DWA-Vizepräsident über Hochwasser: „Ein ‚weiter so‘ kann keiner wollen“
Raus aus dem Risikogebiet, rät Wasserwirtschaftler Uwe Müller. Neben dem Deichbau mache auch der Klimawandel ganz andere Maßnahmen notwendig.
taz: Herr Müller, wie geht Hochwasserschutz richtig?
Uwe Müller: Besser wäre „Hochwasser-Risikomanagement“. Hochwasser lässt sich nicht verhindern. Aber das Risiko lässt sich managen. Die einfachste Lösung ist, gar nicht erst ins Überschwemmungsgebiet bauen. Oder, das ist auch schon vorgekommen: wegsiedeln.
Jahrgang 1963, ist Vizepräsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA). Er ist im sächsischen Landesumweltamt für Hochwasserrisikomanagement zuständig und lehrt Umweltschutz an der TU Dresden.
Und wer nicht wegzieht, dem läuft die Tiefgarage voll?
Natürlich nicht, aber wir bauen trotzdem zu viel in Überschwemmungsgebieten. Die Eigenheimsiedlung Röderau-Süd im Landkreis Meißen stand beim Elbe-Hochwasser 2002 bis zur Dachrinne unter Wasser. Das war einer von knapp 50 Fällen, wo die Anwohner in ein neues Leben ziehen mussten. Da ist jetzt grüne Wiese, dank staatlicher Aufbauhilfen und vieler Spenden.
Wie ist die aktuelle Lage in Sachsen?
Das jetzige Ereignis ist nicht vergleichbar mit den Hochwassern von 2002, 2010, 2013 oder 2021. Es ist eher ein typisches Weihnachtshochwasser: Der Schnee im Mittelgebirge saugt sich bei Regen voll wie ein Schwamm. Jetzt um diese Zeit wird es oft etwas wärmer, da taut der Schnee mit einem Schlag. Dazu kommt Regen, dann geht hier alles unwahrscheinlich schnell.
Trotzdem hört man aus Ihrem Bundesland Sachsen wenig.
Wir haben in Sachsen aus 2002 gelernt – zum Beispiel informieren wir direkt bis zur Kommune. Die muss uns dann quittieren, dass sie die Information erhalten hat. Wir machen Risikobewertungen, Hochwasser-Gefahrenkarten. Wo es mehrere Bundesländer betrifft, da greift das nationale Hochwasserschutzprogramm. Bei der Einheitlichkeit gibt es noch Verbesserungsbedarf. Manche Bundesländer haben drei Alarmstufen, andere haben vier. Das ist schwer vermittelbar.
Sandsäcke, Flutpolder und Deiche allein reichen also nicht?
Wenn Sie einen Deich bauen, dann wiegen sich die Leute dahinter in Sicherheit. Stellen Sie sich vor: Die Deiche sind für einen Wasserstand gebaut, der alle 100 Jahre vorkommt. Jetzt kommt ein Ereignis wie dieses – und dann ändert sich der statistische Wert, nachdem die Deiche genormt sind.
Sind unsere Deiche zu niedrig für den Klimawandel?
Den Deichen kann man nicht die Schuld in die Schuhe schieben. Obwohl in Sachsen fast ein Drittel der Anlagen älter als 100 Jahre ist, ist der Zustand top. Aber wenn der Wasserpegel zu hoch steigt, wird der Deich überströmt. Es gibt zwei Strategien. Die eine ist ein Klimazuschlag: Man baut ein bisschen höher. Die zweite Strategie ist, mit dem Klima im Blick so zu bauen, dass man die Deiche auch später noch erhöhen kann. Die dritte Möglichkeit, einfach „weiter so“, kann keiner wollen.
Das Umweltbundesamt fordert „mehr Raum den Flüssen“. Wäre die vierte Möglichkeit, neue Deiche zu bauen?
Erstmal ist die Forderung richtig. Die Deichrückverlegung funktioniert, geht aber wegen Bebauung nicht überall. Bei den Wassermassen, die im Hochwasserfall fließen, wird sich der Wasserstand durch mehr Platz oft nicht maßgeblich ändern.
Ach so?
An einer Stelle weiten Sie aus, aber durch die Bebauung in Ortslage wird der Fluss an anderer Stelle zwangsweise schmaler. Es klingt paradox, aber dann sinkt der Wasserstand dort, weil das Wasser schneller fließt. Ein abschnittsweise breiterer Fluss heißt analog, dass der Wasserstand steigt. Pauschale Lösungen können so schnell mal nach hinten losgehen.
Wir haben also kein Wissensdefizit. Wir müssen einfach umsetzen. Aber das ist auch eine Kommunikationsaufgabe: Wasserwirtschaftsverwaltung, Straßenbauverwaltung. Da müssen viele mit anpacken. Aber das dauert seine Zeit.
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