DGB stellt Ausbildungsreport vor: „Betriebe nicht ausbildungsreif“
Jeder dritte Azubi muss Überstunden machen und hat keinen Ausbildungsplan. Schüler-Praktika sind bei Berufswahl selten hilfreich.
HAMBURG taz | Wer eine Ausbildung hat, hat Glück, glaubt man gemeinhin. Doch eine Umfrage der DGB-Jugend-Nord fördert nun „gravierende Qualitätsmängel“ zu Tage. „Viele Betriebe sind nicht ausbildungsreif“, sagt DGB-Chefin Katja Karger bei der Vorstellung des „Ausbildungsreports 2016“, für den im Vorjahr 3.400 Hamburger Berufsschüler aus 43 Berufen befragt wurden.
Allein 38,2 Prozent aller Auszubildenden (Azubis) leisten regelmäßig Überstunden. Das ist Minderjährigen nicht erlaubt, über 18-Jährige müssten dafür Freizeitausgleich erhalten. Doch das ist laut der Umfrage oft nicht gewährleistet. Je kleiner der Betrieb, desto häufiger fallen Überstunden an – in klassischen Frauenberufen eher als in Männerberufen.
Im Beruf „Zahnmedizinische Fachangestellte“ zum Beispiel machen 46,5 Prozent der Azubis Überstunden, im Bereich „Kaufmann und Einzelhandel“ 42,5 Prozent, bei den „Industriemechanikern“ nur 29,2 Prozent. Diese Rangfolge ergibt sich auch bei anderen Fragen: So hat jeder dritte Azubi keinen Ausbildungsplan, der die Vermittlung der Inhalte zeitlich festschreibt. Auch dieser ist in Zahnarztpraxen und Supermärkten seltener zu finden als in der Industrie. „In Branchen, die industriell geprägt sind, fällt die Ausbildung besser aus“, sagt DGB-Referent Christian Kröncke.
Die Vorsitzende der DGB-Jugend Clara Ihring berichtet von ihrer Ausbildung zur Krankenpflegerin: „Wir hatten einen Ausbildungsplan, aber der wurde ständig umgeschmissen.“ Die Stationen, wo sie eingesetzt war, hätten oft nicht zum Lehrinhalt gepasst. Für 160 Azubis habe es nur drei Ausbilder gegeben. „Man muss sich viel selber beibringen“, sagt Ihring, „das ist schade.“ Viele Patienten seien bettlägerig gewesen. „Da hieß es: Geh du mal waschen. Und dann war schon bald Mittag.“
Jeder zehnte Azubi muss laut der Studie Jobs wie Botengänge oder private Erledigungen für Dritte übernehmen. Manche müssen sogar die Berufsschulzeit im Betrieb nacharbeiten. Katja Karger fordert ein härteres Eingreifen des Staates.
Der Gesetzgeber müsse den Anspruch auf besagten Ausbildungsplan „präzisieren“, und die Kammern und der Arbeitsschutz müssten Betriebe stärker kontrollieren. „Man könnte einem Betrieb die Ausbildungsfähigkeit aberkennen.“
Die DGB-Jugend stellte für den Report auch Fragen zu den Betriebspraktika während der Schulzeit. Das Ergebnis ist ernüchtert: 60 Prozent der befragten Schüler gaben an, dass ihnen das Praktikum bei der Berufswahl nicht half. Zudem wird klar, dass die Auswahl begrenzt ist: Jedes zweite Praktikum findet in Kita, Einzelhandel oder Arztpraxis statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund