwaldschüler - &

    Emanuel Macron - der ENAista - dess paschd scho - gell!

     

    "…Ja, Macron ist liberal in seinen Vorstellungen, aber auch sozialdemokratisch, wenn es um den Schutz der Schwächsten geht."

     

    Unter dem Plaster also auch der Strand?

    kurz - "Die Worte hör ich wohl - …

    Na & den Glauben - Mit Verlaub - Den such ich noch!

     

    (ps Wie formulierte es einst treffend -

    Paul Nizan - École Normale Supérieure-ista:

    "Wir sind die - die die - die das bezahlen -

    Eliten nennen!")

    kurz - Schaugn mer mal - wa!

    • @Lowandorder:

      & " sozialdemokratisch"

       

      könnt mer auch meuchlerisch vastehn - wa!