DER WUNSCH NACH KINDERBETREUUNG SETZT SCHRÖDER UNTER DRUCK: Schlechte Konjunktur für Mütter
Die Mutter von heute will Geld verdienen. Siebzig Prozent aller Mütter, die mit kleinen Kindern zu Hause sitzen, wollen eigentlich berufstätig sein – im Westen. Im Osten sind es sogar neunzig Prozent. Die passende Studie zum Ganztagsbetreuungswahlkampf hat Ministerin Bergmann da vorgestellt. Ursprünglich waren die hohen Zahlen der Mütter, die eigentlich lieber berufstätig wären, als ganztags zu Hause die Kindergärtnerin zu machen, wohl als Argumentationshilfe gegenüber dem eigenen Kabinett gedacht. Als die Untersuchung in Auftrag gegeben wurde, hieß Kinderbetreuung dort nämlich noch Gedöns. Jetzt, wo der Kanzler der Deutschen Oberkindergärtner geworden ist, kann sie die Zahlen nur noch der Union entgegenstrecken. Die meint nach wie vor, dass viele Mütter das Daheimbleiben dem Beruf vorziehen, und setzt deshalb lieber auf mehr Familiengeld als auf Ganztagsbetreuung. Zumindest die jungen Mütter hat die Union damit nicht auf ihrer Seite, das zeigen die Zahlen sehr deutlich.
Bleibt die Frage, wie ernst es den Sozialdemokraten mit ihren Ankündigungen eigentlich ist. Die 4 Milliarden Euro, die Schröder für die Betreuung verspricht, reichen nicht weit, wenn man mit ihnen ein Jahr lang die Kindergärten und Schulen der Republik benetzt. 11,5 Milliarden würden jährlich benötigt, wenn alle Kinder bis zum Alter von zwölf Jahren ganztägig untergebracht würden, haben Wirtschaftsforscher errechnet. Ja, natürlich müssen die Länder und Kommunen noch ihren Teil auf die 4 Milliarden draufsatteln. Dem stehen zwei Sachverhalte entgegen. Zum einen sehen einige Länder gar nicht ein, warum sie die Ganztagsbetreuung flächendeckend einführen sollten, solange die Damen zwar heimlich wünschen, erwerbstätig zu werden, dies aber nicht laut einfordern. Erst wenn die Wirtschaft den Landesregierungen aufs Dach steigt, weil die gut ausgebildeten und womöglich weiblichen Fachkräfte fehlen, werden Baden-Württemberg und Bayern sich noch einmal überlegen, ob sie ihre Familiendoktrin ändern.
Zum anderen weiß, wer in der letzten Zeit mal spaßeshalber einen Blick in einen Kommunalhaushalt geworfen hat, dass man mancherorts froh ist, wenn man nur die Bibliothek schließen muss und den – gesetzlich garantierten – Halbtagskindergarten gerade noch durchziehen kann. Im gegenwärtigen Steuerloch können Länder und Gemeinden nur noch freundlich grinsen, wenn es um einen Ausbau der Kinderbetreuung geht. Sicher, das kann sich ändern, wenn die Konjunktur eines Tages wieder anzieht – irgendwann. Bis dahin aber bleibt das Vorhaben des Oberkindergärtners lediglich das mundgerechte Wahlkampfversprechen für junge Mütter. HEIDE OESTREICH
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