DVD Hitchcocks „Champagne“: Die Kamera blickt tief ins Glas
Alfred Hitchcock hatte keine hohe Meinung von seinem Komödien-Stummfilm „Champagne“. Aber da täuschte er sich gewaltig.

Alfred Hitchcock hielt „Champagne“, seinen achten Film, für einen Tiefpunkt in seinem Werk. Das bekannte er in dem berühmten Gespräch mit François Truffaut, der „Champagne“ seinerseits und ganz zu Recht doch sehr amüsant fand. Es ist Hitchcocks vorletzter Stummfilm, er kam 1928 ins Kino und ist eine der wenigen romantischen Komödien, die er drehte.
Am Plot als solchen hatte Hitchcock null Interesse: Verwöhnte Tochter eines amerikanischen Millionärs macht sich mit ihrem Lover erst per Flugzeug, dann per Ozeandampfer in Richtung Paris davon. Der Millionär hinterher, erteilt ihr eine Lektion, am Ende alles in Butter. So weit, so belanglos.
Und doch sieht man in fast jeder Szene, dass Hitchcock, gerade weil ihn der Plot nicht interessierte, mit dem Medium seinen Spaß hat. Ganz zu Beginn und – runde Sache – dann wieder zum Schluss blickt er, vielmehr die Kamera, in subjektiven Einstellungen sehr tief ins Glas.
Von Betty Balfour geküsst
„Champagne“. Regie: Alfred Hitchcock. Mit Betty Balfour, Jean Bradin u. a. Großbritannien 1928, 85 Minuten. Die DVD ist ab rund 10 Euro im Handel erhältlich
n psychologischer Eindringlichkeit mag es von Anfang an mangeln, aber wie das Medium selbst in die Geschichte nach Laune und Lust eindringt, ist oft sehr erheiternd. So bekommen wir, nämlich die Kameralinse und damit du und ich als der Papa, einen Kuss von der Tochter, die – weil es ja auch wirklich egal ist – im Film namenlos bleibt und vom britischen Stummfilmstar Betty Balfour mit Verve gespielt wird.
Die ersten zwanzig Minuten sind wir auf einem Schiff. Und fast die ganze Zeit macht sich Hitchcock ein Vergnügen daraus, das Bild in mittelschwerem Seegang von links nach rechts und von rechts nach links schwanken zu lassen. Die Kellner im Schiffsrestaurant schwanken mit wie Bäume im Wind. Der Lover der Tochter torkelt seekrank im eigenen, aber nicht weniger schwankenden Rhythmus. Bewegtbild, hat sich Hitchcock offenkundig gedacht, kann doch auch heißen, dass sich der ganze Bildkader wie betrunken bewegt. Wie könnte es anders sein in einem Film, der als Erstes einen Schluck aus dem Champagnerglas nimmt.
Später, Paris dann, ein Vergnügungslokal. Hier wogt es und schwankt nicht: Alles tanzt, davon gibt es ein sehr schönes, mit Menschen randvolles Bild: Die Kamera blickt von oben auf dicht an dicht zur Musik sich bewegende Körper. Stummfilm à la Hitchcock: Man hört die Musik nicht, aber man sieht sie. In einer eigentlich sehr dramatischen Aussprache, auch in diesem Lokal, setzt Hitchcock sein romantisches Paar zwar, wie sich das gehört, an einen Tisch in den Bildvordergrund. Sehr schnell aber platziert er sichtbar dahinter im Bildmittelgrund eine frenetisch tanzende Frau im Silberglitzerkleid. Sie lenkt von der Dramatik im Vordergrund aber sowas von ab.
Eine blockierte Treppe
Ganz ähnlich eine Einstellung gleich darauf auf der Treppe, die von Betty Balfour für einen Kellner blockiert wird, der vergeblich an ihr vorbeizukommen versucht. Sie kriegt es, von der nächsten Aussprache abgelenkt, gar nicht mit, während wir fast nichts anderes sehen.
So macht sich Hitchcock einen Jux mit seinen Figuren, mit dem Drama, dessen Ironien nicht im Zwischenmenschlichen liegen, sondern im Verhältnis des Zuschauers zur Bewegung im Bild. Diese durchaus auch bösartige Experimentierlust kennt man aus den späteren, viel berühmteren Filmen des Meisters. Was immer er selbst dann über „Champagne“ gesagt und gedacht hat: Natürlich war Hitchcock, bevor er Hitchcock wurde, schon Hitchcock.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!