piwik no script img

Dänische Grenzsicherung„Es ist so traurig“

Dänemark baut einen Zaun gegen Wildschweine und verstärkt die Kontrollen. Ein Spaziergang an einer Grenze, die früher keine war.

Hier kommt keine Sau durch: Zaunstück an der dänischen Grenze Foto: Carsten Rehder/dpa

FLENSBURG taz | Eine Straßenkreuzung zwischen Feldern und Knicks mit blühenden Bäumen, irgendwo im Grenzland. Ist das noch Deutschland oder schon Dänemark? Tjark Jessen passiert mit seinen grauen Kleinwagen ein Schild mit der Aufschrift „Aabenraa Kommune“: Offenbar hat die kleine Landstraße gerade eine Staatengrenze überquert. Ein Radfahrer kommt aus Richtung Dänemark dem Auto mit dem deutschen Kennzeichen entgegen, man grüßt sich mit einem Kopfnicken.

Hüben, drüben – das spielt eigentlich keine Rolle. Er fühle sich „nicht deutsch, nicht dänisch, sondern schleswigsch“, sagt Tjark Jessen. Für dieses Lebensgefühl liebt der Flensburger, der der dänischen Minderheit angehört, die Region im höchsten Norden Deutschlands und tiefsten Süden Dänemarks. Doch die politische Großwetterlage ändert sich gerade, und damit auch das Klima im Grenzland. Jessen gehört zu denen, die etwas dagegen unternehmen wollen.

„Grenze“ – als Kind fand Tjark Jessen das Wort toll: „Wenn wir über die Grenze fuhren, gab es entweder Eis oder es ging auf den Campingplatz“, sagt der heute 20-Jährige. Nur schwach kann er sich daran erinnern, dass zwischen Deutschland und Dänemark tatsächlich eine bewachte Station mit Schlagbaum und Kontrollen lag. „Und wer ein Auto mit einem regionalen Kennzeichen hatte, wurde ohnehin durchgewinkt.“

Zudem gab es immer Schlupflöcher, kleine Landstraßen, Feld- und Waldwege, in denen bei jedem Schritt ein Fuß auf deutschem und einer auf dänischem Boden steht. Deutschlands nördliches Ende ist über weite Strecken eine buchstäblich grüne Grenze, mit Orten, die halb deutsch, halb dänisch sind und in denen beide Sprachen gesprochen werden. Mit dem Schengen-Abkommen verschwanden die Posten auch an den Autobahnen und Landstraßen. Viele Jahre zeigten nur Schilder mit Hinweisen zu Tempolimits und dem Taglicht-Gebot in Dänemark an, wo der eine Staat endet und der andere anfängt. Doch das ist nun vorbei.

Eineinhalb Meter hoch, aus grünem Metallgeflecht

„Hier ist es gut zu sehen“, sagt Tjark Jessen. Er steigt aus dem Wagen und geht an den Zaun, der sich am Rand eines Feldes hinzieht. Eineinhalb Meter hoch, aus grünem Metallgeflecht, schnurgerade. Die dänische Regierung lässt diesen Zaun entlang der gesamten, 71 Kilometer langen Grenze ziehen – er soll verhindern, dass Wildschweine ins Land kommen und den Erreger der Afrikanischen Schweinepest einschleppen. Jessen schaut den Zaun entlang. „Es ist so traurig“, sagt der Pä­dagogik-Student, der täglich aus Flensburg an die Universität in Aabenraa pendelt. „Schade, einfach schade.“

Jessen ist stellvertretender Vorsitzender der Jugendorganisation der Minderheitenpartei SSW (SSW Ungdom), sitzt im Flensburger Stadtrat und ist seit einiger Zeit so etwas wie der inoffizielle Wildschweinzaun-Beauftragte des SSW. Er zählt zu den OrganisatorInnen der ersten „Grænszaun Games“, zu denen die Nachwuchsorganisationen der Minderheitenparteien eingeladen hatten.

Sie wollten damit „zeigen, dass wir nicht getrennt werden können durch diesen Wildschweinzaun“, sagte Hans-Fedder Hindrichsen Kley von den „jungen SPitzen“, der Jugendpartei der deutschen Minderheit in Dänemark, der dpa. Zaun-KritikerInnen aus beiden Ländern trafen sich zum Volleyball oder Kricket – der Zaun als Spielobjekt, nicht als Trennlinie. Es ging darum, ein Signal zu setzen: „Dieser Zaun ist reine Symbolpolitik, aber ein Symbol, das leider etwas bewirkt“, sagt Tjark Jessen.

„Der Zaun ist eigentlich ein Stinkefinger in Richtung Deutschland und EU. Nur ist das vielen Leuten in anderen Teilen Dänemarks nicht klar“

Tjakr Jessen, stellvertretender Vorsitzender der Jugendorganisation der Minderheitenpartei SSW

Die Angst Dänemarks vor der Tierseuche, die sich seit einigen Jahren in Europa ausbreitet, ist durchaus begründet – die Aufzucht und Mast von Schweinen ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in dem Land, auf sechs Millionen Menschen kommen doppelt so viele Sauen und Eber. Die Nutztiere können sich bei ihren wilden Verwandten anstecken. In Dänemark sind Wildschweine seit dem 17. Jahrhundert ausgerottet, in Schleswig-Holstein vermehren sich die Tiere seit einigen Jahren wieder. Also gute Gründe für einen Zaun?

Nein, denn nach Ansicht vieler ExpertInnen hilft die grüne Metallbarriere gar nichts gegen die Schweinepest. Schließlich wird sich kaum ein Wildschwein in einen der abgesicherten dänischen Mastbetriebe verirren. Die wahrscheinlichsten Überträger sind Menschen, die die Viren an Kleidung oder Autoreifen einschleppen könnten. Darüber hinaus gibt es im waldarmen Norden von Schleswig-Holstein kaum Wildschweine, gerade ein paar Dutzend laufen den Jägern pro Jahr vor die Flinten.

„Das heißt, der Zaun ist eigentlich ein Stinkefinger in Richtung Deutschland und EU“, sagt Jessen. „Nur ist das vielen Leuten in anderen Teilen Dänemarks nicht klar.“ Neulich habe ihn ein Journalist aus Kopenhagen gefragt, ob er hier viele Wildschweine auf den Straßen sehe. Der Jung-­SSWler musste erklären, dass er die Tiere auch nur aus dem Zoo kennt.

Er zeigt den Zaun entlang: „Ginge es wirklich um Schweine, müsste die Barrikade woanders stehen, etwa in Waldstücken.“ Aber der Zaun markiert die Staatengrenze, egal ob das AnwohnerInnen den Zugang zu ihren Feldern versperrt und Schleichwege zwischen Dörfern kappt. Gleichzeitig bleiben die vielen kleinen Straßen, die von Süd nach Nord führen, frei. Gäbe es hier Schweine, könnten sie bequem passieren.

Zur Debatte um den Zaun passt eine aktuelle Forderung des dänischen Regierungschefs Lars Løkke Rasmussen von der konservativ-liberalen Venstre-Partei, dauerhafte Kontrollen an der Grenze zu Deutschland einzurichten. Bereits seit Januar 2016 werden an den wichtigsten Übergängen, etwa an den Autobahnen, Autos und InsassInnen kontrolliert – das führt besonders in den Sommermonaten zu Rückstaus.

Der Weg ist frei, aber Kontrolle bleibt Kontrolle

Tjark Jessen pendelt täglich über die Grenze in Krusau nach Aabenraa zur Universität. Vom Pendlerparkplatz auf deutscher Seite sind es nur hundert Meter zum Übergang. Er wirkt improvisiert, ein Zelt überspannt die Straße. Aber sofort kommt ein Grenzer in Uniform heran und verlangt auf Dänisch die Pässe. Ein Blick, ein Nicken, der Weg ist frei – aber Kontrolle bleibt Kontrolle. „Ich hätte das nie erwartet. Das passt nicht zu dem freien, weltoffenen Dänemark, das ich liebe“, sagt der Jung-SSWler.

Der Zaun werde leider nicht so schnell wieder abgebaut werden, bedauert er. Aber er wünscht sich, dass die dänische Politik über die Grenzkontrollen und ihre möglichen Folgen für Tourismus und das Zusammenleben hüben und drüben nachdenkt: „Ich kenne Leute, die wegen der Staus nicht mehr nach Dänemark in den Urlaub fahren.“ Inzwischen sei von einer Spur für Pendler die Rede – eine echte Lösung sei das aber nicht.

So wächst im Grenzland der Unmut. Widerstand gegen den Zaun leisten nicht nur die „Grænszaun Games“, sondern auch eine Gruppe anonymer AktivistInnen, die gehäkelte Blumen und Zettel mit Botschaften an das grüne Gitter hängen und Bilder davon unter dem Hashtag „Wildschweinzaun der Liebe“ auf Instagram posten.

Auch wenn der SSW sich traditionell neutral gegenüber der Politik des dänischen Nachbarn verhält, ist Jessen gespannt, ob die Menschen im süddänischen Sonderjylland bei den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament und zum Nationalparlament Folketingegen ein Signal gegen die Abgrenzung setzen. Zuletzt schnitt die rechtspopulistische Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei) gut im Süden ab. „Aber die Leute hier sind gegen den Zaun und gegen Grenzkontrollen“, sagt Jessen. Umfragezahlen, die dpa zitiert, unterfüttern dieses Gefühl: Vor den Wahlen am 5. Juni sinkt der Zuspruch für Regierungschef Rasmussen, der sich unter anderem von der Dansk Folkeparti unterstützen lässt.

Allerdings könnte eine mit dem klar islamfeindlichen „Stram Kurs“ (Stramme Kurs) eine noch rechtere Kraft in den Folketing einziehen. Der bereits wegen Rassismus verurteilte Partei­gründer Rasmus Paludan hat wenige Tage vor der Europa-Wahl angekündigt, er wolle eine Mauer an der Grenze zu Deutschland bauen.

Nicht gegen Schweine. Gegen Menschen.

Den ganzen Schwerpunkt zu Europas neuen Grenzen lesen Sie in der taz am Wochenende oder hier

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen