: Dänemarks Richter urteilen über Maastricht
■ Heute erste Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der EU-Mitgliedschaft
Kopenhagen (taz) – Dänemark ist überhaupt nicht Mitglied der EU, und das gesamte Maastricht- Abkommen ist ungültig. Diese erstaunliche Erkenntnis könnte Resultat eines Verfassungsrechtsstreits sein, in welchem heute in erster Instanz das Oberlandesgericht Kopenhagen ein Urteil sprechen wird. Elf DänInnen haben den Ministerpräsidenten des Landes verklagt, mit der Ratifizierung des Maastricht-Vertrags die Verfassung gebrochen zu haben.
Nie vorher hat ein dänisches Gericht bislang eine Klage gegen den Staat wegen eines Bruchs der Verfassung überhaupt auch nur zur Prüfung zugelassen, und bei der erstmaligen Ausnahme von dieser Regel geht es in der Rechtssache B-2131-96 gleich um nichts weniger als die Frage, ob Dänemarks Regierung einen Grundpfeiler der Verfassung erschüttert hat: Paragraph 20, der ein Überlassen der nationalen Souveränität an überstaatliche Organe nur unter äußerst eingeschränkten Voraussetzungen zuläßt.
Wie immer das heutige Urteil lauten wird: Fest steht bereits, daß der Spruch des Oberlandesgerichts von der unterlegenen Seite dem höchsten Gericht vorgelegt werden wird. Dabei spielt auch der Faktor Zeit eine Rolle: Denn erst mit dem Spruch der letzten Instanz kann der Bevölkerung die nächste – von Ministerpräsident Rasmussen schon angekündigte – Volksbefragung über die Ergebnisse von Amsterdam vorgelegt werden.
Die Geschichte des jetzigen Verfahrens beginnt am 5. Juni 1849, als König Frederik VII. die erste Verfassung des Landes unterzeichnete. Anfang der 50er Jahre dieses Jahrhunderts wurde die Verfassung geändert: Um an internationalen Zusammenschlüssen wie etwa den Vereinten Nationen mitarbeiten zu können, wurde ein neuer Paragraph 20 eingefügt, wonach es „in gesetzlich näher geregelten Umfang“ zulässig sein sollte, Souveränität an übernationale Organisationen abzugeben.
Was „näher geregelter Umfang“ bedeuten könnte, war schon damals heißes juristisches Diskussionsthema. Seit Land 1972 EU- Mitglied wurde, versuchten Europa-GegnerInnen bei jedem neuen Integrationsschritt eine verfassungsgerichtliche Entscheidung darüber herbeizuführen, wo eigentlich die Grenzen für die Aufgabe nationaler Souveränität verlaufen. Regelmäßig wies das höchste Gericht solche Klagen ab. Regierung und EU-GegnerInnen hatten sich an diese Prozedur gewöhnt – und so erstaunte es alle gleichermaßen, daß das Gericht im vergangenen Jahr eine solche Verfassungsklage plötzlich annahm.
Im bisherigen Verfahren haben sich die KlägerInnen vor allem auf Artikel 235 der Rom-Verträge gestützt. Über diese Pauschalregelung können die EU-Mitgliedsländer zu allen möglichen in der EU- Gesetzgebung nicht geregelten Fragen Beschlüsse fassen, solange nur alle Länder sich einig sind. Ein großer Teil der Umweltbestimmungen, über die in den ursprünglichen EG-Verträgen nichts stand, wurde in den siebziger Jahren auf dem Weg über Artikel 235 Gemeinschaftsrecht. Mehr als 600mal, so haben die dänischen EU-GegnerInnen aufgelistet, wurde Artikel 235 für Regelungen angewendet, die über die EG-Verträge von Rom hinausgehen und auf nationaler Ebene über Paragraph 20 der dänischen Verfassung gesetzlich nicht abgesichert waren.
Das will die dänische Regierung gar nicht bestreiten: Möglicherweise sei jahrelang tatsächlich gegen Verfassungsrecht verstoßen worden. Rechtlich interessant könne dies aber nunmehr nur noch werden, wenn die KlägerInnen solches auch für die Zeit nach Maastricht beweisen könnten. Um die es jetzt nur noch gehe. Und dabei tun sich die KlägerInnen schwer.
Die meisten BeobachterInnen halten es für unwahrscheinlich, daß das höchste Gericht tatsächlich die Ratifizierung von Maastricht für ungültig erklärt. Möglich ist hingegen, daß man sich am deutschen Verfassungsgericht orientiert und Grenzen dafür zieht, was Dänemark in Zukunft an Souveränität aufgeben darf und was nicht. Reinhard Wolff
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