DFB-Elf und WM-Qualifikation: Der Glanz fehlt
Joachim Löw kann nach dem 1:0 über Rumänien auch mit Pflichtsiegen gut leben. Ein Neun-Punkte-Start in die WM-Qualifikation ist möglich.
Fußball-Nationalspieler sind in der Regel zu jung, als dass sich nach einer kurzen Nacht schon Ränder unter den Augen bilden. Aber strapaziös war es allemal, was die deutschen Kicker nach der nächsten Pflichterfüllung in der WM-Qualifikation – 1:0 gegen Rumänien – in der Nacht von Sonntag auf Montag auf sich nahmen.
Bundestrainer Joachim Löw stand noch während der Übersetzung bei der digitalen Pressekonferenz in Bukarest auf, um keine Zeit zu vergeuden. Gegen 0.30 Uhr kutschierten zwei Busse das deutsche Team Richtung Flughafen. Der Charter landete gegen 4 Uhr in Köln/Bonn, dann ging es für die Delegation noch ins abgeriegelte Mannschaftshotel in Düsseldorf. Der Montag stand dann im Zeichen der Regeneration.
Trotzdem sollten die Kräfte der DFB-Auswahl reichen, um gegen Nordmazedonien – dann wieder in Duisburg – den dritten Pflock auf dem Weg zur umstrittenen Wüsten-WM 2022 in Katar einzuschlagen. Ein zweites Mal adressierten die Nationalspieler nunmehr eine Trikot-Botschaft zur Einhaltung der Menschenrechte an die Öffentlichkeit: Diesmal plädierten Manuel Neuer und Co für die 30 Artikel in der Allgemeinen Erklärung der Vereinten Nationen.
Es scheinen sich gerade die Wertekataloge rasant zu verschieben: Wie die Spieler die Arbeitsmigranten im Emirat für sich entdeckt haben und der Bundestrainer dieses Engagement auch begrüßt, ist er selbst plötzlich auf Arbeitssiege gar nicht mehr schlecht zu sprechen.
Ästhetische Ansprüche sind gesunken
„Ich bin überwiegend noch mehr zufrieden“, bekundete Löw. „Im Training und auf dem Platz ist viel Dynamik und Energie zu spüren, das war insgesamt noch besser als gegen Island.“ Würde sein Team nun auch gegen den Außenseiter Nordmazedonien reüssieren, dann hätte man „mit neun Punkten die richtige Richtung“ eingeschlagen. Generell lobte der 61-Jährige, „dass die Mannschaft ehrgeizig und willig ist“ und dass „intern ein guter Spirit“ herrscht.
Joachim Löw
Dass man sich „das Leben selbst schwer gemacht“ hatte, wie Torschütze Serge Gnabry erklärte, und es am Ende „eine kleine Zitterpartie“ wurde, wie Kai Havertz ergänzte, darüber ging Löw beinahe hinweg. Klar könne man kritisieren, dass man den Sack nicht früher zugemacht habe, aber: „Jetzt ist der Hunger groß, auch Richtung Turnier.“
Zum Ende seiner Amtszeit muss er nicht mehr den Entwickler langfristiger Perspektiven geben, sondern kann den Pragmatiker herauskehren. Deshalb werden bei ihm auch die ästhetischen Ansprüche nicht mehr so hoch gewichtet. Unter diesen Aspekten ist Löws leicht gefärbte Analyse zu betrachten, in der er den Auftritt in einem von zwölf geplanten EM-Spielorten ausgesprochen positiv bewertete.
Defizite gab es ja sehr wohl: Zum einen gelangen seinem gegenüber dem Island-Spiel unveränderten Ensemble in der ersten Halbzeit selten so ansehnliche Kombinationen wie beim 1:0, als Antonio Rüdiger einen langen Ball hinter die Abwehrkette schlug und Havertz und Gnabry im geschickten Zusammenspiel den Spielzug veredelten (16.). Zum anderen fiel die Löw-Elf im zweiten Durchgang mal wieder durch nachlässige Chancenauswertung auf, die sich in der EM-Gruppe mit Frankreich und Portugal fatal auswirken könnte.
Letzter Willen in der Box
Kapitän Neuer kritisierte denn auch: „Wir müssen früher den Deckel drauf- und einfach das dritte und vierte Tor machen.“ Der Torwart vermisste bei seinen Vorderleuten im Abschluss „Coolness und Cleverness“ und „den letzten Willen in der Box“. Gerade Leroy Sané versuchte sich mitunter an viel zu verspielten Lösungen und hätte in der Nachspielzeit mit einem schlimmen Rückpass fast noch den Ausgleich begünstigt. „Das wäre die Rache gewesen“, gab Joshua Kimmich zu, der sich mit einer für ihn ungewohnten Manndeckung konfrontiert sah.
Löw schöpfte seine fünf Wechseloptionen nicht aus – und bei den Hereinnahmen von Florian Neuhaus und Amin Younes wartete er sogar bis in die Nachspielzeit. Es sei ihm wichtig gewesen, „sich einzuspielen“, erklärte Löw, der um ein Dreier-Mittelfeld ein neues Gerüst gebaut hat.
Das 4-3-3-System scheint zudem am besten zu passen, um die offensiven Anlagen von Gnabry, Sané oder Havertz zu entfalten. Gegen Nordmazedonien soll in Löws letztem WM-Qualifikationsspiel „der eine oder andere frische Spieler“ eingebaut werden. Marc-André ter Stegen, Florian Neuhaus und Timo Werner können sich sicherlich die größten Hoffnungen machen.
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