DIE USA GEFÄHRDEN RÜSTUNGSKONTROLLE: FISCHER MUSS REAGIEREN: Deutsche Außenpolitik im Raketentest
Grund zum Feiern hatten die Raketenabwehrplaner schon, als die Abfangwaffe das Testgelände auf dem Kwajalein-Atoll noch gar nicht verlassen hatte. Ob das „kill vehicle“ tatsächlich den Übungssprengkopf zerstören würde, war irrelevant. Getestet wurde nur, ob es ein Objekt im All treffen kann, dessen Flugbahn genau bekannt ist. Bei einem wirklichen Angriff jedoch müsste das System innerhalb weniger Minuten einen anfliegenden Sprengkopf entdecken, seine Position bestimmen und die Abfangwaffe im All ausrichten. Ein komplexer Vorgang unter extremen Zeitdruck. Das durchgeführte Experiment hatte mit dieser Realität nichts gemein. Doch darum ging es auch nicht.
Demonstriert werden sollte mit dem ersten Test seit Amtsantritt des neuen Präsidenten etwas anderes: Bush hält an der Stationierung einer Raketenabwehr „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ fest – so wie er es vor seiner Wahl versprochen hat. Er will jede verfügbare Technik nutzen, um vor den nächsten Präsidentschaftswahlen mit der Stationierung zu beginnen. Erste Vorbereitungen für den Bau einer Bodenstation in Alaska laufen bereits.
Die Nato-Verbündeten, allen voran die Deutschen, machen es der US-Regierung dabei leicht, das Projekt ohne hohe politische Kosten durchzusetzen. Nach anfänglicher Kritik heißt die neue Linie: Es ist noch völlig unklar, was die USA planen, deshalb können wir noch nicht Stellung beziehen.
Deutlich wurde dies, als Anfang Mai Präsident Bush bekannt gab, die USA seien entschlossen, ein umfassendes Raketenabwehrsystem zu bauen. Die Beschränkungen des ABM-Vertrags müssten daher beseitigt werden. Statt zu protestieren, wertete Joschka Fischer absurderweise die Rede Bushs als Erfolg seiner Außenpolitik: Schließlich habe der Präsident seine Forderung erfüllt und Konsultationen mit den Nato-Partnern und Russland zugesagt.
Diese so genannten Konsultationen haben inzwischen stattgefunden – und das Raketenabwehrprojekt läuft wie geplant weiter. Wenn die rot-grüne Koalition weiterhin behauptet, die US-Pläne seien noch nicht klar genug definiert, um sie ablehnen zu können, verliert sie mit jedem weiteren Experiment an Glaubwürdigkeit. Klar ist: Die US-Regierung baut im Eiltempo ein Raketenabwehrsystem auf. Möglicherweise noch in diesem Jahr wird sie deshalb gegen den ABM-Vertrag verstoßen und damit auch andere Rüstungskontrollvereinbarungen gefährden. Die Bundesregierung muss sich daher jetzt eindeutig von den gefährlichen Aufrüstungsplänen distanzieren. ERIC CHAUVISTRÉ
Der Autor hat das Buch „Das atomare Dilemma. Die Raketenabwehrpläne der USA“ verfasst.
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